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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Corona-Flickenteppich So verwirrend sind die Regeln für deutsche Risikogebiete
Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz rufen regionale Risikogebiete in Deutschland aus. Doch die Regeln, die für Urlauber gelten, sind für viele nicht ganz nachvollziehbar.
Wer sich in bestimmten Berliner Stadtteilen aufhält und Urlaub in Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz machen möchte, unterliegt jetzt strengen Corona-Auflagen. Für Einreisende aus innerdeutschen Risikogebieten gelten in den Bundesländern ähnlich strenge Regeln wie für jene aus einem Risikogebiet im Ausland. Allerdings haben die neuen Maßnahmen einige Tücken.
Was gilt für regionale Risikogebiete?
Gibt es in einem Landkreis, einer kreisfreien Stadt oder einem Teilgebiet mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche, gilt dieser Ort laut Robert Koch-Institut als Corona-Risikogebiet. Momentan (Stand: 6. Oktober 2020) betrifft das für Schleswig-Holstein die Städte Hamm und Remscheid sowie die Berliner Bezirke Mitte, Neukölln, Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg.
Wer sich mehr als 48 Stunden in einem dieser Gebiete aufgehalten hat, muss sich in Schleswig-Holstein in Quarantäne begeben, sich beim zuständigen Gesundheitsamt melden und kann die Quarantäne beispielsweise verkürzen, wenn ein negativer Corona-Test vorliegt, der nicht älter als 48 Stunden ist. Kostenlos ist der Test allerdings nicht, anders als für Einreisende aus ausländischen Risikogebieten.
In Rheinland-Pfalz hingegen werden die Risikogebiete aufgezählt, die auch das Robert Koch-Institut in seinem täglichen Lagebericht zum Coronavirus listet. Dazu gehört zusätzlich zu den Risikogebieten, die Schleswig-Holstein festgelegt hat, auch der Landkreis Vechta.
Rheinland-Pfalz hat Quarantänepflicht für alle Einreisenden aus Risikogebieten im In- und Ausland beschlossen. Wer aus einer Risikoregion innerhalb Deutschlands nach Rheinland-Pfalz reist, ist demnach verpflichtet, sich direkt nach der Einreise für 14 Tage in Quarantäne zu begeben. Ausnahmen gibt es beispielsweise, wenn Sie nur auf der Durchreise sind oder einen negativen Corona-Test vorweisen können, der nicht älter als 48 Stunden ist.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer erklärte dazu: "Der Landesregierung ist es wichtig, eine Lösung zu finden, die dafür sorgt, dass Urlaub in Rheinland-Pfalz sicher bleibt und in Hotels und Pensionen auch handhabbar ist."
In Mecklenburg-Vorpommern müssen hingegen Einreisende aus Hamm, Remscheid und Vechta in Quarantäne, nicht aber jene aus den vier Berliner Bezirken. Einreisebeschränkungen oder Quarantäne für Rückkehrer werden laut Gesundheitsministerium erst dann wirksam, wenn Berlin als Stadtstaat insgesamt mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen aufweise. Nach jüngsten Berechnungen liegt der Durchschnittswert für Berlin unter 40. In einigen anderen Bundesländern gibt es statt der Quarantäne-Regel ein Beherbergungsverbot für Reisende aus innerdeutschen Risikogebieten.
Liebe Leserinnen und Leser: Sind Sie persönlich von den regionalen Regelungen betroffen? Ist es für Sie nun schwieriger möglich, Ihre Familie zu sehen, gerät Ihre geplante Urlaubsreise in Gefahr oder hat sich für Sie darüber hinaus eine absurde Situation ergeben? Schicken Sie uns Ihre Geschichte per Mail an leseraufruf@t-online.de. Eine Auswahl der Beiträge werden wir mit Nennung des abgekürzten Namens veröffentlichen.
Kritik: So absurd sind einige Regelungen
Vor allem die Unterteilung der Hauptstadt in Risikogebiete und Nicht-Risikogebiete erscheint vielen absurd. So fragen sich Berliner, die beispielsweise im Bezirk Prenzlauer Berg wohnen, aber in Mitte oder Neukölln arbeiten, ob sie nicht eigentlich sogar gefährdeter sind, als diejenigen, die zwar beispielsweise in Neukölln wohnen, aber täglich in ein Nicht-Risikogebiet zur Arbeit fahren. Hinzu kommt die Frage der Kontrolle: Wie soll in Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz überprüft werden, ob der Urlauber in Mitte, Neukölln, vielleicht aber doch in Prenzlauer Berg, Pankow oder Marzahn lebt, oder sich an einem Ort länger als 48 Stunden aufgehalten hat?
Auch in Mainz erscheint die Regel für Reisende aus Risikogebieten seltsam in Anbetracht der Tatsache, dass man in kurzer Zeit in Frankfurt und damit in einer Stadt ist, die mit einer aktuellen 7-Tages-Inzidenz von rund 47 Neuinfektionen bald selbst zum Risikogebiet werden könnte. So erklärt ein Mainzer Hotelier im "heute journal": "Wir haben für uns beschlossen, wir schicken den Gast zum Flughafen, wo man auch abends noch einen Corona-Test machen kann. Wenn er dann nicht wiederkommen darf, quartieren wir ihn vielleicht in einem unserer Schwesterhotels in Frankfurt ein." Doch: Auch das geht nicht, denn in Hessen gilt zwar aktuell noch keine Quarantänepflicht, wohl aber ein Beherbergungsverbot für Reisende aus Risikogebieten innerhalb Deutschlands.
