ZDF-Doku "zoom" So verdient die Pharmaindustrie an erfundenen Krankheiten
Ob Müdigkeit, Haarausfall oder sexuelle Unlust: Für alle Beschwerden gibt es die passende Medizin. Der Nutzen für den Patienten ist in vielen Fällen zweifelhaft, denn nicht alle Wehwehchen sind behandlungswürdig. Für die Pharmaindustrie und die Ärzte dagegen rollt der Rubel.
"ZDFzoom" hat recherchiert, wie das Geschäft mit "erfundenen Krankheiten" funktioniert.
Geldmacherei oder sinnvolle Medizin?
Wie lukrativ das Geschäft mit der Krankheit ist, zeigt die Statistik: Über 33 Milliarden Euro gaben die Deutschen im Jahr 2014 für Medikamente aus - so viel wie nie.
Dahinter steckt die Angst vor Krankheit, die viele Menschen haben - verbunden mit dem naiven Glauben, man müsse nur die wirksame Pille schlucken, um gesund zu werden oder zu bleiben. Doch viele Krankheiten, die behandelt werden, gibt es entweder gar nicht oder es handelt sich um ganz normale Alterserscheinungen.
Doch sie werden zu Krankheiten gemacht - mit Hilfe geschickter Medienkampagnen, die große Pharmafirmen ins Leben rufen.
Wechseljahre des Mannes: die erfundene Krankheit
"Ein Beispiel für eine erfundene Krankheit sind die Wechseljahre des Mannes", sagt Christiane Fischer vom pharmakritischen Ärzteverein "Mezis" gegenüber "ZDFzoom". Die gibt es nämlich nicht - auch wenn bei Männern mit zunehmendem Alter der Testosteronpegel sinkt. Im Grunde genommen ist das eine altersbedingte Erscheinung. Soweit keine weiteren körperlichen Beschwerden vorliegen, ist sie harmlos und muss nicht weiter behandelt werden.
Dennoch wurde der Begriff der männlichen Wechseljahre in einer großen PR-Kampagne eines Pharmakonzerns vor über 15 Jahren verbreitet und geistert bis heute durch die Köpfe der Patienten.
Pharmaindustrie mischt bei Ärztefortbildungen mit
Reporter von "ZDFzoom" besuchten in München eine Fortbildungsveranstaltung für Ärzte und stellen fest, wie nachhaltig der Mythos bis heute nachwirkt: Zwar distanzierte sich die Seminarleiterin - selbst Ärztin - vom Begriff der männlichen Wechseljahre. Sie empfahl jedoch flächendeckende Testosterontests für ältere Männer, ganz im Sinne der Pharma-Lobby. Entsprechende Präparate lagen im Nebenraum aus.
Nachfragen der Journalisten ergaben, dass die Veranstaltung vom Hersteller dieser Medikamente mitfinanziert wurde. Unüblich ist das nicht. Experten zufolge werden nämlich rund 30 Prozent aller Ärztefortbildungen von der Pharmaindustrie gesponsert.
Hormonpillen gegen männlichen Testosteronabfall sind für die Pharmafirmen ein lukratives Geschäft: Allein in den letzten zehn Jahren hat sich der Umsatz auf über 30 Millionen Euro verdreifacht.
Anti-Depressionsmittel zur Lustpille umfunktioniert
Dass nicht unbedingt die Wirksamkeit eines Präparats über seinen Erfolg entscheidet, zeigt ein weiteres Beispiel: die Lustpille für die Frau. Sie ist zwar nur in den USA zugelassen, kann aber auch in Deutschland übers Internet bestellt werden. Das Mittel, das ursprünglich gegen Depressionen entwickelt wurde, war als solches nicht erfolgreich.
Mithilfe einer gigantischen PR-Kampagne wurde das Präparat dann zur Tablette gegen weibliche Unlust "umfunktioniert". "Man änderte die Indikation und machte eine Nebenwirkung zur Hauptwirkung", sagt Fischer im Interview mit "ZDFzoom".
Obwohl das Mittel nur bei einem geringen Prozentsatz an Frauen Wirkung zeigt und obendrein starke Nebenwirkungen (Übelkeit, Ohnmacht, Kopfschmerzen) hat, schaffte es in den USA nach einem ersten gescheiterten Versuch die Zulassung. Zugrunde lag eine ausgeklügelte PR-Strategie des Pharmakonzerns, dem es sogar gelungen war, amerikanische Frauenrechtlerinnen einzuspannen und die Werbetrommel für das Mittel zu schlagen.
Psychische Krankheiten: Alltagsphänomene werden zur Krankheit
Neue Medikamente sind vor allem dort gefragt, wo es neue Krankheiten gibt. Bei psychischen Beschwerden nimmt dieses Phänomen stark zu, sagt der Pharmakologe Gerd Glaeske. Im Interview mit "ZDFzoom" weist er darauf hin, dass immer mehr psychische Krankheiten in ärztlichen Katalogen gelistet würden.
Selbst für Kinder, die öfter als dreimal am Tag einen Wutanfall hätten, oder Menschen, die nach einem Sterbefall länger als ein halbes Jahr trauerten, gebe es eine Indikation. "So werden Alltagsphänomene zur Krankheit deklariert, für die dann das passende Arzneimittel verordnet wird", sagt Glaeske.
Cholesterin: Niedrige Grenzwerte machen Gesunde zu Kranken
Auch bei den Volkskrankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes und hohen Blutfettwerten boomt der Arzneimittelumsatz. Beim Cholesterin beispielsweise wurde die Schwelle der Behandlungsbedürftigkeit abgesenkt. So galt bis in die 80er Jahre ein Cholesterinwert von 280 noch als normal - heute dagegen gilt er als behandlungsbedürftig. Die Folge: Der Umsatz mit Cholesterinsenkern ist gestiegen.
"Für die Herabsetzung der behandlungsdürftigen Cholesterinwerte waren pharmanahe Ärzte verantwortlich", sagt der Allgemeinmediziner Niklas Schurig gegenüber "ZDFzoom". Er ist überzeugt, dass Cholesterinsenker viel zu häufig verschreiben werden. Eine gesunde Ernährung und viel Bewegung zeigten in vielen Fällen eine bessere Wirkung.
Siegfried Throm vom Verband der forschenden Arzneimittelhersteller sieht das jedoch anders. Niedrige Cholesterinwerte seien grundsätzlich besser als hohe. Für die Prävention seien sie wichtig, sagt der Pharmazeut. Er bezieht sich dabei auf wissenschaftliche Studien - allerdings, ohne diese zu nennen.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.