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Erdogan verliert mehr als nur Istanbul – Blamage für AKP bei der Wahl


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Blamage für AKP
Erdogan verliert mehr als nur Istanbul

MeinungEin Kommentar von Meşale Tolu

Aktualisiert am 24.06.2019Lesedauer: 3 Min.
Schwere Schlappe für den türkischen Präsidenten Erdogan: Mit der Neuwahl hat er alles auf eine Karte gesetzt – und nun sogar mehr als nur Istanbul verloren.Vergrößern des Bildes
Schwere Schlappe für den türkischen Präsidenten Erdogan: Mit der Neuwahl hat er alles auf eine Karte gesetzt – und nun sogar mehr als nur Istanbul verloren. (Quelle: Murad Sezer/Reuters-bilder)
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Die AKP verliert Istanbul. Auch bei der Neuauflage der Bürgermeisterwahl gewinnt Oppositionskandidat Imamoglu. Das wird Auswirkungen auf die gesamte Türkei haben.

Es war von Anfang an ein Risiko für die Regierungspartei AKP, die Bürgermeisterwahlen in Istanbul zu annullieren. Denn mit einer Wahlwiederholung machte sich Präsident Erdogan innerhalb der Bevölkerung und auch auf internationaler Ebene keine Freunde. Und gebracht hat sie nichts: Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu, dessen erster Sieg nicht anerkannt und der nach 18-tägiger Amtszeit abgesetzt wurde, gewinnt auch die zweiten Wahl gegen AKP-Mann Binali Yildirim.

Den monatelangen verbalen Angriffen, hinterhältigen Vorwürfen und nervenaufreibenden Anschuldigungen begegnete Imamoglu mit Gelassenheit, Vernunft und innerer Ruhe. Es war sicherlich eine immense Herausforderung, denn er trat nicht nur gegen den AKP-Bürgermeisterkandidat Binali Yildirim an, sondern auch gegen Erdogan persönlich. Der nahm diese Kommunalwahl so ernst, dass er dafür alles aufs Spiel setzte.

Meşale Tolucoremedia:///cap/blob/content/85471718#data, geboren 1984, ist Journalistin. In Folge des gescheiterten Putsches in der Türkei wurden sie und ihr kleiner Sohn 2017 als politische Gefangene für fast acht Monate inhaftiert. Auch ihr Mann wurde verhaftet. Weitere Monate durften sie das Land nicht verlassen. Noch immer kämpft sie für ihren Freispruch – und schreibt über die Politik in der Türkei.

Nach der Ankündigung der Neuwahl brach die Lira weiter ein, die Lebensmittelpreise stiegen. Erdogan wollte mit allen Mitteln an seiner Macht festhalten, nicht seine Herrschaft und schon gar nicht die Millionenmetropole Istanbul teilen. Zum einen, weil er seinen Aufstieg in der Politik als Oberbürgermeister dort begonnen hatte. Zum anderen, weil Istanbul, wo 20 Prozent der türkischen Bevölkerung leben, wirtschaftlich der Motor des Landes ist.

Weil Erdogan so viel aufs Spiel setzte, verlor er am Abend auch mehr als nur eine Stadt. Die AKP hat sich blamiert und kann nach dieser Niederlage nicht mehr umsteuern. Nach und nach wird, wie Imamoglu sagte, die Bevölkerung merken, dass sie sich im ganzen Land eine ähnliche Veränderung wie in Istanbul wünscht. Daher bezeichnet Imamoglu das Wahl-Ergebnis nicht als Sieg, sondern als den "Anfang der Veränderung", die sich von Tag zu Tag ausbreiten wird.

Ein politisches Erdbeben

Was die Türkei am Sonntag erlebt hat, ist ein politisches Erdbeben, dessen Folgen wir in einiger Zeit deutlich sehen werden: Es ist ein historisches Wahlergebnis, das zeigt, dass die Wahlannullierung Missgunst bei der Wählerschaft erzeugt hat, die der Regierungspartei die Aberkennung ihres Willens heimgezahlt haben. Und nicht nur das: Die aggressive und spalterische Art der AKP-Regierung ließ vielen den Kragen platzen.

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Nach dem Denkzettel vom März, als die AKP vor allem wegen der wirtschaftlichen Krise wichtige Großstädte an die Oppositionspartei abgeben musste, ist dieser Schlag noch schmerzhafter. Denn mit einer noch größeren Klarheit riefen die Istanbuler: "Wir wollen euch nicht mehr", und stimmten für den Mann, der ihnen in einem ruhigen Ton hoffnungsvoll schönere Tage versprach.

Auf t-online.de berichtet Meşale Tolu exklusiv im Podcast über ihre Erlebnisse rund um ihre Festnahme in der Türkei.

Die kurdische Bevölkerung, die bereits bei der Wahl im März eine Schlüsselrolle spielte, entschied auch diese Wahl. Nicht umsonst versuchte Erdogan, mit einem vermeintlichen Aufruf von Abdullah Öcalan und dem Gerücht von der möglichen Freilassung Selahattin Demirtaş, die Kurden umzustimmen, die von der AKP-Regierung und Erdogan selbst zur Wurzel allen Übels erklärt wurden. Aber die kurdische Bevölkerung blieb der Wahlallianz mit der CHP-Opposition treu und mobilisierte ihre Wählerschaft, um der Regierung zu zeigen, dass sie einen eigenen Willen hat und diesen ganz bewusst einsetzen wird.

Erdogan verlor massiv an Glaubwürdigkeit

Die Glaubwürdigkeit der AKP, insbesondere des Präsidenten, ist geschwächt. Die Menschen wenden sich immer mehr von ihm und seiner Politik ab. Erdogan wird dieses Ergebnis akzeptieren müssen. Und es wird nicht lange dauern, bis er wahrnehmen wird, dass seine absolute Macht von Tag zu Tag schrumpft.

Denn die Tatsache, dass seine Partei gegen einen "unbekannten" Bezirksbürgermeister auf diese Weise gleich zwei Mal verloren hat, zeigt, wie unorganisiert, unzufrieden und gespalten die AKP ist. Letztendlich wird dieser innere Machtverlust weite Kreise ziehen. Der unglaubwürdige und instabile Ruf Erdogans wird nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen haben, sondern auch politische Veränderungen erzwingen.

Imamoglu als Hoffnungsträger der gesamten Türkei

Imamoglu gilt seit seiner Kandidatur für das Bürgermeisteramt als Hoffnungsträger und Konkurrent Erdogans. Seine Visionen aus der Lokalpolitik, seine Glaubwürdigkeit und seine zusammenführende Art stoßen in der Bevölkerung auf Gefallen. Imamoglu gelingt es, zu allen eine Nähe aufzubauen: Religiöse, Rechtskonservative und Linke schenken ihm Vertrauen. Dazu kommen sein Mut und seine Sturheit, der AKP und Erdogan die Stirn zu bieten.


Ob die AKP den Wahlsieg dieses Mal annehmen wird oder mit einer erneuten Anzweiflung ihr eigenes Ende beschleunigt, wird sich nun zeigen. Klar ist allerdings jetzt schon, dass die türkische Bevölkerung nicht mehr auf derart autoritäre Art regiert werden will. Sie will wirtschaftliche Verbesserung, einen friedlichen Umgang und eine Führung, die sich für ihre Interessen einsetzt. Sie will, dass alles schöner wird.

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