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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Beraterin gibt Tipps Wie Krebspatienten bei der Therapie mitbestimmen können
Diagnose: Krebs. Für Betroffene ein Schock. Eine Expertin digitaler Therapiebegleitungen gibt Tipps, wie Patienten mit der Krankheit umgehen können.
Jedes Jahr erkranken in Deutschland fast eine halbe Million Menschen an Krebs – Tendenz steigend. Allein im Jahr 2020 starben knapp 239.000 Menschen an den Folgen ihrer Tumorerkrankung. Damit ist Krebs in Deutschland nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache.
Die Diagnose einer Krebserkrankung geht für Betroffene meist mit einem Schock einher. Dazu kommen oft ein sich verschlechternder Gesundheitszustand und zahlreiche Arzttermine mit komplizierten Therapiemöglichkeiten. Die Patienten stehen vor einer enormen Herausforderung. Wie geht es weiter? Was kann ich tun? Was wird mit mir gemacht? Nicht wenige verlieren in dieser Situation ihr Selbstvertrauen und ihre Entscheidungsfähigkeit.
Um Menschen zu helfen, auch in gesundheitlichen Krisensituationen eigenständig zu ihrer Genesung beizutragen, hat sich bereits in den 1980er-Jahren das Konzept der personenzentrierten Medizin entwickelt. Heute ist das Prinzip auch als "Patient-Empowerment" bekannt. Dieser Bewegung hat sich auch Claudia Poguntke angeschlossen.
Als ehemalige Leukämie-Erkrankte kennt sie den Leidensweg von Betroffenen und engagiert sich seither für die Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Krebspatienten. Im Gespräch mit t-online erklärt sie, wie das funktioniert und welche Vorteile es bringen kann, sich als Patient aktiv einzubringen.
t-online: Was genau bedeutet es für Sie, Patienten bei gesundheitlichen und therapeutischen Entscheidungen zu stärken?
Claudia Poguntke: Es ist wichtig, dass Menschen Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen. Und da braucht es manchmal ein bisschen Hilfe zur Selbsthilfe. Im Patient-Empowerment geht es genau darum: Menschen werden nicht in eine Richtung gelenkt. Stattdessen werden sie begleitet und befähigt, die eigene Erkrankung und Therapie besser zu verstehen, um auch selbst Entscheidungen treffen zu können.
Wie haben Sie das persönlich empfunden? Wurden Sie angemessen begleitet?
Ich hatte die Erstdiagnose einer akuten myeloischen Leukämie im April 2009. Im Rückblick muss ich sagen, dass ich sehr gut aufgefangen wurde. Ich wurde aufgeklärt und das Pflegepersonal hat mich immer motiviert durchzuhalten. Nur leider musste ich auch andere Erfahrungen machen.
Was für Erfahrungen waren das?
Ärzte, die unter unheimlichem Zeitdruck stehen, zum Beispiel. Wenn etwa bei der Überbringung schlechter Nachrichten die Empathie gänzlich auf der Strecke bleibt, kann das zusätzlich sehr belastend sein. Oft wird nicht hinterfragt, wie sich ein Mensch fühlt, der als "die Leukämie von Zimmer 12" oder "das Karzinom von der 4B" bezeichnet wird.
Im Fall einer Krebsdiagnose ist das ja oft so, dass man von einer auf die andere Sekunde aus seinem normalen Alltag gerissen wird. Plötzlich ist man Patient mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung. An einem Tag hatte ich noch berufliche Entscheidungen zu treffen und am nächsten Tag musste ich die Beschaffenheit meines Stuhls protokollieren. Das war die neue Realität. Und da braucht man Ärzte und Pflegepersonal, die verstehen, dass man das erst einmal lernen muss.
Gab es einen Schlüsselmoment, an dem Sie gemerkt haben, da muss sich etwas am System ändern?
Es gab sicherlich mehrere. Aber einer davon war der Moment, an dem ich – nach Abschluss meiner Akuttherapie – aus der engmaschigen Betreuung raus war. Die Behandlung war erfolgreich beendet, aber es war eben nicht mehr "alles gut". Im Gegenteil. In dem Moment merkst du, okay, jetzt habe ich erst mal überlebt. Aber in welchem Zustand?
Wenn man vom "behandelt werden" mehr und mehr ins eigene Handeln kommt, sind Selbsthilfeangebote besonders sinnvoll. Denn leider findet nicht jeder Mensch mit einer Krebserfahrung psychoonkologische Begleitung. Da gibt es riesige Versorgungslücken. Ich glaube, da dürfen wir auch das Potenzial digitaler Lösungen nicht unterschätzen.
Warum, glauben Sie, bestehen diese Versorgungslücken?
Das ist teilweise natürlich durch die Fachkraftknappheit bedingt. Ich würde niemals mit dem Finger auf irgendwelche Menschen zeigen und ihnen Schuld geben. Es ist einfach der Zustand. Wir leben nicht in einer flächendeckenden Versorgungssituation.
Deshalb habe ich es mir nach meiner Genesung zur Aufgabe gemacht herauszufinden, wie man diese Versorgungslücken schließen könnte. Mit welchen innovativen Möglichkeiten könnten wir das Angebot ergänzen?
Wobei die Aufklärung bei Krebs ja schon weit fortgeschritten ist, oder?
