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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Herbert Kickl Das hat vor ihm noch niemand geschafft
Herbert Kickl war jahrelang ein Mann für den Hintergrund. Jetzt hat er mit der rechtspopulistischen FPÖ in Österreich das beste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Wer ist der Mann?
Rückblickend war es vielleicht der 6. März 2021, an dem die Karriere von Herbert Kickl eine entscheidende Wendung nahm. Durch die österreichische Hauptstadt Wien zogen Zehntausende Demonstranten, darunter auch Hooligans, Rechtsextremisten und Esoteriker. Es war die Hochphase der "Querdenker" in der Corona-Pandemie.
Kickl hielt eine Brandrede: Man müsse sich auflehnen gegen die geltenden Corona-Maßnahmen. Die Berichterstattung dazu sei durch die Bundesministerien gelenkt. Die Entscheidung laute "Freiheit oder Knechtschaft". "Kurz muss weg", skandierte er mit der Menge in Richtung des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz. Im Zusammenhang mit dem Impfprogramm in Israel sprach Kickl zudem von einem "Massenexperiment der Pharmaindustrie" und "Gesundheits-Apartheid". Die Menge jubelte.
Zu diesem Zeitpunkt war Kickl schon eine feste Größe in der rechtspopulistischen FPÖ. Der 55-Jährige galt lange als Scharfmacher, arbeitete aber lieber im Hintergrund. Selbst innerhalb seiner Partei galt er als zu scharf für die erste Reihe. Doch das schien sich in diesen Tagen zu ändern. Kickl erkannte, wie seine Worte direkt auf die Menschen wirkten. Wenige Monate nach seiner Rede griff er bereits nach dem Vorsitz seiner Partei.
Studienabbrecher mit Liebe zum Militär
Rund drei Jahre später ist ihm als Parteichef und FPÖ-Spitzenkandidat etwas gelungen, das seine Partei noch nie geschafft hat: Der Österreicher hat nicht nur das beste Ergebnis in der Geschichte der FPÖ eingefahren, sondern erstmals mit seiner Partei insgesamt die meisten Stimmen erhalten. Kickl sieht sich selbst bereits jetzt als "Volkskanzler". Dabei gilt er nicht als Charismatiker, ist innerhalb seiner Partei als Einzelgänger bekannt. Wie hat er dennoch diesen Aufstieg geschafft?
Kickl wird 1968 in Villach im Bundesland Kärnten geboren. Die Eltern und Großeltern arbeiten in einer ortsansässigen Fabrik. Als Schüler soll er sich für das Militär begeistert haben. Nach der Schule absolviert er seinen Dienst beim Bundesheer als Gebirgsjäger. Ende der Achtzigerjahre zieht er nach Wien, um Politikwissenschaft, Publizistik und Philosophie zu studieren.
Abschließen wird er keines der Fächer. Trotzdem beruft er sich bis heute in seinen Reden auf Philosophen wie Hegel oder Rousseau. Die linke Studierendenszene meidet Kickl. Die rechten Burschenschaften, aus denen viele FPÖ-Funktionäre stammen, allerdings auch.
Faszination für Haider
Es ist die Zeit, in der in Österreich erstmals ein gewisser Jörg Haider mit der FPÖ Aufsehen erregt: Haider übernimmt mit 36 Jahren den Parteivorsitz, wird zudem Landeshauptmann in Kickls Heimat Kärnten, das grob gesagt dem Amt des deutschen Ministerpräsidenten entspricht. Der junge Student ist fasziniert von dem neuen Politiker, der heute als Vorreiter für den Rechtspopulismus in Europa gilt.
Der Weg des jungen Kickl in die FPÖ beginnt Anfang der Neunzigerjahre, wo er unter anderem Wahlkämpfe und Parteiprogramme organisiert. Er soll sich mit den Worten: "Ich kann zwar nichts, aber ich kann alles lernen", vorgestellt haben.
