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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Was ist die Hamas? An Perfidität kaum zu übertreffen
Die Hamas entführt und tötet Menschen – und verfolgt bei ihren Angriffen auf Israel eine perfide Taktik. Das sollten Sie über die Terrororganisation wissen.
Am frühen Samstagmorgen hat die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas Israel angegriffen. Die Terroristen töten und verschleppen Zivilisten – bislang soll es mindestens 700 Tote und 2.400 Verletzte geben. Auch ein Musikfestival nahm die Hamas ins Visier: 260 größtenteils junge Menschen wurden erschossen. Der Großangriff auf das israelische Grenzgebiet gilt als das schlimmste Blutbad seit der Staatsgründung Israels.
Aber was ist eigentlich die Hamas und welche Ziele verfolgt die Terrororganisation? Ein Überblick.
Was ist die Hamas?
Die Hamas ist eine extremistische, islamistische Bewegung, die die EU, USA, Kanada, Ägypten und Japan als Terrororganisation einstufen. Die Abkürzung Hamas steht im Arabischen für "Harakat al-Muqawama al-Islamiya", zu Deutsch "Islamische Widerstandsbewegung". Hamas bedeutet zugleich "Eifer".
Es ist nicht bekannt, wie viele Menschen der Terrororganisation angehören. Die Schätzungen für die Brigaden reichen von mehreren Tausend bis zu 30.000 Mann. Hinzu kommen die Mitglieder, die im karitativen oder politischen Bereich für die Hamas tätig sind. Dem Kern sollen bis zu 3.000 Menschen angehören.
Die Hamas ist ein Zweig der Muslimbruderschaft, die sich in den 1920er-Jahren in Ägypten gegründet hat. 1976 bis 1977 entwickelte sie sich in den Palästinensergebieten, 1978 trug Scheich Ahmed Yassin die Hamas als gemeinnützige Organisation unter dem Namen "al-Mujama" ein.
Die Muslimbruderschaft
ist eine der einflussreichsten sunnitisch-islamistischen Bewegungen im Nahen Osten. Die Sunniten bilden eine Glaubensgruppe im Islam. Ihre Glaubensrichtung wird als Sunnitentum bezeichnet.
In den Anfangsjahren konzentrierte sich die Bewegung darauf, Anhänger zu gewinnen, die ein Leben nach den Grundsätzen des Islam führen, und strebte danach, Einfluss und Macht in Bildungseinrichtungen, Universitäten und Moscheen zu erlangen.
Die heutige Form der Terrororganisation entstand im Zuge des Ausbruchs der Ersten Intifada im Jahr 1987. Ihr Beginn und die Gründung des "Islamischen Dschihad" – einer rivalisierenden Gruppierung, die sich von der Muslimbruderschaft distanzierte – motivierten die Hamas, den militanten Kampf zu beginnen. Neben ihrer Eigenschaft als dschihadistische Organisation formierte sich die Hamas als politische Partei sowie als karitative Organisation.
Intifada
Die Erste Intifada, auch bekannt als "Krieg der Steine", war eine anhaltende gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Palästinensern und der israelischen Armee, die im Dezember 1987 begann. Ab 1991 ging die Gewaltintensität deutlich zurück. Die Oslo-Abkommen von 1993 stellen das Ende der Ersten Intifada dar. Die Zweite Intifada dauerte von 2000 bis 2005.
Die Aktivitäten unter dem Banner des Islams richteten sich dabei nicht nur gegen Juden und israelische Staatsbürger, sondern auch gegen Angehörige der palästinensischen Fatah, der Hauptorganisation der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Nach Gefechten mit Fatah-Kämpfern übernahm die Hamas im Sommer 2007 die Kontrolle im Gazastreifen.
Die Terrororganisation Hamas zeichnet sich durch Gewalt und brutale Attentate aus. Seit 1989 sind laut der israelischen Botschaft in Deutschland bei 127 Attentaten der Hamas 548 Israelis getötet worden. Mit dem jüngsten Großangriff auf Israel kommen Hunderte Tote hinzu (lesen Sie hier mehr zu den aktuellen Entwicklungen).
Gazastreifen
Im Gazastreifen leben mehr als zwei Millionen Menschen nach UN-Angaben unter sehr schlechten Bedingungen. Der Gazastreifen erstreckt sich auf einer Länge von etwa 40 Kilometern entlang des Mittelmeers und ist etwa sechs bis zwölf Kilometer breit.
Welche Ziele verfolgt die Hamas?
Die Hamas hat 1988 ein Manifest veröffentlicht. Das zentrale Ziel der Terrororganisation ist demnach die Zerstörung Israels durch einen Heiligen Krieg, auch Dschihad genannt. Daran solle sich jeder Muslim beteiligen. Die Hamas betont, eine ausschließlich palästinensische Bewegung zu sein, die für die Errichtung eines islamischen Staates im Nahen Osten kämpft. Die Befreiung Palästinas sei die höchste Pflicht. Die Terrororganisation spricht sich außerdem gegen jegliche Friedensinitiativen oder internationale Konferenzen aus.
Der Terrorismusforscher Peter R. Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King's College London, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), dass die Hamas eine nur auf sich selbst bezogene Gruppe geworden sei. Sie verfolge nicht mehr wirklich das Ziel, Israel zu besiegen und einen palästinensischen Staat zu gründen. "Es geht der Hamas vor allem darum, die eigene Macht zu erhalten. Macht über die Palästinenser", so Neumann. Die Hamas greife immer wieder Israel an, um sich bei den völkerrechtlich legitimierten Gegenschlägen Israels dann als Verteidiger der Palästinenser zu inszenieren.
