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Börseneinbruch: Die wahre Krise kommt erst noch


Börseneinbruch
Die wahre Krise kommt erst noch

Von t-online
06.02.2018Lesedauer: 5 Min.
Stress an der New Yorker Börse: Die Lage ist fragil.Vergrößern des Bildes
Stress an der New Yorker Börse: Die Lage ist fragil. (Quelle: dpa-bilder)

Kurssturz an der Wall Street, der deutsche Dax zeitweise tief im Minus: Der Einbruch an den Börsen schockt die Anleger. Dabei war er harmlos. Das große Beben steht uns erst noch bevor.

Eilmeldungen, hektische Reaktionen, Nachrichtengewitter: Der Einbruch an den Börsen in Amerika, Japan, Deutschland und anderen Ländern hat seit Montag für viel Aufruhr gesorgt. Zu viel. Denn die Aktien an den Weltbörsen sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen und haben sich seit dem letzten Tiefpunkt im Frühjahr 2009 vervielfacht. Ein Einbruch – und mag er noch so dramatisch aussehen – muss noch lange keine neue Rezession und Finanzkrise bedeuten.

Kann aber. Und damit sind wir bei dem viel größeren Problem. Seit mehr als 30 Jahren erleben wir an den Finanzmärkten dasselbe Spiel: Die Kurse steigen in immer luftigere Höhen – und wenn es dann zur unvermeidlichen Korrektur kommt, werden die Notenbanken zur Hilfe gerufen. Mit immer tieferen Zinsen und immer neu gedrucktem Geld sollen sie dann Märkte und Spekulanten retten. Und tun es brav.

Immer dasselbe Spiel

Angefangen hat es 1987 mit dem Börsenkrach. Aus Angst vor der Wiederholung einer großen Depression wie in den 1930er Jahren wurden damals die Zinsen deutlich gesenkt – und nach Überwindung der Krise wieder erhöht. Aber eben nicht so hoch wie sie vor der Krise gewesen waren. Dasselbe Spiel in den folgenden Krisen (die die meisten von uns längst vergessen haben):

  • bei der Schieflage des hoch spekulativen Fonds LTCM,
  • in der Russlandkrise,
  • in der Asienkrise,
  • zu Beginn des Jahres 2000, als alle fürchteten, weltweit könnten wegen des “Millenium Bugs“ die Computer abstürzen,
  • und natürlich nach den Anschlägen vom 11. September.

Die Notenbanken halfen und halfen. Sie senkten die Zinsen ein ums andere Mal – und nach den Krisen hoben sie sie nicht wieder aufs ursprüngliche Niveau.

Der weltweite Schuldenberg wächst und wächst

Deshalb erleben all jene Anleger, die auf Kredit spekulieren, seit Mitte der 1980er Jahre goldene Zeiten. Egal, ob sie Aktien oder Immobilien kaufen. Kein Wunder, dass jeder vierte der reichsten 400 Amerikaner mit “Investments“, also dem Kauf auf Kredit – so reich geworden ist. Kein Wunder, dass Immobilienpreise weltweit deutlich schneller gestiegen sind als die Wirtschaftsleistung.

Diese einseitige Politik der Notenbanken hat erhebliche Nebenwirkungen. Zum einen steigt die Verschuldung weltweit immer weiter. Man muss sich das wie bei einem Hochhaus vorstellen: Die Notenbanken pumpen billiges Geld in das Fundament unseres Schuldenturmes, während gleichzeitig oben immer neue Stockwerke draufgebaut werden. Noch nie war die Welt so hoch verschuldet wie heute.

  • Weltweit liegen die Schulden mit über 215 Billionen US-Dollar um volle 70 Billionen Dollar höher als vor zehn Jahren. Das sind 325 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) der gesamten Welt.
  • In den Industrieländern wuchsen die Schulden seit 2006 von 348 Prozent des BIP auf 390 Prozent.
  • In den Schwellenländern – vor allem von China getrieben – stiegen sie von 146 auf 215 Prozent des BIP.

Das billige Geld feuert Spekulanten an

Diese hohe Verschuldung ist nur tragbar, wenn Geld billig ist und bleibt. Schlimmer: Tiefe Zinsen heute machen noch tiefere Zinsen morgen erforderlich, will man die Illusion der Zahlungsfähigkeit aufrechterhalten.

