Krieg in Nahost Vermittler drängen auf Kompromiss im Gaza-Krieg
Das Ringen um eine Waffenruhe geht weiter. Laut Medien liegt ein neuer Vorschlag auf dem Tisch. Israels Premier bekräftigt derweil Pläne für eine Offensive in Rafah. Die News im Überblick:
Während Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu Pläne für eine Bodenoffensive in Rafah im Gazastreifen bekräftigt, wollen die USA den Verhandlungen über eine Waffenruhe laut Medienberichten mit einem neuen Kompromissvorschlag zum Erfolg verhelfen.
Wie das "Wall Street Journal" unter Berufung auf arabische Vermittler berichtete, sieht der von CIA-Direktor William Burns in Kairo am Sonntagabend präsentierte Vorschlag vor, dass die islamistische Hamas im Zuge einer sechswöchigen Feuerpause 40 der mehr als 100 im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln im Tausch gegen 900 palästinensische Häftlinge freilässt - darunter 100, die wegen Mordes an Israelis zu lebenslanger Haft verurteilt wurden.
Israel solle wiederum bis zu 150.000 vertriebenen Palästinensern die Rückkehr in den Norden des Küstengebiets gestatten. Derweil sagte der rechtskonservative Ministerpräsident Netanjahu, ein Termin für eine Offensive gegen die mit Flüchtlingen überfüllte Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens stehe fest. Nähere Details nannte er nicht. Die USA als wichtigster Verbündeter und auch Deutschland haben Israel wiederholt vor einer großangelegten Offensive in Rafah gewarnt.
USA warten auf Antwort der Hamas
Auch das Nachrichtenportal "Axios" berichtete über Burns" neuen Vorschlag, der laut israelischen Beamten auf Bedingungen aufbaue, die bei früheren Verhandlungen diskutiert worden seien. Der neue Vorschlag verlange Kompromisse von beiden Konfliktparteien. Israels Sicherheitskabinett wird laut "Axios" voraussichtlich heute zusammentreten, um den Vorschlag zu erörtern.
Die Hamas-Delegation wiederum verließ Kairo für Beratungen mit ihrer Spitze. Man warte jetzt auf die Antwort des Anführers der Hamas in Gaza, Jihia al-Sinwar, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der US-Regierung, John Kirby. Nach Informationen aus Hamas-Kreisen in der libanesischen Hauptstadt Beirut laufen die Verhandlungen über eine Waffenruhe "nicht gut". Die Israelis seien demnach nur am "Geisel-Thema" interessiert, nicht aber an einer Waffenruhe. Offizielle Angaben zum gegenwärtigen Verhandlungsstand gibt es bisher nicht.
Dem von Burns vorgelegten Vorschlag zufolge müsste die Hamas Zugeständnisse bezüglich der Anzahl und Identität der von ihr freizulassenden Geiseln eingehen, hieß es weiter. Ein zentraler Punkt betreffe die Forderung Israels, dass die Islamistenorganisation 40 der vermutlich noch 100 lebenden Geiseln freilässt, auch wenn einige von ihnen die ursprünglichen Kriterien für eine Freilassung aus humanitären Gründen nicht erfüllen, berichtete "Axios". Die erste Phase eines Abkommens sähe demnach die Freilassung von Frauen, Soldatinnen, Männern über 50 Jahren sowie von Männern unter 50 Jahren mit schweren gesundheitlichen Problemen vor.
In den jüngsten Verhandlungen habe die Hamas erklärt, keine 40 lebenden Geiseln aus diesen Kategorien zu haben. Ranghohe israelische Beamte hielten dies für zutreffend, hieß es. Israel habe daher vorgeschlagen, die Lücke mit Soldaten oder Männern unter 50 Jahren zu schließen, die als Geiseln festgehalten werden. Dafür würde Israel dann für jede dieser Geiseln eine höhere Anzahl palästinensischer Gefangener freilassen, wurden Beamte zitiert.
Israel zu Kompromiss bei Rückkehr von Zivilisten bereit
Israel habe zudem deutlich gemacht, dass es Kompromisse bei der Frage der Rückkehr von Zivilisten in den nördlichen Gazastreifen eingehen würde, wenn die Hamas sich auf diesen Aspekt der Vereinbarung einlassen sollte, hieß es. So sehe der US-Vorschlag einen schrittweisen und fast vollständigen Rückzug Israels aus dem Korridor vor, der das Küstengebiet teilt und vertriebene Palästinenser an einer Rückkehr in den Norden hindert.
