Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Blähungen, Entzündungen, Schmerzen Für diese Beschwerden gibt es oft einen unerwarteten Grund
Der Darm ist ein ganz eigenes, faszinierendes Biotop, das gehegt werden will. Die Lebensgemeinschaft der Mikrorganismen entscheidet über unser Wohlbefinden. Grund genug, sorgsam mit unseren Mitbewohnern umzugehen.
Ihren ganz großen Schrecken hat die Prozedur in den vergangenen Jahren verloren. Inzwischen muss niemand mehr mehrmals am Tag literweise die Salzlösung herunterwürgen, gegen die sich der Körper trotz aller Geschmacksstoffe instinktiv sträubt. Und das Beruhigungsmittel Propofol macht jede Pritsche zum Himmelbett (wer es mal erlebt hat, kann nachvollziehen, weshalb Michael Jackson danach süchtig war und an einer Überdosis starb).
Neugierige, die die Beruhigungsspritze ablehnen, um die Prozedur am Monitor zu verfolgen, erleben eine Art rötlich ausgeleuchteter U-Bahnfahrt: Halt auf freier Strecke gibt‘s nur, wenn der Gastroenterologe Unregelmäßigkeiten wittert oder hier und da eine Gewebeprobe abzwickt.
Die turnusmäßige, alle zehn Jahre angeratene Darmspiegelung gehört längst zu den probaten Maßnahmen der Krebsvorsorge. Bei Männern ab 50, bei Frauen fünf Jahre später. Menschen, die Verwandte ersten Grades mit Darmkrebs haben, sollten sich schon nach fünf Jahren erneut untersuchen lassen.
Kapsel mit eingebauter Kamera
Bei 80 Zentimetern Dickdarmlänge überwindet das Koloskop eine ganz ordentliche Entfernung. Der Dünndarm wird auf diese Weise nicht betrachtet. Hier liegt auch nur sehr selten eine so zu untersuchende Erkrankung vor. Allein dessen Anfang kann man im Rahmen einer Magenspiegelung einsehen. Inzwischen verbreitet sich auch die so genannte Kapselenodoskopie, bei der der Patient eine winzige Videokapsel schluckt, die dem Mediziner erstklassiges Bildmaterial auch aus dem Dünndarm aus unserem Inneren überträgt.
Yael Adler
Dr. med. Yael Adler ist Fachärztin für Dermatologie, Venerologie, Phlebologie und Ernährungsmedizin (DGEM). Seit 2007 praktiziert sie in ihrer eigenen Praxis in Berlin. Ihr Talent, komplexe medizinische Sachverhalte anschaulich und unterhaltsam zu vermitteln, stellt sie seit Jahren in Vorträgen, Veranstaltungsmoderationen und den Medien unter Beweis. Über Prävention und Therapien spricht sie regelmäßig in ihrem Podcast "Ist das noch gesund?". Ihre Bücher "Haut nah" und "Darüber spricht man nicht" standen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Mit ihrem letzten Buch "Genial vital! – Wer seinen Körper kennt, bleibt länger jung" durfte sich die leidenschaftliche Ärztin erneut über diese Spitzenplatzierung freuen.
Doch auch die farbigste Bildwiedergabe in HDTV vermag nicht zu zeigen, was in unserem Darm sonst noch los ist. Im Darm tummelt sich nämlich ein ganzer Kosmos von Bakterien aus Tausenden verschiedenen Arten. Um Missverständnisse auszuschließen: Im günstigen Fall ist die Zusammensetzung und das Zusammenspiel der diversen Gruppen dieser Mikroorganismen gesundheitsfördernd, also für unser Wohl unterwegs. Sie helfen dem Darm beim Verdauen der Nahrung, beschützen vor zu viel Kontakt mit Toxinen und anderen Fremdstoffe und haben unser Immunsystem wesentlich mit in der Hand und unseren Stoffwechsel im Griff. Sie stellen sich an die Seite der Verdauungsenzyme, damit wir aus dem Speisebrei möglichst viele Nährstoffe ziehen.
