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Gazprom drosselt Lieferungen: Deutschland kalt erwischt


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Gazprom drosselt Lieferungen
Kalt erwischt


Aktualisiert am 14.06.2022Lesedauer: 3 Min.
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Wladimir Putin: Mit diesen Exporten finanziert der russische Präsident seinen Angriffskrieg in der Ukraine. (Quelle: t-online)

Der russische Staatskonzern Gazprom hat angekündigt, die Gaslieferungen durch Nord Stream 1 drastisch zu reduzieren. Das hat offenbar viele Entscheider in Berlin überrascht. Was steckt dahinter?

Die deutliche Drosselung der russischen Gaslieferungen hat Deutschlands Wirtschaft und die Politik allem Anschein nach komplett überrascht. Noch mehrere Stunden nach der Ankündigung durch den russischen Staatskonzern zeigten sich viele der Zuständigen schmallippig.

Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums teilte lediglich mit, man beobachte die Lage und prüfe den Sachverhalt. "Aktuell ist die Versorgungssicherheit weiter gewährleistet", so die Sprecherin weiter. Auch die für die Gasspeicher zuständige Bundesnetzagentur verwies nur auf einen aktualisierten Lagebericht, der im Laufe des Tages kommen sollte.

Gazprom hatte am Dienstagmittag die maximalen Gasliefermengen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Deutschland um 40 Prozent reduziert (t-online berichtete). Grund seien Verzögerungen bei Reparaturarbeiten durch die Firma Siemens, teilte der Staatskonzern am Dienstag mit. Zunächst war unklar, ob es sich um Siemens oder Siemens Energy handelte, es geht aber um letzteren Konzern.

Spekulationen werden angeheizt

Laut Gazprom sei ein Gasverdichteraggregat nicht rechtzeitig aus der Reparatur zurückgekommen. Deshalb könnten nun nur noch täglich bis zu 100 Millionen Kubikmeter Gas durch die Pipeline gepumpt werden – oder rund 60 Prozent des bisher geplanten Tagesvolumens von 167 Millionen Kubikmeter Gas, hieß es.

Ob dies die tatsächliche Erklärung für die geringeren Lieferungen ist oder nur ein vorgeschobenes Argument, ist derweil offen. Siemens Energy teilte indes mit, in Kanada überholte Gasturbinen derzeit wegen der Russland-Sanktionen tatsächlich nicht an die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 liefern zu können.

Siemens Energy habe 2009 Gasturbinen für eine Verdichterstation der Nord Stream 1-Gaspipeline in Russland geliefert, teilte das Unternehmen am Dienstag mit. Eine Turbine werde derzeit in Montreal überholt. Vor diesem Hintergrund habe der Konzern die kanadische und deutsche Regierung informiert und arbeite an einer tragfähigen Lösung.

Zuvor hatte bereits am Montag Netzagentur-Chef Klaus Müller angekündigt, dass am 11. Juli die jährliche Inspektion der Pipeline durch Gazprom anstehe. Während der Inspektion kann die Leitung für bis zu zwei Wochen kein Gas transportieren, heißt es auf der Webseite der Netzagentur. Inwiefern die jetzige Gazprom-Ankündigung mit der Inspektion zu tun hat, ist offen.

Experte: "Putin zündelt immer wieder"

Der Ökonom Jens Südekum, den die Ankündigung Gazproms ebenfalls überraschte, hält derweil noch eine andere Spekulation für plausibel. "Es könnte sein, dass die Reduzierung mit den angekündigten Gas-Drosselungen für die Niederlande und Dänemark zu tun haben", sagte er t-online. Auch dieses Gas gelangt über Nord Stream 1 nach Europa.

Für ebenso möglich hält er, dass Russland mit dem Schritt nur den Druck auf den Westen erhöhen will. "Putin zündelt immer wieder", so Südekum. "Er will Unruhe in der deutschen Volkswirtschaft stiften – und mit solchen taktischen Manövern gelingt ihm das auch."

"Putin kann sich Gas-Stopp leisten"

Fraglich sei aber, wie lange noch. "Wir befinden uns im Endspiel mit Russland", sagte der Volkswirt. Wenn Deutschland wirklich übernächstes Jahr, im Sommer 2024, unabhängig von Gasimporten werde, bleibe Russland nicht mehr viel Zeit, um über die Lieferungen Druck auszuüben.

"Dank der hohen Preise für Gas hat sich Putin zuletzt die Taschen so voll gemacht, dass er sich einen vorzeitigen Stopp der Gaslieferungen leisten kann", sagte Südekum. "Wir müssen uns ernsthaft damit beschäftigen, dass Russland uns bald endgültig den Gashahn zudreht."

Jüngster politische Anlass könnten auch andere Mutmaßungen sein, die Nutzer auf Twitter äußerten. Sie brachten die Gazprom-Ankündigung mit der Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in die Ukraine in Verbindung. Der Termin soll am Donnerstag sein.

Nord Stream 1 ist Hauptversorgungsleitung für Deutschland

Auch ein Gasmarkt-Insider sagte t-online, er sei von den Ankündigungen überrascht worden. Inwiefern die Reduzierung mit den angeblich geplanten Wartungsarbeiten zu tun hätten, ließe sich aktuell noch nicht beurteilen.

Die Folgen für die Gasspeicher bleiben indes abzuwarten. Sollte angesichts der reduzierten Lieferung weniger Gas für den Winter eingespeichert werden können, könnte das jedoch fatale Folgen haben. Das aber könne man erst in den nächsten Tagen beurteilen, so der Insider. Er rät, in jedem Fall aufmerksam zu sein – und die Warnsignale ernst zu nehmen.

Für Deutschland ist Nord Stream 1 die Hauptversorgungsleitung mit russischem Gas. Zuvor war schon die Leitung Jamal-Europa nicht mehr befüllt worden. Reduziert ist auch die Durchleitung von russischem Gas durch die Ukraine, die deutlich unter Plan liegt.

Bereits durch die bisherigen Einschränkungen hatten sich die Energiepreise erhöht, weil insgesamt weniger Gas von Russland nach Europa fließt. Die fertige Gaspipeline Nord Stream 2 ist bisher nicht in Betrieb genommen worden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Jens Südekum
  • Schriftliches Statement des Bundeswirtschaftsministeriums
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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