Das sagen Experten zu den neuen Maßnahmen
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht im Fall von Berlin die Aufteilung in Bezirke skeptisch. "Das ist hier eine große, dynamische Stadt. Wir alle sind jeden Tag in verschiedenen Bezirken im Zweifel unterwegs. Ich wünsche mir sehr, dass es einen auf Gesamt-Berlin bezogenen Ansatz gibt", sagte Spahn am Montag in Berlin.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert deshalb möglichst einheitliche Quarantäneregeln aller Bundesländer für Reisende aus innerdeutschen Corona-Hotspots. Dazu werde es am Mittwoch eine Schalte der Chefs der Staatskanzleien der Länder geben, kündigte Söder an. "Ich fände eine einheitliche Regelung in Deutschland sicherlich gut", betonte Söder. Er verwies aber darauf, dass es in den bayerischen Corona-Regularien schon jetzt die Möglichkeit gäbe, ein Beherbergungsverbot für Reisende aus Corona-Hotspots zu erlassen, "außer man testet sich frei".
Und weiter: "Es spricht viel dafür, diese Regelung von Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz auch in Bayern anzuwenden", sagte Söder. Es solle aber zunächst versucht werden, zu einer "national halbwegs verbindlichen Sprachregelung" zu kommen. "Das wäre auch für die Bürger am besten", betonte Söder und warnte vor einem neuen "Flickenteppich". "An der Stelle gibt es wieder unglaublich viel Verwirrung und unglaublich viel Verunsicherung."
Auch der Hamburger CDU-Landesvorsitzende Christoph Ploß warnte im "Spiegel": So ein Flickenteppich in Deutschland trage nur zur Verwirrung bei und werde auch das Infektionsgeschehen kaum eindämmen. "Wer soll das Ganze denn wirksam kontrollieren, wenn beispielsweise ein Stadtteil in einer deutschen Großstadt Risikogebiet ist, der Nachbarstadtteil aber nicht? Ich halte daher von dieser Regelung nichts."
Ähnlich sieht es laut "Neuer Osnabrücker Zeitung" auch Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann. Sie versicherte gegenüber der Tageszeitung, dass in ihrem Land derzeit nicht an ein Übernachtungsverbot für Menschen aus innerdeutschen Risikogebieten gedacht werde. Solche Regelungen seien auch "praktisch nicht umsetz- oder gar kontrollierbar", sagte die SPD-Politikerin.
Wie sollen die neuen Regeln kontrolliert werden?
"Die Verantwortung für die Einhaltung der Quarantänepflicht tragen die Menschen, die aus dem Risikogebiet kommen", erklärte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer. "Verstöße dagegen sind bußgeldbewehrt. Hoteliers sichern sich durch eine Selbstauskunft ihrer Gäste ab. Wir waren darüber im Austausch mit den kommunalen Spitzenverbänden, der Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH, dem Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA Rheinland-Pfalz und den Industrie- und Handelskammern."
Ähnlich hält es auch Schleswig-Holstein: Einreisende ins Bundesland werden nicht kontrolliert, man halte sich dabei an den §1 Absatz 2 der Verordnung zur Bekämpfung des Coronavirus, erklärte Regierungssprecher Eugen Witte gegenüber dem Nachrichtenportal "watson": "Umzusetzen sind diese Ge- und Verbote vorrangig in Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger und nachrangig durch hoheitliches Handeln der zuständigen Behörden." Auf der Internetseite der Landesregierung heißt es aber auch: "Es gibt stichprobenartige Überprüfungen (zum Beispiel an der dänischen Grenze). Es kann ein Bußgeld verhängt werden, wenn man sich nicht an die Regelungen hält."
Dr. med. Ute Teichert, Bundesvorsitzende der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes hingegen zeigt sich überrascht über die neuen Regelungen: "Ich bin selber überrascht über die Nachricht. Die Gesundheitsämter haben mit der Umsetzung der neuen Regel aber nichts zu tun. Wie das kontrolliert werden soll, wissen wir nicht, in der Corona-Schutzverordnung gibt es für die Gesundheitsämter keine spezielle Handlungsanweisung dazu."
Welche Strafen drohen?
Von Schleswig-Holstein heißt es, es seien Bußgelder bis zu 10.000 Euro bei Verstößen gegen die Quarantäneverordnung möglich. "Beispielsweise wenn Sie bei Ihrer Ein- oder Rückreise aus einem Risikogebiet gegen die Regel der 14-tägigen Quarantäne im eigenen Zuhause oder einer anderen geeigneten Unterkunft verstoßen."
Weiter heißt es: "Wenn Sie sich bei Ihrer Ein- oder Rückreise aus einem Risikogebiet nicht auf direktem Weg nach Hause oder eine andere geeignete Unterkunft begeben, drohen bis zu 3.000 Euro Bußgeld. Bis zu 5.000 Euro Bußgeld kann verhängt werden, wenn Sie trotz der Quarantänebestimmungen nach der Ein- oder Rückreise aus einem Risikogebiet Besuch empfangen, bis zu 2.000 Euro, wenn Sie sich nicht beim zuständigen Gesundheitsamt melden."
Etwas "günstiger" werden Verstöße in Rheinland-Pfalz. Der Bußgeldkatalog des Landes listet beispielsweise 250 Euro Bußgeld, wenn Einreisende nicht auf direktem Weg in Quarantäne gehen. Ein Verstoß gegen die Quarantänepflicht kostet bis zu 1.000 Euro, gleiches gilt für die fehlende Meldung an das zuständige Gesundheitsamt.
- Bundesregierung: "Coronavirus in Deutschland"
- Internetseiten der Landesregierungen Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz
- Nachrichtenagentur dpa
- Robert Koch-Institut, Lagebericht 5. Oktober 2020
- "heute Journal" vom 5. Oktober 2020