Die klassische Ochsentour vom Lokal- zum Bundespolitiker durchläuft Kickl nicht. Stattdessen tut er sich schnell mit seinen scharfen Slogans für Wahlplakate und als Redenschreiber hervor, auch für Jörg Haider. Als der sich 2001 am politischen Aschermittwoch mit einem antisemitischen Witz über den Chef der israelischen Kulturgemeinde in Wien, Ariel Muzicant, lustig machen will, sagt Haider: Er könne nicht verstehen, wie jemand mit dem Namen Ariel – also mit demselben Namen wie ein Waschmittelhersteller – so viel Dreck am Stecken haben könne.
Auf Haider folgt Strache
Es ist ein Skandal, für den sich Haider mehrfach entschuldigt. Erdacht wurde der Spruch allerdings von Kickl, der auch Jahre später kein Problem mit der Äußerung hat. Der Spruch habe damals gepasst, und er würde ihn heute nicht anders machen. Im Laufe seiner Karriere wird Kickl immer wieder kurze Wahlslogans dichten wie "Daham statt Islam", "Asylbetrug heißt Heimatflug" oder "Volksvertreter statt EU-Verräter".
Haider führt die FPÖ 2000 in die Bundesregierung. Sein Weg mit Kickl endet 2005, als er mit der Partei bricht: Im Streit verlässt Haider die FPÖ und gründet die neue Partei BZÖ. Viele gehen davon aus, dass Kickl ihm folgt. Doch stattdessen setzt der auf einen ähnlich charismatischen, aber jüngeren Mann bei den Rechtspopulisten: Heinz-Christian Strache, der nach Haider der neue Parteichef wird.
Kickl schießt fortan gegen Haider, wird als FPÖ-Generalsekretär noch einflussreicher und arbeitet jetzt Strache zu. Er baut Strache zum Gesicht der Partei auf und bleibt weiter der Strippenzieher im Hintergrund. Die FPÖ kann sich unter der Führung der beiden nach dem Haider-Zoff langsam wieder nach oben arbeiten: 2017 führen beide ihre Partei erneut in die Bundesregierung.
In der Regierung von Kanzler Sebastian Kurz erhält Kickl den Posten des Innenministers. Viele sind über die Wahl erstaunt: Denn das Ministerium war jahrelang fest in der Hand von Kurz' konservativer ÖVP. Zudem soll der FPÖ-Mann zunächst mit dem Prestigeposten gefremdelt haben.
Mäßigend wirkt sich das Amt auf Kickl nicht aus: Das Ministerium wirbt für Jobs bei der Polizei auf rechtsextremen Webseiten. Der Minister gründet eine neue Grenzschutzeinheit und lässt große Übungen abhalten – inklusive Hubschraubern und Panzern. Ihr Name: "Pro Borders". Ein Slogan, der zuvor in der rechtsextremen "Identitären Bewegung" gebräuchlich war. Eine Distanzierung zu der Bewegung gibt es bei Kickl nicht: Er nennt sie etwa in einem Interview eine "rechte NGO".
In seiner Amtszeit wurde zudem der österreichische Verfassungsschutz von der Polizei durchsucht. Kritiker warfen Kickl vor, mit der Maßnahme einen Umbau der Behörde zugunsten der FPÖ anzustreben. Vor Gericht wurde die Durchsuchung später als rechtswidrig eingestuft, der Nachrichtendienst im Nachgang aufgelöst und völlig neu aufgebaut. Auch deshalb nennt der heutige Bundeskanzler Karl Nehammer den FPÖ-Mann ein "Sicherheitsrisiko".
Keine Konsequenzen durch Ibiza
Kickls Amtszeit endet bereits nach zwei Jahren: Als Vizekanzler Strache 2019 über die sogenannte Ibiza-Affäre stolpert, zerbricht die ÖVP-FPÖ-Regierung. Kickl beweist erneut das richtige Gespür und sagt sich wieder von seinem Parteichef los. Als die Affäre publik wird, soll er Strache als Erster mit wenigen Worten klargemacht haben, dass er zurücktreten muss. Strache wird sich politisch nie von der Affäre erholen.
