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Ein rätselhafter Patient: Mysteriöse Vergiftung in der Nacht


Ein rätselhafter Patient
Toll in der Nacht

spiegel-online, Dennis Ballwieser

14.12.2015Lesedauer: 3 Min.
Die Patientin war verwirrt und wirkte, als habe sie Drogen genommen.Vergrößern des Bildes
Die Patientin war verwirrt und wirkte, als habe sie Drogen genommen. (Quelle: Symbolfoto/Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Ein Mann findet seine Frau eines Nachts kichernd und verwirrt in der Wohnung. Sie wirkt, als habe sie Drogen genommen - dabei rührt sie nicht einmal Alkohol an. Was ist mit ihr?

Der Rettungsdienst bringt eine 50-jährige Patientin in die Notaufnahme des britischen Oxford University Hospital. Sie ist verwirrt, hochrot und ihr Herz rast mit 163 Schlägen in der Minute.

Von der Frau können die behandelnden Ärzte keine Informationen erfragen, doch ihr Ehemann berichtet von einem verwirrenden Abend. Seine Frau leidet seit langer Zeit unter Schlaflosigkeit. Wie üblich hat sie vor dem Zubettgehen ein Beruhigungsmittel genommen. Doch trotz des Medikamentes konnte sie nicht einschlafen und blieb unruhig - bei regelmäßiger Einnahme vieler Beruhigungsmittel ist es durchaus üblich, dass die Mittel ihre Wirkung verlieren oder sogar die Unruhe verstärken.

Die Frau verlässt das Schlafzimmer. Als der Ehemann später aufwacht und merkwürdige Geräusche hört, sieht er nach ihr und findet sie kichernd vor. Sie wirkt auf ihn, als habe sie Drogen genommen, obwohl sie seit Langem nicht einmal Alkohol trinkt. Er hilft ihr ins Bett und schläft wieder ein.

Doch erneut wird er geweckt, diesmal, weil seine Frau hingefallen ist, nachdem sie das Bett verlassen hatte. Da sie auf ihn verwirrt wirkt, ruft er den Rettungsdienst, der die Patientin in die Klinik bringt, wie Andrew Chadwick und seine Kollegen im Fachjournal "BMJ Case Reports" berichten.

Das Herz rast, die Pupillen sind geweitet

Die Patientin kommt in den Schockraum der Notaufnahme, wo lebensbedrohlich erkrankte Patienten versorgt werden. Sie ist verwirrt, ihr Blutdruck zu hoch und das Herz rast. Die gerötete Haut fällt den Ärzten auf, auch dass sie deutlich schwitzt, ohne Fieber zu haben. Ihre Pupillen sind in beiden Augen geweitet und reagieren nur langsam auf Lichteinfall.

Um herausfinden zu können, was die möglichen Ursachen ihres Zustands sind, und um die Patientin zu schützen, intubieren die Mediziner die Frau, sie bekommt also eine Narkose und einen Beatmungsschlauch; anschließend untersuchen die Mediziner sie in einem Computertomografen (CT).

Die CT ergibt ein normales Bild des Gehirns. Ohne eindeutige Diagnose kommt die Patientin auf die Intensivstation, wo sie den Rest der Nacht verbringt. Nachdem die Tomografie keine Hinweise auf eine Hirnblutung oder ein verstopftes Blutgefäß oder auch einen Tumor geliefert hat, kommen verschiedene Vergiftungen als Ursache ebenso infrage wie eine Infektion.

In den darauffolgenden sechs Stunden verlangsamt sich das Herz der Frau wieder, es schlägt nur noch etwas zu schnell. Am nächsten Morgen reagiert sie normal, als die Ärzte die Narkosemedikamente absetzen und sie wacher wird. In diesem Zustand können die Mediziner den Beatmungsschlauch entfernen. Endlich kann die Patientin selbst erzählen, was am Vorabend passiert ist, bevor ihr Ehemann sie aufgefunden hat.

Unwissentlich vergiftet

Sie berichtet, sie sei eine ausgebildete Kräuterspezialistin. Als solche habe sie am Abend eine aus der schwarzen Tollkirsche (Atropa belladonna) hergestellte Mixtur getrunken, um ihre Schlaflosigkeit zu behandeln. Das erklärt für die Ärzte schlagartig die Symptome der Nacht.

Die Tollkirsche enthält das sogenannte Atropin, ein Gemisch, das im Körper bestimmte Rezeptoren blockiert. Dadurch hebt es eine Reihe von Wirkungen des Parasympathikus auf, eines beruhigenden Geflechts aus Nerven. Bei einer Vergiftung wie bei der Britin ist die Haut gerötet, die Schleimhäute sind trocken, es kann zu Fieber kommen, die Betroffenen sind verwirrt und das Herz rast.

Wegen einer Wirkung des Atropins haben Frauen die Tollkirsche früher angeblich gezielt eingesetzt: die Pupillen erweitern sich, sie wollten dadurch verführerischer wirken. Allerdings ist die schwarze Tollkirsche ein gefährlicher Ersatz für Kajal, bereits geringe Mengen der Beeren oder Blätter können tödlich sein. In der Medizin werden niedrige Dosen zum Beispiel bei Magen-Darm-Krämpfen und zu langsamem Herzschlag eingesetzt.

Die Symptome der Frau sind Zeichen einer schweren Vergiftung, sie hat unbeabsichtigt eine große Menge Atropin zu sich genommen. Die britischen Ärzte schätzen, dass die Menge für ein Kind bereits hätte tödlich sein können; die meisten Vergiftungen passieren, wenn Kinder die Beeren der schwarzen Tollkirsche essen. Bevor die Ärzte ihre Patientin entlassen, wird sie psychiatrisch untersucht. Es soll ausgeschlossen werden, dass sie die Überdosis Atropin absichtlich getrunken hat.

Die Frau hatte die Tinktur übrigens legal erworben - als ausgebildete Kräuterexpertin durfte sie in Großbritannien eine Zubereitung mit großen Mengen Tollkirschenextrakt beziehen und sogar bei ihren Kunden anwenden.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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