Impfstopp Das Aus für Astrazeneca ist ein Super-GAU
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Durch das Aussetzen der Corona-Impfungen mit Astrazeneca bleibt Deutschland noch länger im Pandemiemodus gefangen. Impfgegner dürften frohlocken, dem Land aber stehen schwere Wochen bevor.
Das war's! War die Skepsis der Deutschen gegenüber dem Astrazeneca-Impfstoff ohnehin schon groß, wird sich nach dem heutigen Tag wohl niemand mehr mit dem Vakzin made in Großbritannien impfen lassen wollen.
Zu groß ist der Imageschaden, zu stark das Misstrauen, das viele Menschen dem Impfstoff nun – ob zu Recht oder zu Unrecht – entgegenbringen. Die schwerwiegende Folge: Das Schneckentempo, das Deutschland beim Impfen hinlegt, dürfte sich noch einmal verlangsamen.
Astrazeneca hat seine Lieferversprechen zuletzt zwar ohnehin zurückgeschraubt. Nun wird es aber Wochen dauern, bis andere Impfstoffe wie jene von Johnson & Johnson, Moderna oder Biontech die Kapazitätslücken schließen. Wochen, die Deutschland beim Impfen weiter zurückwerfen; Wochen, die die Wirtschaft stark belasten; Wochen, in denen potenziell Hunderte weitere Menschen sterben müssen.
Erst Hoffnung, dann Skepsis
Hätte sich all das verhindern lassen? Schwer zu sagen.
Stellt sich ein Impfstoff als risikobehaftet heraus, ist es gut und richtig, das Impfen zu stoppen. Falsch und schlecht allerdings war bis zuletzt die Kommunikation des Herstellers, der Experten und Politiker, die im Wechsel Hoffnung verbreiteten und sie dann zerstörten.
Noch im November hieß es, der Impfstoff habe eine Wirksamkeit von bis zu 90 Prozent. Kurz darauf waren es nach neuen Studienerkenntnissen nur noch 70 Prozent. Mediziner lobten den Impfstoff trotzdem in den höchsten Tönen, Politiker beklatschten ihn dank seiner einfachen Lagerung bei Kühlschranktemperatur als Gamechanger für die Impfkampagnen.
Im Januar dann ein weiterer Rückschlag: Für eine Zulassung auch für ältere Menschen jenseits von 65 Jahren reichten die Daten nicht aus. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte dennoch, er selbst würde sich mit Astrazeneca impfen lassen, wenn er an der Reihe sei. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach tingelte durch die Talkshows, nicht müde, dem Volk jeden Abend aufs Neue die Angst zu nehmen.
"Impfstoff zweiter Klasse"
Doch das Wort vom "Impfstoff zweiter Klasse" war bereits in der Welt – und mit ihm die zusätzliche Angst vor etwaigen Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, Blutgerinnsel, Thrombosen, wenn auch nur in sehr seltenen Fällen, ließen sich nur schwer wegreden. Zu Tausenden ließen die Deutschen Impftermine verstreichen. Die Dosen stapelten sich ungenutzt in den Impfzentren.
Dennoch hielt Spahn bis zuletzt an Astrazeneca fest – wohl auch deshalb, weil er den Impfstoff, ob viel oder wenig, als wichtigen Baustein fest für die kommenden Wochen und Monate für den massenhaften Einsatz bei den Hausärzten eingeplant hatte.
Das vorläufige Aus für Astrazeneca zum jetzigen Zeitpunkt setzt folglich nicht nur einen Schlusspunkt hinter das Kommunikationswirrwarr der vergangenen Monate. Es ist zugleich der Super-GAU für die Impfkampagne: Angesichts der dritten Welle, an deren Beginn wir uns mutmaßlich befinden, und der Corona-Mutanten kommt der Impfstopp zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt.
Deutschland stehen schwere Wochen bevor
Nur wenig hilft es da, wenn Spahn von einer "reinen Vorsichtsmaßnahme" spricht, davon, dass das Ergebnis der Prüfung nun "offen" sei. Das Vertrauen vieler Menschen in die Behörden, die Astrazeneca erst zuließen und sich jetzt wieder gegen das Vakzin aussprechen, ist nach dem heutigen Tag stark erschüttert.
Selbst wenn sich Astrazeneca doch noch als weitgehend verträglich herausstellen sollte, wird kaum einer scharf darauf sein, den Impfstoff zu bekommen. Den Impfgegnern ist mit dem heutigen Tag in die Hände gespielt worden.