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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Energielieferungen So viel Gas kommt aktuell aus Russland
Die Gaslieferungen über Nord Stream 1 wurden gedrosselt. Aber wie sieht es mit den anderen Pipelines aus und was bedeutet das für die Gasspeicher?
Gebannt starrt Deutschland auf die Lieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1. Seit Mittwoch fließen nur noch rund 20 Prozent der vereinbarten Gasmenge, für die Befüllung der Speicher könnte es dadurch eng werden.
Wirtschaftsminister Robert Habeck spricht angesichts dessen von der "größten Energiekrise" in Deutschland. Man habe sich über Jahrzehnte aus politischen und wirtschaftlichen Gründen in die russische Abhängigkeiten begeben. "Wir lösen uns aus dieser Abhängigkeit in Windeseile", sagte er am Donnerstag nach einem Besuch des Energieparks Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt.
Doch neben Nord Stream 1 verbinden noch zwei weitere Pipelines Deutschland und Russland. Auch hier machen sich die schwankenden Liefermengen bemerkbar. Ein Überblick.
Mehrere Pipelines bringen russisches Gas
Russisches Gas kommt durch drei verschiedene Pipelines nach Deutschland. Die bekannteste ist Nord Stream 1, die in Greifswald endet. Die Yamal-Pipeline verläuft von Russland durch Belarus und Polen und kommt in Mallnow in Deutschland an. Die Druschba-Pipeline, die neben der Ukraine auch die Slowakei und Tschechien durchquert, endet in Waidhaus und versorgt etwa auch die Raffinerie in Schwedt.
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Diese drei Pipelines waren 2021 noch für 55 Prozent der deutschen Gasmenge verantwortlich. Ende Juni 2022 machten russische Gaslieferungen hingegen nur noch 26 Prozent aus. Mittlerweile ist Norwegen mit 20 Prozent der zweitgrößte Lieferant.
Die Lieferungen durch die Druschba-Pipeline über die Ukraine nach Waidhaus waren durch den Krieg dort erschwert worden, denn die Zulieferpipeline Sojus wurde wegen Kampfhandlungen abgestellt. Aktuell fließt nur ein geringer Anteil von 237 Gigawattstunden (Stand 26. Juli) auf diesem Weg nach Deutschland. Bis Mitte Juni war es noch die dreifache Menge.
Die Yamal-Pipeline, die in Mallnow endet, diente vor dem Krieg auch als Exportpipeline. Das bedeutet: Deutschland schickte auf diesem Weg Gas nach Polen. Aktuell fließt aber in keine Richtung Gas, da Russland Polen nicht mehr beliefert. Die Polen hatten sich allerdings auf diesen Schritt vorbereitet.
Nord Stream 1 als Druckmittel
Nord Stream 1 ist die wichtigste Pipeline für die russischen Gaslieferungen nach Deutschland. Vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine wurde sie für den Großteil der russischen Lieferungen genutzt. Damals kamen in Lubmin bei Greifswald täglich 1.800 Gigawattstunden Gas an. Aktuell liegen die Lieferungen bei knapp 350 Gigawattstunden pro Tag.
Mit Beginn des Krieges blieb die Gasmenge zunächst konstant, da die EU Energieträger von den Sanktionen ausgenommen hatte. Die Einnahmen aus den Energiegeschäften sind wichtig für die russische Wirtschaft, gleichzeitig bieten sie Putin aber auch einen bedeutsamen Verhandlungshebel. Dies bewies Russland mit der Forderung, die Lieferungen in Rubel zu zahlen. Mehrere EU-Länder, darunter Polen, waren dazu nicht bereit – als Folge drehte Russland ihnen das Gas ab. Deutschland ließ sich auf eine Lösung mit der Gazprom-Bank ein, die die Zahlungen in Euro annimmt und dann in Rubel umwandelt.
Dennoch reduzierte der Kreml die Lieferungen durch Nord Stream 1 erst und unterbrach sie im Juli schließlich gänzlich. Offiziell begründete Russland die Lieferprobleme mit jährlichen Wartungsarbeiten, die Bundesregierung nannte diese Argumentation einen Vorwand.
Es bestand sogar die Sorge, dass Russland die Lieferungen im Anschluss nicht wieder aufnehmen könnte. Seit Mitte Juni hatte Gazprom die Gasmenge auf 40 Prozent gedrosselt. Grund dafür ist angeblich eine fehlende Turbine, die für Reparaturarbeiten bei Siemens Energy in Kanada war. Mittlerweile ist das Bauteil in Deutschland, doch der Versand nach verzögert sich. Es gibt weiterhin Ärger um Papiere.
Siemens Energy hat erneut die russische Darstellung zurückgewiesen, für Verzögerungen bei der Lieferung verantwortlich zu sein. Der Transport der Turbine könne sofort starten, sagte ein Unternehmenssprecher am Mittwoch. Alle erforderlichen Dokumente für die Ausfuhr lägen vor.
Was hingegen fehle, seien erforderliche Zolldokumente für den Import nach Russland. "Diese Informationen können von niemand anderem als Gazprom bereitgestellt werden." Der russische Gaskonzern hatte zuvor erklärt, Siemens Energy habe die Turbine noch immer nicht übergeben und die Verzögerung liege in der Verantwortung von Siemens Energy. Das Hin und Her nutzt Gazprom, um die Lieferungen erneut zu senken – auf rund 20 Prozent. Begründet wird dies wieder mit der fehlenden Turbine, Experten haben Zweifel.
Gasspeicher füllen sich langsam weiter
Deutschland will unabhängig von russischen Gaslieferungen werden und vor allem für den nächsten Winter gerüstet sein, für den Fall, dass weitere Lieferungen ausbleiben. Ein wichtiger Bestandteil sind dabei die Gasspeicher.
Aktuell sind die Speicherkapazitäten der 47 Speicher in Deutschland zu rund 67 Prozent ausgenutzt. Damit liegt der diesjährige Wert ganz leicht unter dem Durchschnitt der vergangenen sechs Jahre, aber deutlich über den Werten von 2021.
Bislang hatte die Bundesregierung zwei Zielmarken in den Blick gefasst: Zum 1. Oktober sollten die Speicher zu 80 Prozent, zum 1. November zu 90 Prozent gefüllt sein. Zusammen mit dem jüngsten Hilfspaket rief Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auch ein verschärftes Speicherziel aus. Demnach strebe er eine Füllung von 95 Prozent bis November an.
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Doch diese Ziele, seien nur schwerlich zu erreichen, sagte Bundesnetzagenturchef Klaus Müller am Montag. Wenn es dabei bleibe, dass durch die Gaspipeline Nord Stream 1 nur 40 Prozent der Lieferkapazität fließe, seien im besten Fall maximal 80 bis 85 Prozent zu erreichen.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell glaubt zudem nicht, dass Russland Deutschland dabei zusehen wird, wie es seine Speicher weit genug füllt, um ausreichend für den Winter gewappnet zu sein. Er hält eine rasche weitere Reduzierung der russischen Gaslieferungen nach Europa für wahrscheinlich. "Wenn Russland uns das Gas abdrehen will, wird es nicht bis Herbst oder Winter warten, um das zu tun", sagte Borrell am Donnerstag dem spanischen Sender TVE.
Das bedeutet auch: Deutschland muss mehr Gas einsparen, um die Speicher schneller zu füllen. Das Ziel der Bundesregierung und der Netzagentur ist es, 20 Prozent Gas einzusparen, um sich für den Winter vorzubereiten. "Wir liegen im Moment bei etwa 14 Prozent Einsparung. Ohne zusätzliche Anstrengung kommen wir da im Winter nicht hin", sagte Bundesnetzagenturchef Klaus Müller.
Hinzu kommt: Laut Branchenverband Ines können die Speicher in Deutschland insgesamt Gas mit einem Energiegehalt von maximal rund 256 Terawattstunden speichern. Das entspricht etwa einem Viertel des jährlichen Gasverbrauchs in Deutschland (rund 1.000 Terawattstunden).
"Dieses Speichervolumen alleine kann Deutschland zwei bis drei durchschnittlich kalte Wintermonate mit Gas versorgen", sagt die Bundesregierung. Im Klartext heißt das: Selbst bei 100 Prozent vollen Gasspeichern reichen die Speicher alleine nicht aus, um eine gesamte Heizperiode abzudecken.
Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Verbrauch in einer Gasmangellage deutlich sinken würde. Auch die Preisanstiege führten bereits dazu, dass die Industrie und Verbraucher weniger Gas in Anspruch nehmen. Zudem dürfte bei einem Wegfall russischer Gaslieferungen weiterhin Pipeline-Gas etwa aus Norwegen und den Niederlanden fließen.
Flüssiggas soll den Winter retten
Um die Versorgung auch langfristig zu sichern, braucht es also Alternativen zum russischen Gas. Das Problem: Bisher verließ sich Deutschland ausschließlich auf die Gasversorgung über Pipelines. Die russischen Importe sind schwer zu ersetzen, da Deutschland die Infrastruktur an den größten Handelspartner anpasste. Abhilfe soll Flüssiggas schaffen, auch LNG genannt, das über Schiffe nach Deutschland gebracht wird.
In Deutschland sind aktuell mehrere Projekte geplant: Dabei gibt es etwa schwimmende Terminals, die besonders schnell die Gasversorgung unterstützen sollen. Die "Floating Storage and Regasification Units (FSRU)" können das Flüssiggas in einen gasförmigen Zustand zurückverwandeln und in das Netz einspeisen. Davon hat die Bundesregierung vier Stück gemietet. Zum Ende des Jahres soll eines in Wilhelmshaven und eines in Brunsbüttel ans Netz gehen.
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Das dritte schwimmende Terminal soll ab Ende 2023 in Stade nutzbar sein, das vierte ebenfalls ab Ende 2023 in Lubmin. Hier soll zudem nach Angaben des Wirtschaftsministeriums bereits zum Jahresende 2022 ein weiteres Terminal mit privatem Träger an den Start gehen.
Darüber hinaus sind mehrere feste Terminals geplant: In Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade sollen diese jeweils 2026 ans Netz gehen. Ob diese Maßnahmen reichen, um den kurzfristigen Energiebedarf zu decken, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.
- Eigene Recherche
- Bundesnetzagentur: Lagebericht 27.07.2022
- agsi.gie.eu: Füllstand der Gasspeicher
- tagesschau.de: "Was sind die Folgen der Gasdrosselung?"
- rnd.de: "Überblick: So viel Gas liefert Russland aktuell nach Deutschland"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa