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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutschlands oberster Verbraucherschützer im Interview "Volkswagen hat die Autofahrer betrogen"
VW muss verurteilt werden, sagt
Die Kurzbilanz von dreieinhalb Jahren Dieselkrise: Manipulierte Autos verlieren drastisch an Wert, dürfen obendrein bald nicht mehr in viele Innenstädte. Ihre Besitzer sollen einfach neue Autos kaufen – und werden mit Rabatten abgespeist, die in Wahrheit keine sind. Etliche von ihnen zogen vor Gericht – und bekamen Recht. Hunderttausende Opfer hingegen scheuen diesen Schritt.
Für sie zieht Klaus Müller (48) ins Feld. Der Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) legt sich nicht nur mit einzelnen VW-Händlern an, sondern auch mit dem Wolfsburger Konzern selbst – stellvertretend für mindestens 400.000 Autofahrer.
Im Gespräch mit t-online.de erklärt er, was die erste Sammelklage Deutschlands den Dieselfahrern bringt, warum ein Ausgang ohne Urteilsspruch eine gute Lösung sein könnte. Und er sagt, warum die umstrittene Deutsche Umwelthilfe (DUH) aus seiner Sicht kein Abzockverein ist.
t-online.de: Mehr als 400.000 Betroffene haben sich Ihrer Musterfeststellungsklage bisher angeschlossen. Was erwarten Sie als Verband von dieser Klage?
Klaus Müller: Wir wollen zwei Dinge erreichen. Erstens: Dass Volkswagen vor Gericht verurteilt wird. Und zwar, weil wir glauben, dass sie die Kunden betrogen haben. Es geht darum, dass diese Kunden Recht bekommen und dass die Behauptung, Volkswagen wäre unschuldig, widerlegt wird.
Und zweitens?
Die Leute erleben derzeit, wie ihr Auto durch den Skandal an Wert verliert. Deshalb wollen wir für sie eine klare finanzielle Entschädigung erstreiten: Die Menschen müssen den Wertverlust ihres Autos entschädigt bekommen.
Klaus Müller (48) leitet den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) seit 2014. Vorher war er acht Jahre lang Vorstand der Verbraucherzentrale NRW. Von 2003 bis 2005 war er Umweltminister von Schleswig-Holstein, 1998 bis 2000 gehörte Müller dem Deutschen Bundestag an. In Deutschlands erster Sammelklage zieht er gegen den Volkswagen-Konzern vor Gericht.
Betroffene können sich nach wie vor der Klage anschließen. Allerdings ist nicht ganz klar, wie lange.
Genau. Zweck des Gesetzes ist, die Verjährung in solchen Fällen zu hemmen. Deswegen haben wir am 1. November 2018 Klage eingereicht. Man kann sich bis zum Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung in das Klageregister beim Bundesamt für Justiz eintragen. Das tun Autofahrer nach wie vor.
Wann beginnt die mündliche Verhandlung?
Wir wissen es nicht. Es hat in Deutschland noch keine Musterfeststellungsklage in dieser Größenordnung gegeben. Und hier geht es um sehr viel Geld. Darum lässt sich das Gericht zu Recht Zeit. Ich hoffe, dass die mündliche Verhandlung im zweiten Quartal 2019 beginnt. Dann wird auch das Klageregister geschlossen.
Mit dem Ende des Verfahrens muss nicht zwangsläufig auch die Dieselkrise ihr Ende finden. Werden die Autofahrer noch mehr Geduld benötigen?
Gut möglich. Das Verfahren vor dem Braunschweiger Oberlandesgericht, wo es verhandelt wird, ist so relevant, dass wir davon ausgehen: Die unterlegene Seite wird dann vor den Bundesgerichtshof (BGH) ziehen. Denn eine so wichtige Frage muss höchstrichterlich geklärt werden.
Wenn die Musterfeststellungsklage scheitert, haben alle beteiligten Autofahrer keine Chance mehr, auch nur einen Cent von Volkswagen zu sehen. Für sie ist dann Schluss. Das ist nicht sehr motivierend.