Botenstoffe, die in die Blutbahn gehen
Die Darm-Community bildet Fettsäuren zum Schutz der Darmzellen und produziert Botenstoffe und Vitamine (B1, B2, B6, B12, K2). Sie besetzt auch alle strategischen Punkte, um unerwünschte Darmbakterien fernzuhalten. Liebe Darmbakterien etwa regen die Schleimbildung an, können Phytoöstrogene aus der Nahrung herauslösen, bilden wichtige Botenstoffe, die kurz darauf in unserer Blutbahn auffindbar sind, reduzieren Allergien und schützen nebenbei noch vor Osteoporose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Entzündungen. Das Mikrobiom hält unsere Gehirnfunktionen am Laufen und spielt auch eine Rolle bei Übergewicht, Diabetes, Fettleber und dem Risiko für Krebserkrankungen.
"Das Mikrobiom hält unsere Gehirnfunktionen am Laufen"
Gesundheitsexpertin Yael Adler
Als "Biomasse" bringt das Darmmikrobiom gewichtige zwei Kilogramm auf die Waage! Die Anzahl von Bakterien im Dickdarm übersteigt leicht die Anzahl der Körperzellen im Verhältnis 1,3 : 1, sie beträgt etwa 40 Billionen. Es unterscheidet sich in der Zusammensetzung vom Mikrobiom auf der Haut oder auf den Schleimhäuten und ist trotzdem ein Allrounder in unserem Körper. Über seine Stoffwechsel- und Immunaktivität kommuniziert es mit unserem gesamten Organismus und dient gleichzeitig als Bakteriennachschubstelle für Haut- und Schleimhaut.
Unsere Gene entscheiden mit, welche Bakterien sich bei uns besonders wohlfühlen. Den größeren Einfluss hat jedoch die Wahl der Nahrungsmittel: Gemüse, Nüsse, Saaten und mediterrane Kost generieren eine günstigere Darmflora als Fast Food mit süßen Limonaden, raffiniertem Getreide und verarbeitetem Fleisch. Die Artenvielfalt im Magen-Darm-Bereich ist wichtig und ein Indikator für Erkrankungen: Bei Menschen mit Übergewicht, Diabetes, Morbus Alzheimer, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Darmkrebs oder Reizdarmsyndrom ist sie oft vermindert. Gleiches gilt für Patienten mit chronischem Müdigkeitssyndrom.
Der leidige westliche Lebensstil
Wird die bakterielle Personaldecke dünner – etwa im höheren Lebensalter oder durch Antibiotikagaben, Infektionen, einseitige Ernährung, vermutlich auch Pestizide und Mikroplastik sowie ganz klar Rauchen – und kann das Tagesgeschäft nicht mehr richtig wuppen, meldet unser Körper das durch verschiedenartige Beschwerden. Wir leiden an Verstopfung, Blähungen oder Durchfall, Entzündungen und Gelenkbeschwerden, an Schmerzen oder Juckreiz, Pickeln, schuppender Haut und Rötungen.
Manchmal kommen auch psychische Symptome und Schlafstörungen dazu. Was uns krank macht, ist der "westliche" Lebensstil. Der Begriff "Zivilisationskrankheiten" fasst Beschwerden zusammen, mit denen traditionell naturnah lebende Völker bislang eher wenig Probleme haben. Ihr Biom ist quasi authentischer, weil sie keine industriell hergestellten und mit Emulgatoren, Konservierungs- oder Geschmacksstoffen versetzten Lebensmittel durch ihren Verdauungstrakt leiten oder weil ihre Lebensmittel nicht mit Pestiziden in Kontakt kommen.
In unseren Breiten leiden etwa 70 Prozent der Bevölkerung unter einem divenhaften Darm. Für gewöhnlich klingen solche Beschwerden nach ein paar Tagen wieder ab. Geschieht das nicht, sollte der Arzt aufgesucht werden. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Probleme nicht im Darm liegen, sondern am Darm: Entzündungen, Polypen, Divertikel oder Tumore sollten ausgeschlossen werden. Auch Lebensmittelallergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind zu prüfen, ebenso das Vorkommen des Magenkeims Helicobacter pylori.