Immer wieder laufen Menschen zur Hamas über
Teilweise scheint das zu funktionieren: Die menschenverachtenden Taten der Islamisten folgen einem Kalkül. Die Terrororganisation weiß, dass sie einen Krieg gegen die hochgerüstete israelische Armee nicht gewinnen kann – und dass Israel mit einer militärischen Operation antworten wird. Auf beiden Seiten sterben dadurch immer wieder Zivilisten, was die Hamas im Falle der Palästinenser in Kauf zu nehmen scheint.
Doch obwohl immer wieder Menschen in diesem Konflikt zu Tode kommen, erhalten die radikalen Kräfte der Hamas danach in der Regel mehr Zulauf. Besonders perfide: Die Islamisten legen ihre Waffendepots im Schutz von Wohngebieten an. Werden Zivilisten bei israelischen Angriffen getötet, machen die Palästinenser nicht die Hamas dafür verantwortlich, sondern Israel. Lesen Sie hier mehr zu der grausamen Strategie der Hamas.
Wie organisiert sich die Hamas?
Die Hamas besteht aus unterschiedlichen militärischen Gruppierungen: Die Izzadim al-Qassam-Brigaden, kurz Kassam-Brigaden, stellen den bewaffneten Arm der Terrororganisation dar. Ihre Angehörigen sind für zahlreiche Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf Israel und Entführungen von israelischen Soldaten in den vergangenen Jahren verantwortlich.
Zugleich umfasst die Hamas auch Hilfsorganisationen. Zudem unterhält sie im Gazastreifen Schulen und soziale Einrichtungen – um sich Sympathien in der Bevölkerung zu sichern. Immer wieder gibt es den Vorwurf, dass Hilfsgelder, die etwa die Europäische Union an Palästinenser-Organisationen in Gaza zahlt, um die leidende Zivilbevölkerung zu unterstützen, teils auch bei Hamas-nahen Organisationen landen.
Organisatorisch gliedert sich die Hamas neben ihrem bewaffneten Arm in zwei Entscheidungsgremien, erklärt die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) auf ihrer Webseite. Eines davon ist der Shura-Rat, der aus 77 Mitgliedern besteht und für die Wahl des Politbüros verantwortlich ist. Das Politbüro wiederum fungiert als die oberste Instanz für Entscheidungen und setzt sich aus 15 Mitgliedern zusammen. Den Vorsitz hat seit 2017 Ismail Haniyya inne, der in der Türkei und Katar leben soll.
Militärchef der Terrororganisation ist Mohammed Deif. Er führt die Kassam-Brigaden an und plant laut israelischem Militär nicht nur Attentate, sondern ist auch selbst am Bombenbau beteiligt. Deif gilt seit Jahrzehnten als "Phantom". Israel hatte nach Medienberichten immer wieder versucht, ihn zu töten. Im Gaza-Krieg 2014 hatte das Militär Deifs Haus angegriffen und dabei seine Frau und seinen kleinen Sohn getötet. Der Militärchef selbst konnte damals entkommen. Mehr zu den Anführern der Hamas lesen Sie hier.
Wie finanziert sich die Hamas?
Laut "Forbes Israel" rangierte die Hamas mit einem Jahresumsatz von einer Milliarde US-Dollar (etwa 1,05 Mrd. Euro) zwischenzeitlich auf Platz zwei der reichsten Terrororganisationen der Welt. Die Hamas finanziert sich zum einen durch Spenden und Mitgliedsbeiträge. Zum anderen erhält die Bewegung finanzielle Unterstützung arabischer und islamischer Länder wie Iran, Saudi-Arabien und Katar.
Schätzungen aus den USA besagen, dass der Iran der Terrororganisation etwa 100 Millionen US-Dollar (rund 105 Millionen Euro) im Jahr zukommen lässt. Hinzu kommen Waffen und Teile für den Raketenbau, die übers Mittelmeer und durch die Tunnelsysteme über Ägypten eingeschmuggelt werden. Katar hat seit 2012 mehr als 2,3 Milliarden US-Dollar an die Hamas gezahlt, heißt es in einem RND-Bericht.
Auch die Türkei hat die Hamas zeitweise unterstützt und es wird spekuliert, ob nach wie vor Zahlungen an die Terrororganisation gehen. Bis 2017 soll das Land unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan bis zu 100 Millionen Dollar pro Jahr an die Hamas überwiesen haben, berichtete der Nachrichtensender "Welt". Offiziell hat die Türkei die Hilfen eingestellt, doch es soll noch inoffiziell Geld an die Hamas fließen. Lesen Sie hier mehr zu den Unterstützern der Hamas.
- kas.de: "Hamas"
- embassies.gov.il: "Die HAMAS – Profil einer Terrororganisation mit Regierungsauftrag"
- rnd.de: "Hamas-Angriff auf Israel: Was will die Terrormiliz und woher hat sie ihre Waffen?"
- welt.de. "Wie die Türkei die Terrororganisation Hamas finanziert" (kostenpflichtig)
- nationalsecurity.gov.au: "Hamas" (englisch)
- bpb.de: "Die Erste Intifada und das Friedensabkommen von Oslo"
- timesofisrael.com: "Hamas second-richest terror group in world, Forbes says" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa