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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Jetzt tagen die Geschworenen Gab es einen ungeheuerlichen Plan?
Die Geschichte von Trump als Manipulator und Betrüger klingt einfach. Sie wasserdicht zu belegen, fällt der Staatsanwaltschaft aber schwer. Die Macht über das Schicksal des Ex-Präsidenten liegt jetzt bei der Jury.
Bastian Brauns berichtet aus New York
Für den historischen Ernstfall scheint sich der Secret Service bereits vorzubereiten. Lebenslang ist der Sicherheitsdienst für den Schutz von ehemaligen US-Präsidenten zuständig – auch, wenn sie im Gefängnis sitzen. In der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika ist das bislang nicht vorgekommen. Aber noch nie war es so wahrscheinlich wie jetzt, dass es mit Donald Trump nun so weit sein könnte.
Darum haben sich Vertreter des Secret Service offenbar inzwischen mit Beamten der New Yorker Gefängnisse ausgetauscht. So zumindest berichtet es der Fernsehsender CBS und beruft sich als Quelle auf eine Person, die im Strafvollzugssystem von New York arbeitet. Wenn es um Donald Trump geht, ist nichts undenkbar. Auch nicht, dass die Beamten des Secret Service im Zweifel selbst mit ihm im Gefängnis sitzen müssen.
Es sind Randnotizen, mit denen sich in den USA noch nie jemand beschäftigen musste. Bis zu dem Tag, an dem sich mit Donald Trump zum ersten Mal ein ehemaliger US-Präsident in Manhattan in einem Strafverfahren verantworten musste. In dieser siebten Woche des außergewöhnlichen Prozesses kann prinzipiell in jedem Moment das Urteil der zwölf New Yorker Geschworenen fallen. Entscheiden sie im Sinne der Anklage und sprechen den Ex-Präsidenten schuldig, könnte Trump am Ende auch eine Haftstrafe drohen. Das Schicksal des Präsidenten liegt nun in ihren Händen.
Überlange Abschlussreden offenbaren ein Problem
Es geht dabei um die Fragen: Heckte Donald Trump selbst einen hinterhältigen Plan aus, indem er wenige Wochen vor seiner ersten Wahl im Jahr 2016 eine mutmaßliche Affäre mit der Pornodarstellerin "Stormy Daniels" per Schweigegeld unterdrücken ließ? Und machte er sich strafbar, weil er zur Verschleierung dieser Zahlungen nicht nur seine Geschäftszahlen fälschte, sondern zugleich auch Steuerbetrug beging und gegen die New Yorker Gesetze zur Wahlkampffinanzierung verstieß?
Wie komplex dieser Fall ist und wie schwer diese Fragen für normale Bürger zu beurteilen sind, das offenbarten am Dienstag die Abschlussplädoyers. Trumps Anwalt Todd Blanche redete ganze drei Stunden auf die Jury-Mitglieder ein. Die meiste Zeit verwandte er darauf, Michael Cohen, Trumps einstigen Vertrauten und heutigen Kronzeugen der Anklage als notorischen Lügner darzustellen. Der Staatsanwalt Joshua Steinglass benötige dann sogar fünf Stunden, um darzulegen, warum Trump erwiesenermaßen schuldig sei. Es war ein Kriminal-Marathon voller Rechnungen, E-Mails und mitgeschnittener Telefonanrufe. Noch einmal wurden Tonbänder und Videoaufnahmen abgespielt, sowie die vielen Zeugenaussagen der vergangenen sechs Wochen zitiert.
Die 3-Stunden-Attacke des Trump-Verteidigers
Trumps Verteidiger versuchte zunächst, seine Sätze über Michael Cohen regelrecht in die Köpfe der Juroren zu hämmern. "Er lügt ständig. Er hat den Kongress belogen. Er hat Staatsanwälte belogen. Er hat seine Familie und Geschäftspartner belogen", sagte Todd Blanche. Und noch einmal: "Er hat auch Sie angelogen" und "Er ist der größte Lügner aller Zeiten", so Todd Blanche. In der Tat hat Michael Cohen schon viel gelogen in seinem Leben. Er ist nicht der glaubwürdigste Hauptzeuge, den sich ein Staatsanwalt wünschen kann. Allerdings ist Todd Blanches Mandant Donald Trump selbst ein Mann, der ein eigenwilliges Verhältnis zur Wahrheit hat.
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Was der Trump-Anwalt aber in seinem Plädoyer verschwieg: Meistens log Michael Cohen, wie etwa einst vor dem US-Kongress im Zuge der Russlandermittlungen gegen Donald Trump, um seinen Boss zu schützen. Sogar noch als irgendwann das FBI seine Wohnung durchsuchte, blieb Michael Cohen loyal zu jenem Mann, zu dem er über Jahre ehrfürchtig aufblickte und dessen Gunst er stets suchte.
Doch es scheint die vielversprechendste und damit einzige klare Strategie von Trumps Verteidigern zu sein, Michael Cohen als unglaubwürdig darzustellen. Nur eines der Jury-Mitglieder müssen sie von dieser Sicht überzeugen. Schon bei einem Abweichler gilt das Gremium als blockiert und damit als entscheidungsunfähig. Der Prozess müsste von der Staatsanwaltschaft mühsam mit einer neuen Jury erneut aufgerollt werden.
