"Eine direkte Folge der Meuterei Prigoschins" Kriegsverbrecher Girkin in Moskau festgenommen
Gegen Igor Girkin liegt ein internationaler Haftbefehl vor, weil er am Abschuss des Passagierfliegers MH17 beteiligt war. Nun ist er in Haft, aber aus einem andern Grund.
Der frühere russische Geheimdienstoffizier und Ultranationalist Igor Girkin - bekannt unter dem Kampfnamen Igor Strelkow - ist wegen Extremismus-Vorwürfen verhaftet worden. Ein Gericht in Moskau setzte gegen den 52-Jährigen Untersuchungshaft bis 18. September an.
Russische Medien veröffentlichten Fotos und Videos von Girkin in einem Glaskasten vor Gericht. Girkin, der in Russlands Krieg ein entschlosseneres Vorgehen gegen die Ukraine verlangt hatte, muss sich wegen Extremismus verantworten. Über die Festnahme hatte auch seine Frau Miroslawa Reginskaja auf Girkins Telegram-Kanal informiert.
Girkin gründete den "Klub der wütenden Patrioten"
Der ehemalige Offizier des Inlandsgeheimdiensts FSB gilt zwar als klarer Befürworter des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, er kritisierte aber zunehmend scharf die Kriegsführung. So warf er der militärischen Führung in Moskau Inkompetenz und Korruption vor. Er forderte außerdem ein noch härteres und rücksichtsloseres Vorgehen in der Ukraine. Kritisierte er zunächst vor allem Generalstabschef Waleri Gerassimow und Verteidigungsminister Sergei Schoigu, so richteten sich seine Vorwürfe zuletzt auch zunehmend gegen Präsident Wladimir Putin, dem er Untätigkeit vorwarf.
Im Mai kündigte Girkin dann an, dass er und andere den "Klub der wütenden Patrioten" gegründet hätten, um in die Politik einzutreten und Russland vor dem zu bewahren, was er als Gefahr von Unruhen aufgrund militärischer Misserfolge in der Ukraine bezeichnete. Auf die Frage, ob er naiv sei, anzunehmen, er könne eine politische Bewegung ohne die Zustimmung des Kremls ins Leben rufen, antwortete er damals: "Ich hoffe, Sie bezeichnen mich nicht als naiv."
Putin persönlich beleidigt
In einer seiner unverblümtesten Tiraden am vergangenen Dienstag in einem Beitrag auf seinem offiziellen Konto auf dem Kurznachrichtendienst Telegram, der von mehr als 760.000 Menschen gelesen wurde, beleidigte Girkin Putin persönlich. Er forderte ihn auf, die Macht "an jemanden zu übergeben, der wirklich fähig und verantwortlich ist". Zudem behauptete er, ein erneuter Putsch stehe an und sprach offen über Machtverhältnisse im Kreml, wie Sie hier lesen können.
Die Festnahme deutet nun darauf hin, dass die Behörden Girkins Kritik an der sogenannten speziellen Militäroperation in der Ukraine – wie der Krieg in Russland offiziell genannt wird – überdrüssig geworden sind. Sie folgt zudem auf die gescheiterte Revolte von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin im vergangenen Monat, der die Militärführung ebenfalls scharf kritisiert hatte.
"Dies ist eine direkte Folge der Meuterei Prigoschins"
Dabei galt Girkin, auch bekannt als Igor Strelkow, aufgrund seines Hintergrunds und seiner Verbindungen zu den Behörden für viele als unantastbar. Er war maßgeblich bei Russlands Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014 tätig und organisierte anschließend pro-russische Milizen, die die Kontrolle über Gebiete in der Ostukraine übernahmen. Für seine mutmaßliche Rolle beim Abschuss des Malaysia-Airlines-Fluges MH17 über der Ostukraine im Jahr 2014, bei dem 298 Passagiere und Besatzungsmitglieder ums Leben kamen, wurde er von einem niederländischen Gericht im vergangenen Jahr in Abwesenheit zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Laut Tatiana Stanowaja, Gründerin der Analysefirma R.Politik, wollten einflussreiche Leute bei den Behörden Girkin schon länger festnehmen. "Strelkow (Girkin) hatte schon vor langer Zeit alle denkbaren Grenzen überschritten", sagte sie. "Dies ist eine direkte Folge der Meuterei Prigoschins: Die Armeeführung verfügt nun über ein größeres politisches Druckmittel, um ihre Gegner im öffentlichen Raum zu unterdrücken." Girkins Festnahme sei ein Signal, dass jeder der schärfsten Kritiker der Moskauer Kriegsstrategie mit Strafverfolgung rechnen müsse.
- Nachrichtenagenturen Reuters und dpa