Krise in der Ukraine Rechte wollten deutsche Fabriken entern
Die Lage auf der Halbinsel Krim im Osten der Ukraine ist zurzeit sehr angespannt. Doch auch im westlichen Teil des Landes ist die Lage verworren. Kriminelle Geschäftsleute versuchen nun offenbar, diese Situation zu nutzen, um die Kontrolle auch über deutsche Unternehmen zu bekommen, teilte die deutsche Außenhandelskammer (AHK) in Kiew dem "Tagesspiegel" mit.
Betroffen sein soll die Quarzwerke Gruppe aus Frechen bei Köln. Das Familienunternehmen betreibt in der Provinz Winnyzja südwestlich von Kiew seit acht Jahren eine Fabrik zur Aufbereitung von Kaolin, einem Grundstoff für die Papier- und Keramikindustrie. "Rechte Gruppen" sollen nun versucht haben, die Firma zu "enteignen", berichtet ein Industrievertreter.
Vergangene Woche sei dort ein Schreiben eines "völkischen Selbstverteidigungskomitees" eingegangen. Darin habe man seiner Firma Korruption und Misshandlung von Mitarbeitern vorgeworfen und sie aufgefordert, sofort eine von dem Komitee ernannte Person in die Geschäftsführung zu berufen, bestätigte Quarzwerke-Chef Otto Hieber dem "Tagesspiegel". "Wir haben höflich auf die stetige Kontrolle externer Prüfer verwiesen und eine neue Werksleitung abgelehnt".
Die mutmaßlichen Verfasser des Schreibens seien am vergangenen Freitag tatsächlich bei der Fabrik in einem Bus vorgefahren, um diese zu entern, aber auf Widerstand gestoßen. Etwa 320 Quarzwerke-Mitarbeiter hätten die Angreifer zurückgedrängt. Hieber sagte, Vertreter der neuen Regierung hätten gegen diese Form der feindlichen Übernahme Unterstützung zugesagt.
"In solchen Fällen muss man sehr schnell reagieren"
Laut AHK sei einer deutschen Fabrik in der benachbarten Provinz Schytomyr, rund 120 Kilometer westlich von Kiew, Ähnliches passiert. Die Firma habe um Hilfe bei der Kammer und der deutschen Botschaft in Kiew gebeten. "In solchen Fällen muss man sehr schnell reagieren, das haben wir gemacht", sagte Alexander Markus, Leiter der AHK in Kiew.
Am Montag hatte bereits der Verband der Automobilindustrie (VDA) an alle Beteiligten appelliert, den Konflikt nicht eskalieren zu lassen. Auf dem Genfer Autosalon zog BMW-Chef Norbert Reithofer einen Vergleich mit der Finanzkrise 2008, die die Wachstumspläne der Autobauer durchkreuzt hatte, obwohl es zunächst eine reine Bankenkrise war. "Das hat sich bei mir im Kopf eingebrannt", sagte er. "Ich stufe die Lage, wie sie jetzt auf uns zukommt, nicht so kritisch ein wie damals." Daimler-Chef Dieter Zetsche warnte vor voreiligen Schlüssen: Die Lage ändere sich stündlich, daher sei es nicht angebracht, über die Folgen zu spekulieren. "Wir beobachten die Situation genau", sagte er.
Firmen auch um Sicherheit der Mitarbeiter besorgt
Deutsche Unternehmen sorgen sich dabei nicht nur um ihre Umsätze, sondern auch um ihre Beschäftigten vor Ort. "Unser Managementteam beobachtet die Situation kontinuierlich und die Sicherheit unserer Mitarbeiter hat absolute Priorität", sagte ein Sprecher des Konsumkonzerns Henkel, der rund 1000 Mitarbeiter in der Ukraine hat. Während der Proteste in der Hauptstadt Kiew habe Henkel seine Leute an manchen Tagen angewiesen, von zu Hause zu arbeiten. "Gegenwärtig läuft unser Geschäft in unserer Zentrale in Kiew sowie in unseren Produktionsstätten in der Ukraine normal." Es gebe keine Lieferengpässe.
In der Ukraine mit 45 Millionen Bürgern machen etwa 400 deutsche Unternehmen Geschäfte. Sie haben die Hoffnung auf eine Lösung noch nicht aufgegeben: "Wir haben noch von keinem Unternehmen gehört, das wegen der aktuellen Entwicklung den Markt aufgeben möchte", sagte der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Rainer Lindner.