Trumps Anwalt trieb seine Tiraden gegen Michael Cohen so weit, dass es dem Richter irgendwann reichte. Gewandt an die Jury hatte Blanche gesagt: "Sie können niemanden aufgrund der Worte von Michael Cohen einfach ins Gefängnis schicken." Richter Juan Merchan maßregelte den Verteidiger und beschwor die Jury mit den Worten: "Dieser Kommentar war unangebracht und muss von Ihnen ignoriert werden", so Merchan. Es sei nicht die Aufgabe der Geschworenen, über ein mögliches Strafmaß zu spekulieren. Das liege alleine in seiner Verantwortung. In der Tat: Die Jury befindet nur darüber, ob Trump schuldig ist, nicht darüber, welches Strafmaß das nach sich zieht.
Ein verräterisches Stück Papier
Das Kernbeweisstück dieses Mammut-Verfahrens ist ausgerechnet ein einzelnes Dokument, auf dem handschriftlich von Trumps Finanzchef vermerkt ist, was nach Ansicht der Staatsanwaltschaft illegal ist. Es zeigt eine ominöse Berechnung, die Trumps Rückzahlungen an Michael Cohen belegen soll. Denn Cohen soll für Donald Trump und seine Wahlkampagne mit 130.000 Dollar in Vorleistung gegangen sein, um "Stormy Daniels" davon abzuhalten, ihre behauptete Sex-Geschichte mit Donald Trump an die Medien zu weiterzugeben.
Demnach hat Michael Cohen über mehrere Monate hinweg von Trump insgesamt 420.000 Dollar erhalten. Beinhaltet haben soll diese Summe sowohl die 130.000 Dollar an vorgestrecktem Schweigegeld, als auch 50.000 Dollar für die Manipulation einer Online-Umfrage im Sinne von Donald Trump. Dieser als Rechtsdienstleistung verschleierte Betrag von 180.000 Dollar wurde verdoppelt, weil Michael Cohen keine steuerlichen Nachteile davontragen sollte. Zu den daraus sich ergebenden 360.000 Dollar soll dann noch eine Brutto-Bonuszahlung von 60.000 Dollar gekommen sein. Das soll schließlich zu dem Gesamtbetrag von 420.000 Dollar geführt haben, den Donald Trump, da bereits im Weißen Haus sitzend, wiederum über mehrere Monate gestreckt per unterschriebener Schecks an Michael Cohen gezahlt hat.
Fünf Stunden Schwitzen für Trump
Diese vielen gestückelten, mutmaßlich getarnten und damit illegalen Rückzahlungen führen zu den insgesamt 34 Anklagepunkten gegen Donald Trump. Der mit dem Abschlussplädoyer betraute Staatsanwalt Joshua Steinglass versuchte der Jury nach den bereits langen Ausführungen von Trumps Anwalt klarzumachen, wie erdrückend die Beweislage sei.
Tatsächlich sorgte der Staatsanwalt gleich zu Beginn seiner fünf Stunden langen Rede für Gelächter unter den Zuschauern, als er über das Schweigegeld für "Stormy Daniels" sprach: "Sie können darauf wetten, dass Donald Trump nicht 130.000 Dollar für jemanden gezahlt hat, mit dem er sich gerade auf dem Golfplatz fotografiert hat." Damit ging Steinglass auf Trumps Behauptung ein, es habe im Rahmen jenes Golfturniers von 2006, bei dem es zum Sex gekommen sein soll, nur einen Händedruck mit der Frau gegeben. Ein damaliges Foto von Trump und Daniels ging um die Welt.
Geschickt spießte der Staatsanwalt dann ein Argument von Trumps Verteidiger auf und verkehrte es ins Gegenteil. Denn Todd Blanche hatte zwar die Echtheit der komplexen Rückzahlungsrechnung aufs Schärfste bestritten. Zugleich bezichtigte der Trump-Anwalt den Kronzeugen Michael Cohen aber des Diebstahls eines bestimmten Betrags auf diesem Schriftstück. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft gab Trumps Verteidiger so indirekt die Echtheit der Berechnung und damit die Verschleierung zu.
Auch das Argument der angeblichen Geldgier Michael Cohens versuchte Steinglass zu zerstreuen. Trumps Anwalt hatte behauptet, für Michael Cohen sei es quasi ein einträgliches Geschäftsmodell, Lügen über Donald Trump zu verbreiten – ob mit Buchverträgen, mit Podcast-Einnahmen oder mit Interviewanfragen. "Ich bitte Sie nicht, Mitleid mit Michael Cohen zu haben", sagte Steinglass zur Jury. "Aber man kann es ihm kaum verübeln, dass er mit dem einen, was ihm geblieben ist, Geld verdient: seinem Wissen über die innere Funktionsweise des Trump-Phänomens."
