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Rente | Experte: "Die Einwanderer werden die Rente dauerhaft nicht retten"


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Experte über Rentensystem
"Das ist die einzige Alternative, damit das System nicht aus den Fugen gerät"

InterviewVon Mauritius Kloft

Aktualisiert am 05.12.2021Lesedauer: 5 Min.
Olaf Scholz und Christian Lindner: Der künftige Kanzler und sein Finanzminister.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz und Christian Lindner: Der künftige Kanzler und sein Finanzminister. (Quelle: Mike Schmidt/imago-images-bilder)
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Das Rentensystem steht vor einem gewaltigen Finanzierungsproblem. Auch die Ampelkoalition weiß das und will es ändern. Viel zu wenig, kritisiert Martin Werding, der für die FDP die Aktienrente untersuchte.

Am 8. Dezember soll SPD-Mann Olaf Scholz zum Kanzler der ersten Ampelkoalition auf Bundesebene gewählt werden. Vergangene Woche haben Sozialdemokraten, Grüne und Liberale bereits ihren Koalitionsvertrag vorgelegt.

177 Seiten, die es in sich haben: Neben Klimakrise und Digitalisierung wollen die Parteien auch das Rentensystem anfassen. So soll die Rente zu einem kleinen Teil auf eine Kapitaldeckung gestellt werden. Ansonsten soll sich recht wenig ändern, wie Sie hier nachlesen können.

Die Idee einer Kapitaldeckung kam von der FDP, deren Fachpolitiker Johannes Vogel und Christian Dürr Anfang des Jahres eine Aktienrente nach schwedischem Vorbild entwickelt haben. t-online hat mit dem Sozialpolitik-Professor Martin Werding gesprochen, der den FDP-Plan damals untersucht und für gut befunden hat. Zu dem, was im Koalitionsvertrag übrig geblieben ist, hat er eine klare Meinung.

t-online: Herr Werding, die Aktienrente soll kommen. Wie froh sind Sie darüber?

Martin Werding: Nur ein wenig.

Warum?

Weil sie bei weitem nicht der Ursprungsidee entspricht, die nach meiner Untersuchung gut gewesen wäre. Was jetzt im Koalitionsvertrag steht, ist ein ziemlicher Kompromiss. Denn die Umlagerente, wie wir sie bisher haben, soll kaum angerührt werden. Das ist erst einmal eine schlechte Nachricht. Was mit der Aktienrente geplant ist, stellt lediglich ein kleines Korrektiv dar.

Können Sie das ausführen?

Der demografische Wandel wird unser bisheriges Umlagesystem ganz schnell unter Druck bringen. In drei, vier Jahren, wenn die ersten Vertreter der Babyboomer-Generation in Rente gehen, werden wir das sehen. Die Beitragssätze der Arbeitnehmer werden nach 2025 deutlich steigen, steigen müssen. Und der Anstieg wird bis 2050, 2060 weitergehen. Gleichzeitig wird das Rentenniveau sinken ...

… das, vereinfacht gesagt, anzeigt, wie viel Prozent des durchschnittlichen Arbeitslohns ein Standardrentner nach 45 Jahren als Rente erwarten kann.

Richtig. Sollte der Bund das Rentenniveau weiter bei 48 Prozent festschreiben, müssen die Beiträge sogar noch stärker steigen. Das Umlagesystem ist gestresst. Eine ordentliche Kapitaldeckung ist die einzige Alternative, damit das System nicht gänzlich aus den Fugen gerät.

Jetzt sollen aus Haushaltsmitteln zunächst einmalig zehn Milliarden Euro in einen Fonds fließen, der Geld am Kapitalmarkt anlegt. Reicht das aus?

Nein. Die geplanten zehn Milliarden Euro sind viel zu wenig. Das entspricht gerade einmal dem Gegenwert der Rentenausgaben für zehn Tage. So lässt sich die Rente nicht retten.

Martin Werding, geboren 1964, ist seit 2008 Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum. Werding studierte Philosophie und Volkswirtschaftslehre. Vor seiner Berufung auf den Lehrstuhl war er unter anderem am Münchner ifo Institut tätig. Er forscht seit Jahren zum deutschen Sozialsystem und zu den Auswirkungen des demografischen Wandels.

In Ihrem Gutachten schrieben Sie, dass der Fonds bis 2036 rund 96 Milliarden Euro bräuchte. In einem ersten Schritt müssten es 2022 schon 21 Milliarden Euro sein.

Richtig. Allein am Vergleich dieser Zahlen sieht man, wie wenig Geld die zehn Milliarden Euro sind. Wichtig ist, ob der Bund in den Folgejahren Mittel nachlegt. Es ist auch möglich, dass man die Rentenbeiträge früher anhebt, um das System zu entlasten und den Fonds aufzubauen.

Manche Kritiker sagen, wir sind ohnehin zu spät dran für einen solchen Staatsfonds. Was entgegnen Sie ihnen?

Ja, wir sind spät dran, aber besser spät als nie. Wir müssen nur wissen, dass es dauert, bis dieser Fonds die Rentenkasse entlastet. In zehn bis 20 Jahren hätten wir, wenn wir es richtig machen, für die Zugangsrentner einen nennenswerten Effekt. Und die Jahre danach könnte der Fonds die Rentenkasse spürbar entlasten, das Rentenniveau dauerhaft sichern. Bis dahin müssen Rentenalter und Beiträge angepasst werden.

Betrachten wir die anderen Beschlüsse aus dem Koalitionsvertrag. Das Renteneintrittsalter und das Rentenniveau sollen festgeschrieben werden. Wie sinnvoll ist das?

