Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Verdi will höhere Löhne Diese Forderung kann für uns alle teuer werden
Die Inflationsrate könnte dieses Jahr so hoch steigen wie lange nicht mehr. Erste Gewerkschaften fordern jetzt höhere Löhne. Das aber könnte eine gefährliche Abwärtsbewegung auslösen.
"Preisschock" titelt ein großes Boulevardblatt, "kalte Enteignung der Sparer" ruft CDU-Wirtschaftsexperte Carsten Linnemann, und Linken-Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch warnt vor einem "Sozialabbau durch die Hintertür". Sie alle fürchten die hohe Inflationsrate, die im September im Vergleich zum Vorjahresmonat um rund 4 Prozent anzog.
Bislang waren die Ausrufe recht harmlos. Nun haben wir aber den Salat: Denn mit Frank Werneke von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fordert erstmals ein einflussreicher Arbeitnehmervertreter angesichts der Inflation höhere Löhne.
Dabei verkennt der Verdi-Boss aber die eigentliche Dramatik der aktuellen Situation – denn es könnte sich eine gefährliche Entwicklung in Gang setzen. Um das zu begreifen, müssen wir einen Blick in die volkswirtschaftliche Theorie werfen:
So funktioniert die Lohn-Preis-Spirale
Unter der Erwartung, dass die Preise dauerhaft anziehen, setzen Gewerkschaften höhere Löhne durch. Die Unternehmen jedoch müssen diese gestiegenen Lohnkosten wiederum durch höhere Erlöse hereinholen – und heben ihrerseits die Preise an. Die Folge: Die Inflation steigt weiter, die sogenannte Lohn-Preis-Spirale dreht sich.
Dieser Kreislauf lässt sich nur schwer durchbrechen. Die Europäische Zentralbank (EZB) als Hüterin der Geldpolitik müsste dann klarmachen, im Zweifel ihren Leitzins drastisch anheben zu wollen. Eine Leitzinserhöhung würde aber der Wirtschaft schaden, gerade weil viele Staaten, auch Deutschland, unter einer hohen Schuldenlast stehen.
Angst vor dauerhaft hoher Inflation ist unangebracht
Zurück zur Praxis. Was heißt das für die Arbeitnehmervertreter? Gewerkschaften müssen sich jetzt gerade mäßigen. Sie sollten keine oder zumindest keine drastischen Forderungen an die Arbeitgeber stellen – auch wenn ihre Mitglieder anklopfen, weil sie vor der Teuerung große Angst haben.
Aktuell besteht dafür jedoch noch kein Grund. Denn die Inflation ist laut Ökonomen nicht von langer Dauer. Im Gegenteil, sie könnte sich bereits nach 2022 wieder einpendeln, wie die führenden Wirtschaftsforscher in einer Prognose von Donnerstag mitteilten.
Denn: Die Inflationsraten, die erst einmal drastisch wirken, lassen sich mit Corona-Sondereffekten erklären. Für das zweite Halbjahr 2020 hatte der Bund die Mehrwertsteuer gesenkt, um die pandemiegebeutelte Wirtschaft anzukurbeln.
Die Energiepreise etwa brachen in der Corona-Krise ein und erholen sich nun überproportional. Auch die Ökonomen sehen die Inflationsrisiken kurioserweise erst in der Angst vor der Inflation. Das könnte Verdi-Boss Werneke einmal seinen Mitgliedern erklären.
So ließen sich Menschen dennoch unterstützen
Weise Worte kommen hier ausgerechnet von der eigentlichen Gewerkschaftspartei SPD: Ihr Co-Chef Norbert Walter-Borjans warnte vor einer Panikmache, das sei schlicht "verantwortungslos", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Das heißt aber nicht, dass wir besonders Menschen, die wenig verdienen, nicht unterstützen sollten. Aktuell bereitet vor allem der sprunghafte Anstieg der Gaspreise Verbraucherschützern und Sozialverbände Sorgen.
Statt die Firmen die Verbraucher durch steigende Tariflöhne, die über die aktuellen Gaspreise hinaus wirken würden, entlasten zu lassen, sollte der Staat eingreifen. Er könnte beispielsweise einmalige Heiz-Gutscheine verteilen, um Rentner, Studierende oder Alleinerziehende mit geringem Verdienst zu unterstützen. Wichtig ist aber auch hier: Auch er muss vorsichtig agieren. Denn die Angst vor der Inflation sitzt tief.
- Eigene Recherche