Israel will verhindern, dass sich bei einer Rückkehr von Zivilisten auch Hamas-Kämpfer unter die Schutzsuchenden mischen. Die Frage der Rückkehr der palästinensischen Zivilisten in den nördlichen Gazastreifen ist einer der Hauptstreitpunkte bei den Verhandlungen, bei denen die USA, Katar und Ägypten vermitteln, weil die Hamas und Israels Führung aus Prinzip keine direkten Gespräche führen.
Die Hamas fordert die vollständige Rückkehr der Zivilbevölkerung in den Norden und einen vollständigen Rückzug Israels aus dem Landkorridor, der den südlichen Gazastreifen vom Norden trennt. Israel würde einer "schrittweisen Rückkehr" der Zivilisten zustimmen, lehne aber den Abzug seiner Soldaten ab, so "Axios". Zudem verlange die israelische Seite Personenkontrollen, um sicherzustellen, dass sich keine Hamas-Kämpfer darunter befinden.
Es sei nicht klar, ob sich die Hamas auf den Kompromiss einlässt und bereit ist, Geiseln freizulassen, bei denen es sich um Soldaten oder Männer unter 50 Jahren handelt. Die Hamas sieht letztere als besonders effektives Druckmittel, um einen dauerhaften Waffenstillstand zu erzwingen.
Staatsoberhäupter fordern sofortige Feuerpause
Die Staatsoberhäupter Frankreichs, Jordaniens und Ägyptens riefen in einem gemeinsamen Zeitungsbeitrag zu einer sofortigen Waffenruhe auf. "Der Krieg in Gaza und das katastrophale humanitäre Leid, das er verursacht, müssen jetzt beendet werden", forderten Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Jordaniens König Abdullah II. und Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi in einem Beitrag, der unter anderem in der "Washington Post" erschien.
Gewalt, Terror und Krieg könnten dem Nahen Osten keinen Frieden bringen. Eine Zweistaatenlösung sei "der einzige glaubwürdige Weg, um Frieden und Sicherheit für alle zu gewährleisten und sicherzustellen, dass weder die Palästinenser noch die Israelis jemals wieder die Schrecken erleben müssen, die sie seit dem Angriff vom 7. Oktober erlebt haben".
Netanjahu bekräftigt: Werden Hamas-Bataillone auch in Rafah zerstören
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat bekräftigt, dass die Armee alle Bataillone der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas zerstören werde. Dies gelte auch für die Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten, sagte der 74-Jährige nach Angaben seines Büros vor Rekruten in einer Militärbasis bei Tel Aviv. "Keine Macht der Welt wird uns stoppen."
Es gebe "viele Kräfte, die versuchen, dies zu tun, aber es wird nichts helfen", sagte Netanjahu demnach. Israel sei verpflichtet, die Hamas daran zu hindern, einen Angriff wie am 7. Oktober vergangenen Jahres zu wiederholen.
Ein Sieg über die Hamas sei nicht nur ein Sieg über die Terrororganisation selbst, sondern gleichzeitig über "die Achse des Bösen des Irans, der uns zerstören will", erklärte Netanjahu. "Alle im Nahen Osten, und auch darüber hinaus, sitzen auf der Zuschauerbühne und beobachten, wer auf diesem Feld siegen wird, Israel oder der Iran und seine Ableger."
Rechtsextreme Partner erhöhen Druck auf Netanjahu
Unterdessen drängen in Israel die rechtsextremen Partner in der Koalition von Regierungschef Netanjahu ungeachtet internationaler Kritik auf einen Einmarsch in die an Ägypten grenzende Stadt Rafah. Nach dem Rückzug israelischer Truppen aus der Stadt Chan Junis schrieb Polizeiminister Itamar Ben-Gvir auf der Plattform X, vormals Twitter: "Wenn der Ministerpräsident entscheiden sollte, den Krieg zu beenden, ohne einen breiten Angriff auf Rafah, um die Hamas entscheidend zu schlagen, wird er kein Mandat haben, weiter als Regierungschef zu amtieren."
US-Präsident Joe Biden hatte Netanjahu klargemacht, dass ein Einmarsch in Rafah ohne vorherige Evakuierung der Hunderttausenden palästinensischen Zivilisten eine "rote Linie" für ihn wäre. Vertreter der beiden verbündeten Staaten wollen nach Angaben des Kommunikationsdirektors des Nationalen Sicherheitsrates der USA, Kirby, voraussichtlich kommende Woche bei einem persönlichen Treffen über die geplante Offensive beraten.
Blinken: Erwarten keine Rafah-Offensive vor Treffen mit Israel
US-Außenminister Antony Blinken erwartet von Israel vorerst Stillhalten mit Blick auf eine mögliche und umstrittene Bodenoffensive in der Stadt Rafah im Gazastreifen. Für die kommende Woche sei ein Treffen mit einer israelischen Delegation geplant, um über die Bedenken der US-Seite gegen einen solchen Einsatz zu sprechen, sagte Blinken bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem britischen Außenminister David Cameron in Washington. "Ich gehe nicht davon aus, dass vor diesen Gesprächen irgendwelche Maßnahmen ergriffen werden", betonte er. "Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass größere Militäroperationen in Rafah extrem gefährlich für die Zivilbevölkerung wären." Die israelische Seite habe der US-Regierung auch keinen Termin für einen Militäreinsatz in Rafah genannt, sagte Blinken auf Nachfrage.
Israel: Fast 470 Lastwagen mit Hilfsgütern in Gazastreifen gefahren
In den weitgehend zerstörten Gazastreifen sind nach Darstellung Israels in den letzten Tagen deutlich mehr Hilfsgüter für die Zivilbevölkerung gelangt. 468 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern seien inspiziert worden und nach Gaza gefahren, schrieb die für Kontakte mit den Palästinensern und humanitäre Hilfe zuständige israelische Cogat-Behörde am auf der Plattform X (vormals Twitter). "Dies ist die höchste Zahl von Lastwagen mit Hilfsgütern, die seit Beginn des Krieges an einem Tag in den Gazastreifen gefahren sind."
In den letzten drei Tagen seien es mehr als 1200 Lastwagen gewesen. Außerdem seien heute mehr als 300 Pakete mit zahlreichen Mahlzeiten über dem Gazastreifen abgeworfen worden. In der Nacht sei die Fahrt von 47 Lastwagen mit Nahrungsmitteln in den nördlichen Gazastreifen koordiniert worden.
Ein palästinensischer Repräsentant am Grenzübergang Rafah nach Ägypten konnte für Dienstag die Einfuhr von rund 280 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern und Treibstoff bestätigen.
Weißes Haus: Israel hat keinen glaubwürdigen Plan für Rafah vorgelegt
Israel hat aus Sicht der US-Regierung weiter keinen überzeugenden Plan zum Schutz der Zivilbevölkerung im Fall einer Bodenoffensive in der Stadt Rafah im Gazastreifen vorgelegt. Er habe noch keinen "glaubwürdigen und durchführbaren" Plan für die Umsiedlung der Menschen in Rafah gesehen, der detailliert darlege, wie die Zivilisten untergebracht und medizinisch versorgt werden könnten, sagte der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, in Washington. "So bleiben unsere Bedenken bestehen, und wir müssen nun abwarten, was passiert, und die Vereinigten Staaten werden entsprechend reagieren." Sullivan betonte, dass es Kommunikationskanäle mit der israelischen Regierung gebe.
Israel: Erster erfolgreicher Einsatz von Raketenabwehr C-Dome auf See
Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben erstmals mit einer Marine-Variante des Raketenabwehrsystems Iron Dome erfolgreich einen feindlichen Flugkörper gestoppt. Das C-Dome genannte System habe in der Nacht von einer Korvette aus ein unbemanntes Fluggerät abgefangen, das von Osten kam und in die Region des Golfs von Akaba vorgedrungen war. Dort liegt die israelische Küstenstadt Eilat.
Israelische Truppen in der Gegend hätten bei dem Einsatz mit der Luftwaffe und der Besatzung der Korvette kooperiert, hieß es in der Mitteilung. Seit Beginn des Gaza-Krieges vor sechs Monaten seien verschiedene Raketenschiffe, darunter die Sa"ar-6-Korvetten, im Roten Meer positioniert worden.
Die proiranische Gruppe "Islamischer Widerstand im Irak" reklamierte Angriffe auf zwei israelische Ziele für sich. Bei der Gruppe handelt es sich um eine Art Dachgruppe für proiranische Milizen im Irak, die seit den Terrorakten der islamistischen Hamas vom 7. Oktober in Israel gemeinsam unter diesem allgemeinen Namen auftreten.
Papst empfängt Angehörige israelischer Geiseln
Papst Franziskus hat unterdessen Angehörige der von der Hamas vor einem halben Jahr entführten israelischen Geiseln empfangen. Der Vatikan veröffentlichte Fotos, auf denen die Mitglieder von fünf Familien bei einer Privataudienz im Apostolischen Palast zu sehen sind - sie halten Fotos und Plakate in den Händen, die ihre entführten Angehörigen zeigen. Der Papst hatte am Ostersonntag einen sofortigen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln gefordert.
Die Hamas und andere extremistische Gruppen hatten am 7. Oktober rund 1200 Menschen in Israel ermordet und rund 250 Frauen, Männer und Kinder entführt. 105 von ihnen kamen im Zuge einer Feuerpause nach knapp zwei Monaten frei. Knapp 100 der Verschleppten dürften nach israelischen Schätzungen noch am Leben sein.
- Nachrichtenagentur dpa