Zugleich feuert das billige Geld die Anleger zu immer neuen Spekulationen an. Deshalb erleben wir schon zum dritten Mal innerhalb von 20 Jahre eine Blase an den Finanzmärkten. Erst die Dot.com-Blase im Zuge der ersten Internet-Euphorie im Jahr 2000, dann die Immobilienblase in den USA, Spanien, Irland und weiteren europäischen Ländern. Und heute? Haben wir es mit einer Blase in fast allen Märkten zu tun- getrieben von Zinsen, die so tief sind wie noch nie zuvor.

Besonders problematisch ist die Lage am Markt für Unternehmensanleihen. Auf der Suche nach Rendite haben Investoren – auch unsere Lebensversicherungen und Pensionskassen – zunehmend in Unternehmensanleihen investiert. Dies wäre nicht zu beanstanden, wäre nicht zeitgleich auch die Verschuldung der Unternehmen auf einen neuen Rekordwert gestiegen. Mit Blick auf die USA warnt der Internationale Weltwährungsfonds seit Jahren vor den Folgen der zügellosen Verschuldungspolitik der Unternehmen. Schon ein kleiner Zinsanstieg droht hier zum Desaster zu werden.

Zinsen dürfen nicht steigen

Steigt der Zins, droht sofort das Kreditausfallrisiko. Die Zinsdifferenz steigt schnell und deutlich, was zu einer erheblichen Verteuerung der Unternehmensfinanzierung und Verlusten für die Anleger führt. Seit einem Jahr haben sich die Hoch-Risikoanleihen vom Aktienmarkt in den USA entkoppelt. Während die Börse deutlich zulegte, stagnierten die Hoch-Risiko-Anleihen auf hohem Niveau. Das war ein erstes Warnsignal. Seit Jahresanfang fallen die Anleihen schlechter Schuldner. Das war ein weiteres Warnsignal. Die Investoren nahmen die Risiken wahr – und wetteten zugleich mit Rekordsummen auf weiter fallende Anleihenkurse. Deshalb war es zu erwarten, dass die Börsen der Entwicklung folgen.

Der Auslöser dieser Entwicklung liegt schon länger zurück: Es war der Anstieg der Zinsen in den USA. Vor dem Hintergrund gestiegener Inflationserwartungen bewegte sich der Zins für 10-jährige US-Staatsanleihen in Richtung drei Prozent. Doch schon bei rund 2,7 Prozent kam es zum Einbruch an den Märkten. Im Jahr 2007 stiegen die Zinsen bis auf fünf Prozent, bevor es zum Einbruch an der Börse kam.

Gefangen im Spiel auf Zeit

Das ist, was uns Angst machen sollte. Wir sind gefangen in einem Spiel auf Zeit. Aus der Furcht vor den Folgen einer wirklichen, großen, schauderhaften Finanzkrise und weil wir uns weigern, das eigentliche Problem zu bekämpfen – die Überschuldung – setzen wir stur darauf, mit immer neuem billigem Geld und dem Aufkaufen von Wertpapieren den Kollaps zu verhindern. Lösen oder auch nur heilen kann man das Problem damit nicht. Im Gegenteil: Es wird größer und größer. Es wird unbeherrschbar.

Und wie geht es nun weiter? Schauen wir zurück, da finden wir die Antwort: Nach dem ersten Einbruch an den Börsen im Jahr 2007 kam es zu einer Zwischenerholung – aber 2008 und 2009 ging es dann richtig bergab. Die Erholung setzte erst ein, als die Notenbanken eingriffen. Genau darauf setzen einige Börsianer auch heute. Gut möglich, dass es noch einmal gelingt, mit Hilfe noch tieferer Zinsen (Negativzinsen dann auch in den USA), mit noch mehr Wertpapierkäufen und der direkten Finanzierung von Staatsausgaben durch die Notenbank das internationale Finanzsystem vorübergehend noch mal zu stabilisieren. Und das kann dann die große Krise auslösen. Die sogar die Notenbanken überfordert.

Daniel Stelter zählt zu den führenden Ökonomen Deutschlands und betreibt den Blog "Think beyond the obvious", in dem er wirtschaftliche und finanzpolitische Themen analysiert und kommentiert.

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