Die Musterfeststellungsklage hat eine doppelte Bindungswirkung: Wenn wir gewinnen, haben alle Autofahrer, die mitgemacht haben, Recht bekommen. Alle bisher 400.000. Umgekehrt gilt das gleiche. Man kann dann nicht noch einmal individuell klagen. Deshalb haben wir immer betont, dass die Klage vor allem für die eine Chance ist, die alleine nicht geklagt hätten und deren Ansprüche verfallen wären. Sie bekommen eine zusätzliche Chance, wenn sie sich in das Klageregister der Musterfeststellungsklage eintragen.
Etliche Autofahrer haben eigene Prozesse gegen Volkswagen geführt. Für wen genau lohnt es sich dann, bei der Sammelklage mitzumachen?
Diese Einzelkläger haben Sicherheiten, zum Beispiel sehr häufig eine Rechtsschutzversicherung, so dass das finanzielle Risiko für sie abgedeckt ist. Wer unseren Weg nutzt, hätte in der Regel individuell nicht geklagt. Weil er es nicht kann – etwa, weil er keine Rechtsschutzversicherung hat. Für diese Betroffenen ist die Musterfeststellungsklage ein einfacher und günstiger Weg, zu ihrem Recht zu kommen. Sie haben dabei nichts zu verlieren. Denn das Kostenrisiko tragen wir.
Bei einer Musterfeststellungsklage kann man sich kostenlos an dem Verfahren beteiligen. Ein Verbraucherverband oder eine Institution lässt hierbei vor Gericht klären, ob Verbraucher bei einem Thema Ansprüche geltend machen können. Im zweiten Schritt können sie bei Erfolg ihre individuellen Rechte vor Gericht klären. Dazu muss man sich ins Klageregister eintragen. Das ist kostenlos online möglich. Sollte die Feststellungsklage unbegründet sein, ist die Entscheidung bindend. Dann können Verbraucher ihre Rechte nicht mehr in anderen gerichtlichen Verfahren geltend machen.
Trotzdem: Auch wenn die Klage erfolgreich ist, muss jeder einzelne Autofahrer individuell um seine Entschädigung streiten.
Ja. Das ist ein wichtiger Konstruktionsfehler im Gesetz. In der ersten Runde wird nur festgestellt: Hat Volkswagen betrogen? Leider können wir hier noch nicht den Eurobetrag durchsetzen, der jedem Einzelnen zusteht.
Und die zweite Runde?
Die ist wie der berühmte Elfmeter ohne Torwart: Sie haben bereits Recht bekommen. Jetzt geht es nur noch darum, wie hoch ihre Entschädigung ausfällt. Sie können nicht mehr verlieren. Aber konkrete Entschädigungen werden individuell entschieden. Vorausgesetzt, sie haben sich rechtzeitig in das Klageregister eingetragen.
Nochmal zurück zur ersten Runde: Da geht es natürlich ums Gewinnen oder Verlieren. Es gibt aber noch eine Alternative.
Richtig. Und die ist absolut denkbar. In vielen einzelnen Entscheidungen war Volkswagen dazu bereit, einen Vergleich zu schließen. Wenn das Gericht in unsere Richtung tendiert, könnte VW über einen Vergleich verhandeln wollen. Dann könnten die Betroffenen unmittelbar entschädigt werden, sie müssten nicht noch einmal vor Gericht ziehen. Und dazu bräuchte man noch nicht einmal ein Urteil.
Und darauf würden Sie auch eingehen?
Natürlich, wenn der Vergleich stimmt.
Dann bliebe die Frage nach der Vergleichssumme.
Darüber kann man natürlich nicht schon vor der Verhandlung reden. Aber sagen wir so: Wir sehen mit Interesse, wie sich die Rechtsprechung in dieser Frage entwickelt hat. Und in den jüngeren Urteilen – allerdings erstinstanzlichen – sagen die Gerichte: Volkswagen hat betrogen und muss den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung zahlen. Ich finde, das ist eine kluge Rechtsprechung.
Immerhin könnte Volkswagen auf diese Weise ein Urteil verhindern – und wäre nicht als Betrüger gebrandmarkt.
Eben, und diese Taktik kennen wir auch von Banken und Versicherungen: Viele Unternehmen nehmen lieber einen Vergleich in Kauf als ein negatives Urteil. In diesem Fall ist das für die Verbraucher auch absolut in Ordnung. Denn es geht hier nicht nur darum, Recht zu bekommen. Sondern es geht den Autofahrern auch darum, Geld zu sehen. Das ist auch legitim, gemessen an dem Wertverlust, den die Autofahrer erleben.
Und an der Geduld, die ihnen abverlangt wird. Dreieinhalb Jahre dauert die Dieselkrise nun an. Ihre Prognose: Wann können wir das Thema endlich zu den Akten legen?
Das hängt von der deutschen Autoindustrie ab. Zur Erinnerung: Nicht nur Volkswagen hat betrogen. Auch Daimler hat einen verpflichtenden Rückruf hinter sich. Weitere Konzerne stehen zu Recht in der Kritik.
Und es hängt auch vom Bundesverkehrsminister ab, der ja nicht nur rühmlich agiert hat. Neben dem Wertverlust beschäftigt ja die Menschen nach wie vor, wohin sie mit ihrem Auto künftig noch fahren dürfen. Die finanzielle Frage klären wir gerade – leider gerichtlich. Die Frage der Fahrverbote ist eine andere: Hier bräuchte es Druck der Bundesregierung, Software- und vor allem Hardware-Nachrüstungen durchzuführen. Und zwar auf Kosten der Verursacher und mit Garantien für die Autofahrer.
Die Sammelklage gegen VW ist die erste ihrer Form in Deutschland. Aber nicht die letzte, wie Sie schon angekündigt haben. Unter welchen Bedingungen ist denn eine Musterfeststellungsklage das geeignete Rechtsmittel?
Drei klassische Felder sind zum Beispiel die Energie-, die Versicherungs- und die Reisebranche. Hier sind schnell sehr viele Menschen von ein und dem gleichen Schaden betroffen. Und die Schadenssumme ist oftmals zwar ärgerlich hoch – aber auch wieder nicht so hoch, als dass der Einzelne dafür vor Gericht zieht. Wenn allerdings Hunderte oder Tausende betroffen sind, dann ist der Gesamtschaden doch sehr groß. Und auch der Gewinn, den das Unternehmen zu Unrecht macht. Das ist ungerecht gegenüber den Verbrauchern und auch gegenüber den ehrlichen Konkurrenzunternehmen. Hier sind Sammelklagen ein gutes Mittel. Das übrigens auch zu fairem Wettbewerb beiträgt. Denn warum sollen eigentlich die ehrlichen Unternehmen die Dummen sein?
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Neben der Sammelklage haben Sie weitere Möglichkeiten, um Unternehmen auf die Füße zu treten. Unter anderem die Abmahnung. Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ist berechtigt, Abmahnungen auszusprechen und wird dafür von bestimmten Medien immer wieder diskreditiert. Ihre Meinung: Ist die DUH ein Abzockverein?
Nein, ist sie nicht. Vergessen wir nicht: Auch andere Organisationen wie die wirtschaftsnahe Wettbewerbszentrale sprechen Abmahnungen aus – genauso wie die Verbraucherzentralen. Und die Abmahnung ist ein sehr gutes Instrument. Denn sie sorgt dafür, dass ein Verstoß gegen ein Gesetz einfach und schnell abgestellt wird. Im Prinzip ist die Abmahnung wie eine gelbe Karte im Fußball. Sie zeigt einem Unternehmen: Du hast gerade gefoult – mach das nicht noch einmal. Das Unternehmen kann dann eine Unterlassungserklärung unterzeichnen und damit zeigen: Ich habe es verstanden und tue es nicht wieder. Es kann aber auch ablehnen. Und dann sieht man sich eben vor Gericht wieder. So sorgt man in einem Rechtsstaat dafür, dass sich alle an die Spielregeln halten.
Da wir schon über Ihre Abmahnungen sprechen: Wie hohe Gewinne erwirtschaften Sie damit?
Gar keine. Das dürfen wir als gemeinnütziger Verein auch gar nicht. Sondern unsere Abmahnungen sorgen dafür, dass sich jeder an Recht und Gesetz hält.
Ein gemeinnütziger Verein ist die DUH auch. Trotzdem unterstellt man, sie bereichere sich durch Abmahnungen. Haben Sie als Verbraucherschützer jemals ähnliche Anfeindungen erlebt?
Eine solche Emotionalität in der Diskussion habe ich bei unserer Arbeit bisher noch nicht erlebt.
Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch.