Fragen zur Stickoxid-Debatte Straße und Arbeitsplatz: Darum gelten verschiedene Grenzwerte
Ist eine Kerze schädlicher als ein Dieselauto? Warum gibt es innen und außen verschiedene Grenzwerte? Und weshalb haben Ärzte noch keinen Stickoxid-Toten gesehen? Darauf gibt es Antworten.
Inhaltsverzeichnis
- Wer legt fest, wo die Luft gemessen wird?
- Werden Messstationen trotzdem falsch aufgestellt?
- Müssen diese Stationen versetzt werden?
- Wie arbeitet eine Messstation?
- Wer legt die Grenzwerte für Stickoxide fest?
- Warum gelten auf der Straße andere Grenzwerte als am Arbeitsplatz?
- Kerzen und Stickoxide: Was hat es damit auf sich?
- Ärzte haben noch keine Stickoxid-Kranke oder -Tote gesehen – wie kann das sein?
Zuerst waren die Dieselautos umstritten. Dann die Schadstoff-Messstationen. Und schließlich die Stickoxide selbst und ihre Grenzwerte. Gegen Fahrverbote wird zum Beispiel häufig angeführt, dass jede Kerze im Wohnzimmer schädlicher sei als die Dieselautos auf der Straße. Oder dass es keine Stickoxid-Opfer gäbe. Manches davon ist nicht ganz falsch – aber eben auch nicht ganz richtig. Die wichtigsten Fragen und Antworten finden Sie hier.
Wer legt fest, wo die Luft gemessen wird?
Wo Messstellen stehen sollen, findet sich in der EU-Richtlinie 2008/50/EG. Darin ist festgelegt, dass an Orten mit „höchsten Konzentrationen“, aber auch an Orten mit geringer Belastung gemessen werden soll. Für den konkreten Standort der Station gibt es einen gewissen Spielraum. Die Station soll „mindestens 25 Meter vom Rand verkehrsreicher Kreuzungen und höchstens 10 Meter vom Fahrbahnrand entfernt“ stehen, außerdem „in einer Höhe zwischen 1,5 Metern (Atemzone) und 4 Metern über dem Boden“. Diese Angaben müssen berücksichtigt werden, soweit es möglich ist.
Werden Messstationen trotzdem falsch aufgestellt?
Seit längerem wird immer wieder berichtet, die Standorte der Stationen seien falsch gewählt. Und dadurch seien deren Messwerte viel schlechter als die tatsächlichen Luftwerte. Im November 2018 kündigte das Bundesumweltministerium deshalb an, dass alle Stationen überprüft werden. Das wird einige Monate dauern. In Nordrhein-Westfalen ist diese Prüfung bereits beendet. Dort stand nur eine von 170 Messstationen falsch – und die zählt nicht zum EU-Messnetz.
Ein Einzelfall wie dieser lässt sich so erklären: Einige ältere Messstationen wurden aufgestellt, bevor die derzeit gültigen Kriterien beschlossen wurden.
Müssen diese Stationen versetzt werden?
Das klingt erst einmal sinnvoll – ist es aber nicht. Denn dann lässt sich die Messreihe dieser Station mit jahrelang gesammelten Daten nicht fortsetzen. Auch eine – im Nachhinein – nicht ideal aufgestellte Station kann wichtige Informationen darüber liefern, wie sich die Luftqualität entwickelt.
Wie arbeitet eine Messstation?
Die Apparatur sieht recht einfach aus, hat aber einiges drauf: Ein großer Kasten, Schläuche, Rohre und irgendetwas wie ein Trichter – damit wird ermittelt, wo künftig noch Dieselautos fahren dürfen und wo nicht.
Der Trichter ist aber viel mehr ein Ansaugstutzen für Außenluft, die durch Schläuche in ein Messgerät geleitet wird. Dort wird sofort bestimmt, wie hoch beispielsweise der Stickoxidanteil in der Luft ist. Das kann kontinuierlich geschehen oder in bestimmten Zyklen, etwa stündlich.
Die Daten werden anschließend verarbeitet, zu Mittelwerten verrechnet und an eine Datenzentrale gesendet. Der Stickoxidgehalt wird übrigens durch ein optisches Verfahren gemessen: Der zu messende Stoff nimmt eine bestimmte Lichtmenge auf oder gibt sie ab, nachdem er dazu angeregt wird. Die Menge dieses Lichts verrät die Konzentration des Stoffs.
Wer legt die Grenzwerte für Stickoxide fest?
Die Grenzwerte sind die maximale Belastung der Außenluft mit Stickoxiden, bei der niemand gesundheitlich beeinträchtigt wird. Dazu zählen nicht nur gesunde Erwachsene, sondern auch besonders empfindliche Menschen wie Kinder, Schwangere und Ältere. Die Werte wurden anhand von Studien bestimmt, die strenge Kriterien erfüllen mussten. Sie basieren auf Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Die von der Europäischen Union (EU) beschlossenen Grenzwerte entsprechend weitgehend den WHO-Empfehlungen. Deutschland hat sie in der 39. Bundesimmissionsschutzverordnung gesetzlich bindend festgelegt.
Warum gelten auf der Straße andere Grenzwerte als am Arbeitsplatz?
Häufig wird argumentiert: Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Stickoxidbelastung am Arbeitsplatz viel höher sein darf als auf der Straße. Aber ist das tatsächlich nicht nachvollziehbar?
Diese Grenzwerte gelten
Auf der Straße: 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel, 200 Mikrogramm im Einstundenmittel (Kurzzeitgrenzwert)
Am Arbeitsplatz: 950 Mikrogramm
Schauen wir mal genauer hin: Der häufig genannte Grenzwert von 950 Mikrogramm für Arbeitsplätze gilt tatsächlich – allerdings nicht für Arbeitsplätze im Büro. Sondern in Industrie und Handwerk, wo man eine höhere Belastung erwarten muss (etwa weil mit Feuer gearbeitet wird).
Hinzu kommt: Der Grenzwert dort gilt für variable Konzentrationen, denen man im Durchschnitt während des Arbeitslebens ausgesetzt werden darf – und das in der Regel für nicht mehr als 40 Stunden in der Woche. Die Beschäftigten an diesen Arbeitsplätzen haben meist keine bedeutenden Atemwegserkrankungen. Die Außenluft hingegen atmen alle Menschen permanent und lebenslang ein – darunter eben auch Kinder und Ältere.
In Büros wiederum gelten ganz andere Grenzen. Der langfristige Richtwert kommt Ihnen sicherlich bekannt vor: Er ist von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bestimmt worden – und liegt bei 40 Mikrogramm. Daneben gibt es aber noch zwei weitere Werte:
- den Kurzzeitrichtwert I (Vorsorgewert), 80 Mikrogramm, gemessen über eine Stunde,
- den Kurzzeitrichtwert II (Gefahrenwert), 250 Mikrogramm, ebenfalls gemessen über eine Stunde.
Kerzen und Stickoxide: Was hat es damit auf sich?
Jede brennende Kerze stößt mehr Stickoxid aus als ein Dieselauto, wird oft angemerkt. Viele brennende Kerzen oder auch ein Gasherd können tatsächlich die Stickoxidkonzentration auf mehr als 200 Mikrogramm erhöhen – und damit über den Kurzzeitgrenzwert für die Außenluft. Ein schädlicher Wert also – wenn man ihm ein Leben lang ausgesetzt wäre. Das ist aber erstens nicht der Fall und zweitens kann man die Belastung sehr schnell senken. Man muss nur das Fenster öffnen. Das hilft aber nur, wenn die Außenluft sauber ist. Auch deshalb pochen die Befürworter auf den Grenzwerten für den Außenbereich: Denn in aller Regel ist die Luft innen höchstens so gut wie außen.
Ärzte haben noch keine Stickoxid-Kranke oder -Tote gesehen – wie kann das sein?
Wie bedenklich Stickoxide sind, wird immer wieder selbst von Ärzten in Frage gestellt. Schließlich hätten sie noch keinen Stickoxid-Toten untersucht. Die Erklärung hierfür ist recht einfach: Menschen sterben an Erkrankungen – nicht aber an Risikofaktoren. Stickoxid ist ein Risikofaktor, durch den sich über Jahre hinweg eine Erkrankung entwickeln kann. So stirbt man beispielsweise an einem Herzinfarkt (Ursache), den der Arzt feststellt und im Totenschein einträgt. Ob der Infarkt unter anderem durch Luftschadstoffe ausgelöst wurde, stellt der Arzt aber nicht fest.
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Die Folgen einer Belastung – oder umgekehrt: die Ursachen einer Erkrankung – lassen sich in Studien nicht direkt beobachten. Man kann sie nur anhand von bevölkerungsbezogenen Studien nachweisen. Diese Studien zeigen: Bei großen Mengen von Luftschadstoffen erkranken mehr Menschen als bei sauberer Luft. Und sie sterben teils um Jahre früher.
Außerdem ist die Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen nötig, um die Auswirkungen der Schadstoffe auf den Menschen untersuchen zu können. Die klinische Erfahrung eines Arztes genügt dazu nicht.
- Umweltbundesamt
- Nachrichtenagentur dpa