Das Herrschaftswissen über Donald Trump
Alles am Verhalten seines Kronzeugen sei am Ende nachvollziehbar, so Steinglass. Statt für Trump habe er sich schließlich für die Loyalität gegenüber seiner eigenen Familie entschieden. Cohen habe sich für seine Lügen vor dem Kongress entschuldigt. Für seine Taten ging er sogar ins Gefängnis. "Die Wahrheit ist: Cohen war in der besten Position, all das zu wissen", so Steinglass über die Glaubwürdigkeit der vielen Details, die Cohen in seiner Aussage über Donald Trump und seine mutmaßlichen Machenschaften ausbreitete. (Mehr zu Michael Cohens Enthüllungen über Trump lesen Sie hier)
Trumps Anwalt wolle die Jury mit seinen Anschuldigungen nur ablenken. "In diesem Fall geht es nicht um Michael Cohen. In diesem Fall geht es um Donald Trump", sagte Steinglass. Die Wahrheit sei: Drei reiche und mächtige Männer (Donald Trump, Michael Cohen und der Klatschblattverleger David Pecker) hätten sich im Trump Tower einst 2016 getroffen, um noch mächtiger und reicher zu werden. Und zwar, indem sie Informationen unterdrückten, die für die amerikanischen Wähler wichtig gewesen wären. (Mehr zu diesem perfiden Plan lesen Sie hier)
"Dieser Plan, den sich diese Männer damals ausgedacht haben, könnte durchaus dazu geführt haben, dass Präsident Trump ins Amt kam", so der Staatsanwalt. Er weiß, dass das eine zulässige, aber auch gewagte These ist, weil sie nicht wirklich zu überprüfen ist. Darum wählte er hier auch bewusst den Konjunktiv. Aber ausgeschlossen ist es nicht.
Das Motiv: Die Verhinderung einer Katastrophe
Als Trump 2016 gerade mit einem Riesenskandal wegen seiner frauenverachtenden Aussage ("Grab 'em by the pussy") kämpfte, hätte ihm eine Affäre mit einem Pornostar tatsächlich den Wahlsieg gegen Hillary Clinton kosten können. Wie groß die Panik im Trump-Team damals war, belegte die Staatsanwaltschaft mit zahlreichen untereinander verschickten Textnachrichten. Sie lauteten: "Trump is dying" oder "Trump is fucked".
Steinglass widersprach darum auch dem Argument von Trumps Anwalt Todd Blanche, wonach der Versuch, lästige Informationen für einen Präsidentschaftskandidaten zu unterdrücken und damit eine Wahl zu beeinflussen, ganz normal und gängige Praxis in einer Demokratie sei. Der Staatsanwalt konterte das mit den Worten: "In Wirklichkeit war diese Vereinbarung im Trump Tower das Gegenteil. Sie war die Untergrabung der Demokratie."
Denn der wirklich entscheidende Wendepunkt dieses Treffens sei eben jene, sogenannte "Catch-and-Kill"-Strategie gewesen. Die besagte, dass mögliche, aufkommende Schmutzgeschichten über Trump einfach per Schweigegeld gekauft und damit unterdrückt werden sollten. Hierin liege der "illegale Teil", so Staatsanwalt Steinglass. "Denn, sobald Geld im Namen einer Kampagne den Besitzer wechselt, verstößt dies gegen die Bundesgesetze zur Wahlkampffinanzierung."
Das Ziel dieses Spiels sei stets "Verschleierung" gewesen, so Steinglass. Und alle Wege führten unausweichlich zu jenem Mann, der das am nötigsten hatte. Und das sei der Angeklagte, der ehemalige Präsident Donald Trump. Dann schließt er nach einer Rede von fünf Stunden mit den Worten: "Im Interesse der Gerechtigkeit und im Namen des Volkes des Staates New York bitte ich Sie, den Angeklagten schuldig zu sprechen. Vielen Dank."
Ein verhängnisvolles Urteil
Damit geht die Macht über das Verfahren an die zwölf Geschworenen. Sie müssen sich ab Mittwoch im Gericht einfinden, beraten und zu einer Entscheidung kommen. Der Richter, sowie Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung müssen stets anwesend sein, falls Fragen aufkommen. Auch Donald Trump muss entweder vor Ort sein oder sich zumindest in der Nähe aufhalten. Im Prinzip kann das Urteil ab sofort jederzeit fallen – je nachdem, wie schnell sich die Gruppe einigen kann.
Die Geschworenen müssen sich entscheiden: Ist das, was Donald Trump 2016 getan hat, vielleicht fragwürdig und moralisch zu beanstanden, aber im Grunde eben nicht als strafbar zu bewerten? Oder nutzte der 45. amerikanische Präsident illegale Machenschaften, um ins mächtigste Amt der USA zu kommen?
Für den Fall eines Schuldspruchs und einer möglichen Gefängnisstrafe für Donald Trump bereitet sich der Secret Service, wie beschrieben, offenbar bereits vor. Technisch machbar wäre so ein präsidialer Haftaufenthalt. Wie gewappnet die amerikanische Gesellschaft für einen Straftäter oder gar einen Häftling als Präsidentschaftskandidaten allerdings ist, lässt sich kaum voraussagen.
- Eigene Beobachtungen vor Ort