Störfeuer in der EU "Das spricht für eine Verzweiflungstat Orbáns"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ungarns Ministerpräsident nutzt die Ratspräsidentschaft in der EU für Störfeuer. Doch Viktor Orbán steht auch unter einem erheblichen Druck.
Die ungarische Ratspräsidentschaft hat gerade erst begonnen – und schon ist die Europäische Union zerstritten. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat den Ärger der EU-Kommission und vieler Mitgliedsstaaten auf sich gezogen, nachdem er Anfang Juli – kurz nach Übernahme der Ratspräsidentschaft – im Alleingang und auf angeblicher "Friedensmission" Russland, China und die Ukraine besucht hatte.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte harte Maßnahmen an: Unter anderem sollen die Treffen, bei denen alle Minister eines Fachbereichs zusammenkommen, in Budapest boykottiert werden. Als am Montag jedoch die EU-Außenminister zusammenkamen, konnten sie sich darauf nicht einigen. "Ich habe mein Bestes versucht, um eine Einigung zu erzielen. Es war nicht möglich", sagte Chefdiplomat Josep Borrell.
Hat Ungarn bereits Zwietracht in der Union gesät? Und was bedeutet das für die Ukraine-Hilfen? Das und was Orbán damit bezweckt, erklärt EU-Experte Uwe Puetter im Interview.
t-online: Die Kritik war vor einer Woche noch riesig, als es um die ungarischen Alleingänge ging. Nun haben sich die EU-Außenminister getroffen, um über einen Boykott des Treffens in Budapest zu beraten – eine Einigung gab es aber nicht. Was ist passiert?
Uwe Puetter: Diese spezielle Abstimmung ist gescheitert, aber man muss differenzieren. Borrell spricht auch davon, dass 25 Mitgliedsstaaten – also alle außer Ungarn und die Slowakei – das Verhalten Orbáns eindeutig kritisieren. Diese Linie ist also klar. Auch mit Blick auf die Ukraine-Hilfen war das Treffen erfolgreich, nur eben mit Blick auf den Boykott nicht. Da scheint es verschiedene Abstimmungsprobleme zu geben, einmal innerhalb der EU, aber auch innerhalb der Regierungen in Berlin und Paris.
Sowohl Frankreich als auch Deutschland haben sich gegen den Boykott ausgesprochen, Borrell hat ihn dennoch beschlossen.
Meine Vermutung ist: Hier sind sich bestimmte Ministerien in Berlin nicht einig. Es gab ja bereits die Entscheidung, dass Innenministerin Nancy Faeser und Justizminister Marco Buschmann nicht nach Ungarn zu den Treffen mit ihren Amtskollegen reisen, auf der anderen Seite steht das Außenministertreffen mit Annalena Baerbock. Diese Unentschiedenheit zeugt von fehlender Abstimmung innerhalb der Bundesregierung. Es fehlt die gemeinsame Botschaft: Entweder die Minister sagen, sie gehen nicht zu den Treffen und setzen ein Zeichen, oder aber sie sagen, sie gehen dahin, um den ungarischen Positionen entgegenzutreten.
Zur Person
Dr. Uwe Puetter ist Professor für Europäische Integration und Europäische Politik an der Europa-Universität Flensburg (EUF). Zuvor lehrte er an der Central European University (CEU) in der ungarischen Hauptstadt Budapest.
Das hätte man besser in der EU abstimmen müssen, auch zwischen Deutschland und Frankreich. Aber auch in der französischen Politik ist nach der Parlamentswahl Unruhe, in der Regierung passiert momentan gar nichts. Und der letzte Punkt: Die Arbeitsbeziehungen zwischen Borrell und den Außenministern waren auch in den vergangenen Jahren nicht die besten, das zeigt sich auch an dieser Stelle.
Orbán dürfte es freuen, dass sich die EU-Staaten so uneinig sind.
Die EU fällt dadurch jetzt nicht auseinander, aber es offenbart eine riesige Schwäche: So eine Frage räumt man normalerweise vor dem Treffen aus dem Weg, das darf man nicht offenlassen. Genau das ist aber passiert. Mit genau solchen Schwächen wird die ungarische Ratspräsidentschaft spielen.
