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Zum journalistischen Leitbild von t-online.dm-Gründer Götz Werner Der Mann, an den niemand glaubte
Mit dem eigenen Vater im Zwist, von den Vorgesetzten ignoriert: dm-Gründer Goetz Werner hatte in seiner Anfangszeit gegen viele Hürden zu kämpfen – doch das trieb ihn nur an. Ein Nachruf auf den Ausnahmeunternehmer.
Er baute ein Imperium aus dem Nichts auf: Sein einfacher, schnörkelloser Schriftzug ziert heute mehr als 3.800 Filialen in 11 Ländern Europas – der dm-Gründer Götz Werner ist ein Ausnahme-Unternehmer gewesen, der sich nie an den harten Ellbogenregeln des Einzelhandels orientieren wollte.
Bevor es Modebegriffe waren, setzte sich der gebürtige Heidelberger für eine nachhaltige, kundenorientierte und erfolgreiche Unternehmensführung ein. Mit Erfolg: Sein Unternehmen wurde mehrfach als einer der besten Arbeitgeber des Landes ausgezeichnet.
Früher war die Erfolgsserie Werners dagegen nicht abzusehen. Ein "heiliger Zorn" habe Werner zu Anfang angetrieben: Denn niemand wollte an den jungen Mann glauben.
Dem Vater attestierte er die Pleite
Als jüngstes von fünf Kindern habe er bereits früher nur wenig Aufmerksamkeit von seinen Eltern bekommen. Sein Vater – selbst Inhaber einer kleinen Drogerie – sei nur am Arbeiten gewesen, heißt es aus Erzählungen. Die Mutter sei lieb, aber kurz angebunden gewesen. Die Geschwister? Bevormundeten den kleinen Götz.
Die Wahrnehmung des jüngsten Kindes änderte sich nicht. Obwohl Götz Werner sich als einziges der fünf Kinder für das Familiengeschäft interessierte und eine Ausbildung als Drogerist absolvierte, traute ihm sein Vater keine Verantwortung zu.
Als Werner 1968 in das väterliche Geschäft eintrat und schnell merkte, wie bitter es um den Krämerladen stand, der seit Generationen in Familienbesitz war, drängte er seinen Vater, neue Wege zu gehen. Der Vater attestierte dem Sohn, er müsse erst einmal lernen. Der Sohn prognostizierte seinem Vater die Pleite – noch vor dem 100-jährigen Firmenjubiläum, das zu dem Zeitpunkt des Streits nur noch wenige Monate entfernt war.
Werner bot sein Konzept zuerst einem großen Betrieb an
Der Vater tobte – und Götz Werner wechselte in einen größeren Drogeriebetrieb. Die Drogerie Werner gab es kurz darauf nicht mehr – Vater Werner musste den Laden notverkaufen, noch vor dem 100-jährigen Jubiläum.
Das bestätigte Götz Werner: Krämerläden hätten keine Zukunft mehr. Also kreierte der engagierte Drogerist ein eigenes Modell. Der Endzwanziger setzte damals auf ein Discounterkonzept, das sich aber durch eine gute Beratungsleistung abheben sollte. Doch auch hier fand Götz Werner kein Gehör. Wieder glaubte keiner an seine Ideen.
Doch er hatte Biss, das hatte er bereits in seiner Jugend bewiesen. Während er in der Familie nur als Nesthäkchen nebenherlief, schoss er im Sport voraus. Als Ruderer brachte er es mit 19 Jahren im Doppelzweier bis zum Deutschen Jugendmeister. Hier gewann er Selbstvertrauen und Vertraute fürs Leben – sein ehemaliger Ruderpartner Günter Bauer leitete lange Zeit die Österreich-Sparte der Drogeriekette dm.
Zwei Läden innerhalb eines Jahres
Also setzte Werner sein Konzept 1973 einfach selbst um: Sein eigener Laden, sein eigener Chef, seine eigenen Kunden. Und es funktionierte. Während die Krämerläden ächzten, eröffnete Werner nach nur neun Monaten seine zweite Filiale.
Danach war das Geld aus, doch nicht das Vertrauen. Diesmal glaubte jemand an den jungen Unternehmer und stieg in das Konzept ein. Der Karlsruher Lebensmittelhändler Günther Lehmann, damals Gesellschafter der Supermarktkette Pfannkuch, schoss Werner das nötige Kapital zu, um weiter zu expandieren.
