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Verhütungsmittel "Essure" löst bei hunderten Frauen Nebenwirkungen aus


Bayer-Verhütungsmittel
Verhütung mit Nebenwirkungen

spiegel-online, Marc Pitzke

28.04.2014Lesedauer: 3 Min.
Sterilisation mit NebenwirkungenVergrößern des Bildes
Die Verhütung mit einer Mikrospirale ist die einzige Methode zur dauerhaften Empfängnisverhütung, bei der keine OP nötig ist. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Die legendäre US-Verbraucheraktivistin Erin Brockovich hat ein neues Ziel - die deutsche Bayer AG. Es geht um deren Verhütungsmittel Essure. Hunderte Frauen klagen über teils grausige Nebenwirkungen.

Der Gynäkologe hatte es versprochen: Alles würde ganz "einfach und simpel" verlaufen. Zwei kurze, ambulante Routine-Eingriffe, keine Narkose, fertig. So unkompliziert, die Prozedur lasse sich quasi in der Mittagspause erledigen.

Nach dem Einsetzen folgten qualvolle Schmerzen

Doch schon nach dem ersten Termin krümmte sich Michelle Garcia unter "qualvollen Schmerzen". Nach dem zweiten wurde es nur noch schlimmer: Auf einmal war die sonst so dynamische Frau dauernd todmüde, dann kamen die Schmerzen zurück, und schließlich begann sie unkontrollierbar schwer zu bluten.

"Ich wäre fast gestorben", erinnert sich die damals 38-Jährige. Fast: "Ich hatte Glück."

Was Garcia 2011 beinahe zum Verhängnis wurde, ist in der Tat eigentlich Routine. Die alleinstehende Mutter aus Miami wollte keine Kinder mehr und hatte sich deshalb für das Essure-Verfahren entschieden, die einzig dauerhafte Methode der Empfängnisverhütung ohne Operation. Dabei werden zwei Blockade-Spulen in die Eileiter gesetzt. "Eine schnelle, zehnminütige Prozedur in Ihrer Arztpraxis", versichert der Hersteller Bayer HealthCare, eine US-Tochter der Bayer AG in New Jersey.

Hunderte Horrorstorys zu Protokoll gegeben

Michelle Garcia ist aber nicht die einzige, bei der die Methode schiefging. Hunderte Frauen haben inzwischen Essure-Horrorstorys zu Protokoll gegeben, auf Blogs, Websites, Twitter und in einer eigenen Facebook-Gruppe: chronische Müdigkeit, Depressionen, Gewichtszunahme, Fibrositissyndrom, Degenerationskrankheiten, Autoimmun- und Menstruationsstörungen, Migräne, allergische Reaktionen, Ausschlag, Schwindelgefühle, Fieber, ungewollte Schwangerschaften, Fehlgeburten. Bei einigen seien die Spulen zumindest teilweise durch den Körper gewandert.

Petition gegen Essure trägt bereits 8000 Unterschriften

Eine Petition, Essure "zu stoppen oder dieses Produkt ganz vom Markt zu nehmen", trägt mittlerweile fast 8000 Unterschriften. Die Protestler haben außerdem prominenten Flankenschutz: Die Verbraucheraktivistin Erin Brockovich - bekannt durch den gleichnamigen Film, der Julia Roberts 2001 einen Oscar brachte - hat sich auf ihre Seite geschlagen.

"Diese Frauen haben keinerlei Aussichten auf Regress", klagt Brockovich im Gespräch mit Spiegel Online. Seit ihrem legendären Umweltkampf gegen den US-Stromriesen PG&E vor 20 Jahren ist die für ihre Verbissenheit berüchtigte Ex-Anwaltsgehilfin aber bedächtiger geworden. Kooperation statt Krieg: "Wir suchen den Dialog mit Bayer."

Doch bisher ließ Bayer sie abblitzen. Deshalb reisen Garcia und Angela Lynch, eine ihrer Leidensgenossinnen, jetzt nach Deutschland, um Aufsichtsratschef Werner Wedding und den Vorstandsvorsitzenden Marijn Dekkers bei der Bayer-Hauptversammlung am Dienstag in Köln direkt zu konfrontieren. Auf Einladung der Aktivistengruppe Coordination gegen Bayer-Gefahren will Garcia dort ans Mikrofon treten.

Bayer hat sich das Problem ja auch eher ungewollt aufgehalst, als es den Essure-Hersteller Conceptus im vergangenen Jahr für 1,1 Milliarden Dollar aufkaufte. "Bayer und Conceptus haben das Ziel, mit Innovationen die Gesundheit von Frauen zu fördern", freute sich Andreas Fibig, der Vorstandschef von Bayer HealthCare Pharmaceuticals, da noch.

"Ich will nicht, dass andere das Gleiche mitmachen müssen"

"Jeder, der Schmerzen oder Komplikationen empfindet, egal aus welchem Grund, hat unser großes Mitgefühl", windet sich Edio Zampaglione, Vice President US Medical Affairs bei Bayer. Schuld trage Bayer aber keine: "Es gibt keine Verhütungsmethode, die hundertprozentig effektiv ist, und das steht auch klar auf unserem Beipackzettel."

Derlei "unerwünschte Ereignisse", so Zampaglione weiter, seien außerdem "in klinischen Tests" und einer Studie der US-Arzneibehörde FDA schon von Anfang an beobachtet und anerkannt worden. Die wiederum hält diese Nebenwirkungen für selten: Essure sei "als Mittel zur permanenten Sterilisierung zu 99,83 Prozent effektiv".

Michelle Garcia brauchte ihren Angaben zufolge allein fünf Monate, um herauszufinden, dass ihre Pein auf Essure zurückging. Es stellte sich demnach heraus, dass eine Spule zerbrochen und in Garcias Bauchraum gewandert war. Beide Spulen sollen operativ entfernt worden sein.

Garcia begann sich in einer Hilfsgruppe zu engagieren, die inzwischen mehr als 7000 Mitglieder hat: "Ich will nicht, dass andere das Gleiche mitmachen müssen." Auch schickte sie schon 2013 einen langen Brief an Bayer-Chef Dekkers, Investor-Relations-Chef Alexander Rosar und Sprecherin Tricia McKernan. "Frauen erleiden unsägliche Schmerzen und ernsthafte Beschwerden, die sie bekamen, nachdem Essure implantiert wurde", schrieb sie und warnte Bayer: "Sie besitzen jetzt einen Alptraum." Eine Antwort bekam sie nie.

Weshalb sie nun nach Köln pilgert, "in die Höhle des Löwen", wie sie sagt. Für ihren großen Aufritt am Dienstag hat Garcia sogar mit einem Coach öffentliches Reden trainiert: "Die Frauen verlassen sich auf meine Stimme."

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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