Als das Rentenalter auf 67 Jahre angehoben wurde, hat die Politik gesehen, wie unpopulär das war. Gerade deshalb wäre es sinnvoll, wenn man das Rentenalter an die Lebenserwartung koppelt. Dann würde die Regelaltersgrenze automatisch so angepasst, wie sich die Lebenserwartung entwickelt.

Das will die Ampelkoalition aber nicht.

Leider. Sie sendet ein fatales Signal, nämlich: "Macht euch keine Sorgen, wenn es auf 2030 zugeht, können wir immer noch über das Rentenalter diskutieren." Ich hätte mir da mehr Aufrichtigkeit gewünscht. Denn der demografische Wandel schlägt ohne Gnade zu. Es wäre wichtig, den betroffenen Arbeitnehmern frühzeitig zu sagen, dass sie länger arbeiten sollten. Jemandem ein Jahr vor dem Renteneintritt zu sagen, dass er nicht in Rente gehen kann, halte ich für unanständig.

Auch die letzten Regierungen haben die Rentner umgarnt, etwa mit der Mütterrente, der Rente mit 63 sowie der Grundrente. Glauben Sie, dass diese Reformen nun zurückgedreht werden?

Damals steckten wir in einer Phase, in der der demografische Wandel eine Pause machte. Der Arbeitsmarkt lief gut und der Bund hatte das Gefühl, ein paar Wohltaten verteilen zu können. Doch auch das waren alles faule Kompromisse, von denen wir in Zukunft auf jeden Fall absehen müssen. Ob man solche Reformen jedoch zurückdrehen kann, ist fraglich.

Laut Koalitionsvertrag wollen die Parteien aber immerhin die Grundrente überprüfen.

Die Analysen werden bei der Grundrente sehen, dass sie nichts gegen Altersarmut gebracht hat. Gut möglich also, dass sie angepasst wird.

Eine Idee, um die Rentenkasse zu entlasten, ist auch, dass man einfach mehr Menschen in die Rentenversicherung hineinholt. Was halten Sie davon?

Es gibt gute Gründe, Selbstständige abzusichern, denn hier gibt es Rentenlücken. Doch wir dürfen uns nichts vormachen: Zwar kommen dadurch auf einen Schlag Millionen Beitragszahler hinzu, die das Umlagesystem kurzfristig entlasten. Langfristig aber ist nichts gewonnen, denn eines Tages wollen diese Menschen ja auch eine Rente ausgezahlt bekommen.

Interessieren Sie sich für die Altersvorsorge? In der "Rentenfrage der Woche" beantworten wir jeden Samstag Fragen, die Sie, unsere Leserinnen und Leser, uns zuschicken. Auf dieser Seite finden Sie alle bereits beantworteten Rentenfragen. Wenn Sie weitere Fragen rund um Altersvorsorge und gesetzliche Rente haben sollten, schreiben Sie uns gern eine E-Mail an "wirtschaft-finanzen@stroeer.de".

Das Gleiche wäre der Fall, wenn wir auf mehr Einwanderer setzen, oder?

Exakt. Zwar ist der Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland angesichts der demografischen Situation sehr wichtig. Jedoch gilt auch hier: Die Einwanderer werden die Rente dauerhaft nicht retten. Sie sorgen lediglich kurzfristig dafür, dass mehr Geld in der Rentenkasse ist, werden langfristig aber ebenfalls zu Rentenbeziehern.

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Sprechen wir abschließend noch über einen weiteren Punkt aus dem Koalitionsvertrag. Der ausgesetzte Nachholfaktor, durch den theoretische Rentenkürzungen mit künftigen Rentenerhöhungen verrechnet werden, soll jetzt wieder aktiviert werden.

Das wurde auch höchste Zeit.

Wieso?

Das Aussetzen des Nachholfaktors hat der Bund lange vor der jetzigen Krise beschlossen, in der Erwartung, dass er nie greifen muss.

Nun aber sind die Löhne in der Corona-Krise eingebrochen.

Richtig. Eigentlich hätten die Renten 2021 daher gesenkt werden müssen, was rechtlich ausgeschlossen ist. Darum muss diese theoretische Rentenkürzung in den kommenden Jahren nachgeholt werden. Ohne den Nachholfaktor hätten sich die Renten also von den Löhnen entkoppelt. Wenn der Faktor wieder greift, haben Krisen wie eine Pandemie keinen dauerhaften Einfluss auf das Rentensystem. Wenn der Nachholfaktor dagegen weiter ausgesetzt bliebe, würde das die Finanzierung des Rentensystems noch schwerer machen. In dem Sinne ist es also eine faire und zeitgerechte Lösung.

Zumal die Renten nächstes Jahr trotz Nachholfaktor deutlich steigen werden, mehr als vier Prozent im Westen Deutschlands lautet die Schätzung.

Der aktuelle Bestandsrentner wird es noch komfortabel haben. Ungemütlich wird es für die Menschen, die künftig, in zehn oder 15 Jahren in Rente gehen, aber kaum privat vorsorgen. Für die wird es schwierig, wenn nichts passiert. Vor allem müssen wir an die heutigen jungen Leute denken. Durch den demografischen Wandel ändert sich die Altersstruktur deutlich und dauerhaft. Zum Schutz der jungen Menschen brauchen wir jetzt Reformen, also eine ordentliche Kapitaldeckung und ein steigendes Renteneintrittsalter, wenn die Lebenserwartung steigt. Nur so bekommen wir das Rentenproblem gelöst.

Herr Werding, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Martin Werding
  • Martin Werding, Benjamin Läpple: "Gesetzliche Aktienrente: Übergänge zu einer flächendeckenden Altersvorsorge mit Teilkapitaldeckung"
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