Kickl wird wenig später aus der Regierung entlassen, hat aber mit dem Ibiza-Komplex nichts zu tun. Denn auch wenn seine Worte regelmäßig Aufsehen erregen: Abseits des politischen Betriebs verbindet ihn und Strache nur wenig.
Einzelgänger mit Disziplin
Während der eine einen Hang zum Luxus hat oder noch als Vizekanzler Nächte in Discos durchtanzte, ist von Kickl nichts dergleichen zu hören. Bekannt ist, dass er verheiratet ist, einen Sohn hat und sich privat fürs Skifahren, Bergsteigen und den Triathlon begeistert. Viel mehr dringt nicht nach außen. Noch heute als Parteichef soll er in seinen eigenen Reihen ein Außenseiter sein.
Strache wird später die Partei verlassen, Kickl weiter eine prägende Figur bleiben. Nach dem Haider-Bruch liegt die FPÖ nach dem Ibiza-Video erneut am Boden. Heute ist von dem Skandal, der zum Absturz der FPÖ in den Umfragewerten geführt hat, keine Rede mehr: Kickl hat die FPÖ am Wochenende erstmals auf Rang eins bei einer Nationalratswahl geführt.
Selbst ernannter Volkskanzler
Und seine Slogans nutzt er heute nur noch für sich: Seit einiger Zeit nennt sich Kickl "Volkskanzler". Ein Begriff, mit dem sich in der NS-Zeit auch Adolf Hitler schmückte. Die Zahl der Asylanträge will Kickl drastisch reduzieren, um eine "Festung Österreich" zu erreichen. "Wir brauchen Remigration", sagte er bei der Vorstellung des Programms. Statt Hilfe für die Ukraine propagiert Kickl Verständnis für Russland. Der Klimawandel? Selbst in Zeiten der Jahrhundertflut kein Thema. Es sind Ideen, die denen seines ungarischen Nachbarn Viktor Orbán gleichen.
Seine drastische Sprache hat seinen Aufstieg also nicht behindert. Für den Posten als erster FPÖ-Bundeskanzler könnten sie aber trotzdem ein Hemmschuh werden: In Österreich kann der Bundespräsident vorgeschlagene Regierungsmitglieder ablehnen. Und das Staatsoberhaupt Alexander Van der Bellen ließ bereits durchblicken, dass er den FPÖ-Chef nicht in eine Regierung lassen könnte. Kickl hat den 80-Jährigen unter anderem schon als "Mumie" beschimpft.
Und so wie in Deutschland bei der AfD haben die größten österreichischen Parteien Koalitionen mit Kickl ausgeschlossen. Lediglich die ÖVP hat signalisiert, dass sie für ein Bündnis ohne den Parteichef möglicherweise bereitstände. Der FPÖ-Chef dürfte sich aber an seinen einstiegen Mentor Haider erinnern: Der verzichtete nämlich 2000 auf ein Regierungsamt, um seine Partei in die Bundesregierung zu bringen. Kickl nannte das später eine "große politische Dummheit" und einen "Betrug an den Wählern". Denn damit begann auch Haiders Abstieg.
- Eigene Recherche
- Bauer, Gernot; Treichler, Robert: "Kickl und die Zerstörung Europas", Zsolnay, 2024
- facebook.com: "Rede von Herbert Kickl im Wiener Prater - 'Kurz muss weg!'"
- fpoe.at: "Festung Österreich"
- kurier.at: "Herbert Kickl: Ein Eigenbrötler als Mastermind"
- kurier.at: "Blaue Szenarien: Wie Kickl die FPÖ in die Regierung bringen will" (kostenpflichtig)
- zeit.de: "Volkskanzler will er werden"
- profil.at: "Der Wurmmittelstürmer: Wer stoppt Herbert Kickl?"
- profil.at: "Radikal geplant: Wie Herbert Kickl ins Kanzleramt möchte"
- derstandard.at: "Die Geschichte des Begriffs "Volkskanzler": Von Hitler bis Kickl"
- derstandard.at: "Innenministerium wirbt auf rechten Verschwörungsseiten"