Inwiefern?
Die EU-Institutionen und das Parlament sind direkt nach der Wahl in einem Übergangsprozess. Den Zeitpunkt für seine Besuche in Russland und China hat Orbán sich also wohlüberlegt. Das wird auch weiter passieren, ich denke dabei etwa an weitere Tranchen der Finanzhilfen an die Ukraine, die im Rat der Finanzminister verzögert werden könnten. Es fällt auch auf, dass Ungarn immer weniger daran interessiert ist, Kompromisse zu finden und in bestimmten Bereichen einzulenken. Orbán hat sich mittlerweile weit entfernt von dem überwältigenden Teil der Mitgliedsstaaten.
Was bezweckt Orbán damit?
Das hat sowohl eine innenpolitische als auch außenpolitische Komponente. Ungarn steckt finanziell in gewissen Schwierigkeiten, hat lange Zeit von den EU-Haushaltsmitteln profitiert. Die liegen zu einem großen Teil auf Eis. Für ihn ist es aber unglaublich wichtig, die Energiekosten gering zu halten, das war von Beginn an ein zentrales Versprechen seiner Politik, und das wird zunehmend schwieriger. Er sendet mit seiner Politik ein Zeichen Richtung Moskau, dass er sich nützlich macht und dementsprechend weiter mit günstigem Öl und Gas versorgt werden kann. Ähnliches bei China: Orbán hat sich sehr bemüht, chinesische Investitionen für Ungarn an Land zu ziehen.
Die Ukraine könnte ihm dabei einen Strich durch die Rechnung machen. Die Regierung hat gerade erst russische Öllieferungen über die Druschba-Pipeline nach Ungarn teilweise unterbunden. In der ungarischen Politik ist die Empörung groß, die EU schweigt sich bislang aus. Kommt es Brüssel auch gelegen, dass Ungarn an dieser Stelle unter Druck gerät?
Es gibt eine Reihe von Mitgliedsstaaten, die jetzt sagen werden: Selbst schuld. Ungarn und die Slowakei haben ja vor rund zwei Jahren die Ausnahmeregelung bei den Erdölsanktionen erhalten, damit sie Zeit haben, sich um Alternativen zu kümmern und vom russischen Öl und Erdgas unabhängig zu werden. Das war von vorneherein als Übergangslösung gedacht. Für Ungarn ist das hochproblematisch, weil die Preisfrage so zentral für die Politik ist – und keiner so günstig liefert wie Russland.
Ungarn wird es im Gegenzug der Ukraine sicher nicht leichter machen, an EU-Finanzhilfen zu gelangen.
Die Ukraine und Ungarn stecken beide in einem Dilemma. Ich gehe davon aus, dass sich an einer Stelle die EU-Kommission einschalten wird, um zu vermitteln. Dass sie das bislang nicht getan hat, hängt sicherlich auch mit der Übergangsphase nach den Wahlen zusammen. Die Situation ist also sehr verfahren. Dazu kommt, dass Orbán in der Frage der Finanzhilfen ohnehin auf Zeit spielt. Ich habe den Eindruck, dass er sehr stark darauf setzt, dass sich die Machtverhältnisse und die politischen Mehrheiten innerhalb der Union zu seinen Gunsten ändern.
Auf wen schielt er da besonders?
Einerseits schaut er darauf, was jetzt in Frankreich passiert. Präsident Emmanuel Macron ist nach den Neuwahlen geschwächt, rechte und linke Kräfte – die Russland zugewandter gegenüberstehen – sind deutlich erstarkt. Andererseits ist offen, ob Italiens rechte Regierung bei der Bildung der neuen Kommission noch eine Rolle spielen kann oder stärker auf Konfrontation mit Brüssel geht. Doch Orbáns Rechnung muss nicht aufgehen. Er hat sich in den vergangenen Jahren weit von der EU entfernt und in die Isolation begeben. Die Besuche in Russland und China und die Blockadehaltung sprechen also auch für eine Verzweiflungstat Orbáns und sind nicht unbedingt ein Zeichen der Stärke.
Herr Puetter, vielen Dank für das Gespräch.
- Telefoninterview mit Uwe Puetter