Die Diagnostik bei Darmbeschwerden sollte immer umfassend sein. Allergietests, Blut- und Stuhluntersuchungen und eine Magen-Darm-Spiegelung sind angeraten, Ultraschall oder MRT des Bauchs. Sollten die Untersuchungen zu keinem erkennbaren Befund führen, haben Sie mit einiger Wahrscheinlichkeit einen Reizdarm, genauer ausgedrückt, Darmbeschwerden ohne genaue organische Ursache.
Diese lange belächelte und unter "Morbus Macke" abgetane Befindlichkeitsstörung wird durch Stress, psychische Belastungen, zu wenig Schlaf, mangelnde Bewegung, falsche Ernährung und Infektionen sowie Störungen des Darmnervensystems begünstigt, die mit einer Veränderung der Darmflora einhergehen. Stress befeuert den Reizdarm, der wiederum oft von psychischen Beschwerden wie Depressionen oder Angststörungen begleitet wird.
Interessanterweise sind Darm und Hirn über mehrere Wege miteinander verbunden: etwa über das vegetative und das Darm-Nervensystem und über Botenstoffe und Stoffwechselprodukte der Darmbakterien. Über die "Darm-Hirn-Achse" wird nicht nur unser Appetit gesteuert, über diese Verbindung wirkt der Verdauungstrakt auch an unserer Stimmungslage mit, an kognitiven und entzündlichen Prozessen sowie dem Altern insgesamt. Gibt es oben Probleme, kann man oft davon ausgehen, dass unten ebenfalls nicht alles eitel Freude und Sonnenschein ist – und umgekehrt.
Ist die Kommunikation zwischen Darmbewohnern und Mensch gestört, werden Entzündungen und Krankheiten provoziert, und das Altern befeuert sich so selbst. Mehr noch, wenn wir unseren steinzeitlich konditionierten Darm mit Nahrung bombardieren, die ihn auf Dauer ebenso stresst wie unser Lebensstil insgesamt.
Am einfachsten erreichen Sie ein gutes Bauchgefühl, indem Sie auf prä- und probiotische Nahrungsmittel setzen. Wenn man erlebt, wie auch schwerwiegende Darmprobleme, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Neurodermitis, Pollenallergie, manche Migräne, sogar Nebenwirkungen einer Chemotherapie durch die Einnahme spezieller probiotischer Mischungen reduziert werden können, steigert das die Faszination für diese neue, ganzheitlich wirksame und sehr gut verträgliche Möglichkeit zur Gesundheitsvorsorge.
Bittere Salate wirken Wunder
Wir können selbst wirksam werden, und zwar sofort. Präbiotisch wirken lösliche Ballaststoffe, sie sorgen für eine Vermehrung der gesundheitsförderlichen Bakterien im Darm. Sie kommen zu uns durch diverse Lebensmitteln und wirken außerdem gegen Übergewicht, Blutzuckererhöhung und zu hohes Cholesterin. Präbiotische Lebensmittel sorgen dafür, dass sich vor allem die hilfreichen Bakterien in unserem Darm wohlfühlen, krank machende Bakterienstämme haben es dann viel schwerer, sich im Darm auszubreiten.
Beispiele für präbiotische Lebensmittel sind bittere Salate wie Chicorée, Endivie, Radicchio und Wurzelgemüse wie Topinambur, Pastinake, Rote Bete, Spargel, Schwarzwurzel. Hinzu kommen Knoblauch, Zwiebeln, Wassermelone, weißer Pfirsich und viele mehr.
Die Mutter aller löslichen Ballaststoffe sind Akazienfasern (getrockneter Harz in Pulverform), gefolgt von Flohsamenschalen (enthalten auch fasrige Ballaststoffe für einen formschönen Stuhl) und Leinsamen (am besten aus der Apotheke, da andernfalls oft mit Cadmium belastet). Ergänzen Sie dies durch fermentierte, nicht danach tot-pasteurisierte Lebensmittel, wie Sauerkraut, Kimchi (koreanisches scharfes Kraut), Natto (japanische fermentierte Sojabohnen), effektive Mikroorganismen (trinken die Langlebigen auf der japanischen Insel Okinawa, gibt es aber auch hier), sowie Kefir, Buttermilch, original griechischen oder bulgarischen Joghurt.
Hören Sie also auf Ihren Bauch, bleiben Sie anspruchsvoll und kommen Sie gesund durch die Zeit!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Eigene Expertise als Ärztin