Im Austausch erhielt er 50 Prozent der Anteile an der Kette. Ein Geschäft, das sich gelohnt hat. Bis heute hält Lehmann die Hälfte an dem dm-Imperium, Werners Hälfte ist in einer Stiftung gebunden. Auf das Vertrauen folgte der Erfolg, auch wenn Werner später den hohen Anteil bereute, den er Lehmann damals zugestanden hat.
Der Mann für die Details
Branchenkenner bescheinigten Werner später, all das richtig gemacht zu haben, was sein langjähriger Konkurrent Schlecker falsch machte. Er setzte auf eine etwas andere Mitarbeiterführung. Kundenorientierung, Gewinnbeteiligung, das Unternehmen als sozialer Organismus mit "Lernlingen" und Theater-Workshops.
Er zeichnet sich durch seine Feinheiten aus: Werner ist der Mann, der nicht nur auf die großen Eckzahlen achtete, sondern ins Detail ging. Bessere Lichtkonzepte, aufgeräumte Regale, die perfekte Deckenhöhe, breite Gänge – Kundenbindung war bei ihm nicht eine Phrase, sondern das Konzept.
Hohe Gewinne präsentierte er nicht stolz in der Öffentlichkeit, sondern investierte sie zurück in das Unternehmen. Er war ein etwas anderer Unternehmer. In den letzten Jahren war Werner vor allem als unermüdlicher Vorkämpfer für das bedingungslose Grundeinkommen unterwegs.
Sein Herzensprojekt: das bedingungslose Grundeinkommen
Das "Einkommen für alle" – so der Titel seines Buches – hatte für ihn etwas mit der Würde des Menschen zu tun. "Angesichts des Überflusses, in dem wir leben, müssen wir unverzüglich handeln und unseren Sozialstaat so gestalten, dass jeder menschenwürdig leben kann."
Altersarmut war für ihn grober Undank. "Unser Wohlstand wurzelt in der Leistungsbereitschaft früherer Generationen." In Hunderten von Vorträgen, Diskussionen und Interviews propagierte er sein Herzensthema. Werner war zudem als Honorarprofessor in Karlsruhe tätig. Auch in anderen Bereichen engagierte sich Götz Werner stark: So spendete er unter anderem Windeln, unterstützte Sportprogramme für übergewichtige Kinder und förderte Naturschutzprogramme.
Am Anfang seiner langen Karriere vertraute niemand den Ideen von Götz Werner. Als er sich im hohen Alter zurückzog, schaute er auf ein Imperium zurück, für das selbst die Konkurrenz nur Lob hatte. "Sein Wissen, sein Ideenreichtum und die jahrzehntelange Verbundenheit zu ihm hat mir immer viel bedeutet", sagte sein schärfster Rivale und früherer Freund Dirk Rossmann vor drei Jahren zu seinem 75. Geburtstag.
Werner holte eigenen Sohn in das Geschäft
Anders als sein eigener Vater legte Werner sein Vertrauen in seinen ältesten Sohn. Christoph Werner übernahm 2019 bereits die Geschäftsführung, Werner Senior kam dennoch oft für ein Schwätzchen in seine dm-Filialen.
Am Dienstag, dem 8. Februar, verstarb Götz Werner wenige Tage nach seinem 78. Geburtstag. Seine Kräfte seien die vergangenen Wochen immer weniger geworden, teilte seine Familie mit.
Die Kraft, die er in sein Imperium gesteckt hat, bleibt. Nachdem er jahrelang nicht gehört wurde, wollte der Unternehmer nicht vergessen werden. Sein Wunsch war, "dass meine Ideen als Unternehmer und Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens fortwirken und zu einer lebenswerten Welt beitragen."
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version schrieben wir, dass Günter Bauer bis heute die dm-Sparte in Österreich leitet. Nach Angaben des Unternehmens war Bauer bis 2008 Vorsitzender der Geschäftsführung von dm Österreich/CEE und bis Ende 2017 Teil des Aufsichtsrat bei dm Deutschland, Österreich und den verbundenen Ländern. Er verstarb 2020 in Salzburg.
- Eigene Recherche
- Unternehmensseite dm
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- Manager Magazin: Götz Werner - der Detaillist