Ja, Aufklärungsmaterial, Broschüren und Ratgeber gibt es viele – etwa die blauen Ratgeber der Deutschen Krebshilfe. Die Informationen sind aber meist auf einem intellektuellen Niveau, die die Gesundheitskompetenz der deutschen Bevölkerung deutlich überschreiten. Es gibt mehrere Studien, die besagen, dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung medizinische Zusammenhänge in Bezug auf die eigene Erkrankung gar nicht versteht.
Welche Folgen hat das?
Es führt dazu, dass Menschen im Internet nach Rat suchen. Und Dr. Google spuckt sehr vieles aus. Aber vieles davon ist nicht validiert. Das kann ich als Patient aber nicht einschätzen. Und: Es geht ja nicht nur um die Erkrankung als solche. Es geht um eine multiple Belastung mit sozialrechtlichen Fragen oder finanziellen Nöten. Im Rückblick denke ich mir immer wieder, wie dankbar ich für eine einzige verlässliche Quelle gewesen wäre, die mir die erschöpfende und frustrierende Suche im Netz hätte ersparen können.
Das ist einer der Hauptbeweggründe, weshalb ich mich aus Überzeugung für die Möglichkeiten der digitalen Therapiebegleitung engagiere.
Info
Claudia Poguntke arbeitet in einer leitenden Position bei dem Berliner Digital-Health-Unternehmen Fosanis. Motiviert durch ihre eigene Krebserfahrung setzt sie sich seit Jahren für eine Verbesserung digitaler Kompetenz und Akzeptanz in der Onkologie ein. Heute steht sie als Teil eines Expertenteams hinter der Mika-App – einer evidenzbasierten Therapiebegleitung, die in Zusammenarbeit mit führenden Forschungseinrichtungen wie der Berliner Charité und dem Universitären Krebszentrum entwickelt wurde. Die App gibt bereits Zehntausenden Krebspatienten in Deutschland und Großbritannien kostenfreien Zugang zu validierten Informationen, Experten-Empfehlungen, Übungen und Kursprogrammen.
Sollte Ihrer Meinung nach auch das Gesundheitspersonal zur Verbesserung beitragen?
Natürlich ist es die primäre Aufgabe der Ärzte und Ärztinnen, die Krankheit zu heilen. Aber hier hilft es enorm, wenn sich Arzt und Patient auf Augenhöhe begegnen. Um diese Ebene herzustellen, müssen Patienten befähigt, ermutigt und unterstützt werden, gut informiert und motiviert zu bleiben. Den wenigsten Menschen ist bewusst, wie viel sie selbst tun können, um gut durch die Therapie zu kommen.
Was hat es denn für Vorteile, wenn der Patient sich aktiv einbringt?
Es ist durch viele Studien bewiesen, dass informierte und aktive Patienten eine Behandlung seltener abbrechen. Selbstwirksamkeit – so nennt man die innere Überzeugung, auch schwierige Situationen gut meistern zu können – kann somit dabei helfen, nicht "das Handtuch zu werfen".
Ich weiß aus eigener Erfahrung: Das ist leichter gesagt als getan. Nebenwirkungen wie starke Erschöpfung (Fatigue) können einen sprichwörtlich "runterziehen". Dennoch glaube ich daran, dass es guttut, immer wieder kleine Positivspiralen aufzubauen. Ich kann nur immer wieder ermutigen, am Ball zu bleiben und nicht zu verzweifeln, wenn mal gar nichts klappt.
Wie wird man selbstwirksam? Was raten Sie Patienten?
Selbstwirksamkeit zu erlernen, ist ein zentraler Aspekt des Patient-Empowerments. Das umfasst rationale Handlungen wie: sich zu informieren, Fragen vorzubereiten und sich auch zu trauen, diese zu stellen. Es umfasst aber auch den psychischen Zustand. Und der ist ebenfalls enorm wichtig.
Und was kann man für das psychische Wohlbefinden tun?
Tipp Nummer eins: Schau auf deine gesunden Anteile. Du bist mehr als Krebs, du bist mehr als diese eine Erkrankung. Du hast zum Beispiel immer noch einen Musikgeschmack, du hast immer noch Familie und Freunde.
Das Ich in den Mittelpunkt zu stellen, ist wahrscheinlich sehr wichtig ...
Ja, Selbstfürsorge ist enorm wichtig. Bewegung, Entspannung, Ablenkung, Ernährung: Richtig ist, was dir jetzt guttut –, aber ohne dogmatisch zu werden.
Tipp Nummer zwei: Nimm Hilfe an, auch wenn du das nicht gewohnt bist. Man kann etwa eine Person bitten, mit ins nächste Arztgespräch zu kommen. Gerade wenn man selbst so aufgeregt ist, dass man die Informationen nicht richtig verarbeiten kann, ist das eine große Hilfe. Aber es gibt viele Möglichkeiten: Familie, Freunde, Selbsthilfegruppen oder digitale Therapiebegleitungen.
Was ist Ihr wichtigster Ratschlag an Betroffene?
Hab Vertrauen in die Kompetenz deines Behandlungsteams, aber gib die Verantwortung für dein Leben nicht ab. Du darfst dir auch selbst vertrauen, denn nur du kannst spüren, was sich für dich richtig anfühlt.
Frau Pogunkte, wir danken Ihnen für das Gespräch!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- krebsgesellschaft.de: "Neue Zahlen zu Krebserkrankungen". (Stand: Dezember 2021)
- bmcev.de: "Positionspapier der Arbeitsgruppe Patienten-Empowerment" (Stand: August 2020)
- Interview mit Claudia Poguntke