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Ursula Weidenfeld: Das Europa von morgen wird ein anderes sein


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Europawahl
Das Europa von morgen wird ein anderes sein

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

28.05.2019Lesedauer: 3 Min.
Zerrissene Europafahne mit Fragezeichen: Nach der Europawahl ist die Chance gut, politisch einen anderen Weg einzuschlagen. (Symbolbild)Vergrößern des Bildes
Zerrissene Europafahne mit Fragezeichen: Nach der Europawahl ist die Chance gut, politisch einen anderen Weg einzuschlagen. (Symbolbild) (Quelle: Christian Ohde/imago-images-bilder)
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In der Wirtschafts- und Finanzpolitik kann deutlich werden, wie in Brüssel und Straßburg künftig entschieden wird: pragmatisch.

Die Ratlosigkeit ist allen ins Gesicht geschrieben. Was soll man mit diesem Europäischen Parlament nur anfangen? Keine Mehrheit für die beiden gemäßigten Blöcke, die bisher die Geschicke bestimmt haben. Dafür eine Menge neuer Abgeordneter, die sich an den Rändern des politischen Spektrums bewegen. Viele von ihnen lehnen das Europa von heute ab. Manche wollen ganz schnell raus. Andere klammern sich an die Vision eines staatlich vereinten Europas. Sie alle wissen: Das Europa von morgen wird ein anderes sein.

Europa: die große Frage

Das Entscheiden auf europäischer Ebene wird in den kommenden fünf Jahren nicht leichter. Zwar entscheidet das Parlament nichts allein. Ohne die Kommission und den Rat der Regierungschefs geht gar nichts. Doch die neue politische Situation zwingt die Beteiligten zu pragmatischen Beschlüssen. Schöne Bekenntnisse zu einem Europa für alle sind wichtig, träumerische Vorstellungen eines geeinten Bundesstaates verlockend. Doch sie ersetzen die Alltagsarbeit nicht. Deshalb werden sich das Parlament, der Rat der Staats- und Regierungschefs und die künftige EU-Kommission auf ein neues Programm und auf neue Umgangsformen verständigen müssen. Am Ende könnte ein Europa stehen, das seinen Bürgern zwar weniger verspricht, dafür aber mehr hält.

Es wird ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten sein. Diejenigen, die bei der immer engeren Union, der "ever closer union" der Römischen Verträge von 1957, mitmachen wollen und können, gehen voran. Die anderen, die das entweder noch nicht können oder nicht wollen, werden langfristig weniger Europa bekommen und mehr nationalstaatliche Verantwortung behalten.

Bankenunion für ein krisenfestes Europa

Gerade die Wirtschafts- und Finanzpolitik ist das Gebiet, auf dem die Europäische Union jetzt Fortschritte machen kann und muss. Zum Beispiel bei der Bankenunion für die Eurozone. Seit Jahren streiten die Euroländer darüber, ob die nationalen Einlagenfonds auch für die Risiken von Banken anderer Länder haften sollen. Im Prinzip ist man sich einig: Die Bankenunion wird erst vollendet sein, wenn es diese Haftung gibt. Dann wäre das Finanzsystem Europas einigermaßen krisenfest. Doch noch wollen vor allem die Länder des Nordens diese Union nicht. Die Banken in den Südländern sollten zuerst einmal ihre Risiken reduzieren, dann könne man weiterreden. Im Ergebnis kommt die Sache nicht voran. Vielleicht gelingt es jetzt, Kriterien für die Teilnahme am gemeinsamen Sicherungsmechanismus zu formulieren. Länder, deren Banken die Kriterien erfüllen, fangen schon einmal an mit der gemeinsamen Einlagensicherung. Die anderen folgen nach – oder bleiben draußen.

Ebenso könnte man mit der Digitalsteuer, der Klimasteuer oder mit dem Eurozonenbudget verfahren.

Europa á la carte

Europa könnte vorankommen, ohne diejenigen zu verbittern, die ihre nationalstaatlichen Kompetenzen behalten wollen. Auf beiden Seiten würde der Preis sichtbar. Wahrscheinlich müssten beispielsweise Länder, deren Banken sich nicht für den Einlagensicherungsfonds qualifizieren, höhere Zinsen bezahlen. Länder, die an einer gemeinsamen, vielleicht sogar zusätzlichen Steuer teilnehmen, würden womöglich schnellere Fortschritte beim Klimaschutz machen, aber als Industriestandort zugunsten der Regionen an Bedeutung verlieren, die sich nicht beteiligen. Konflikte, die jetzt auf der EU-Ebene ausgetragen werden, müssten in den nationalen Parlamenten entschieden werden. Es würde viel schwieriger als heute, Europa als Sündenbock für politische Zumutungen oder Notwendigkeiten zu nutzen.

Klar: Dieses Europa braucht fünf oder sieben Mitglieder, die das volle Programm mitmachen. Deutschland, Frankreich und die Beneluxstaaten müssten zumindest in den ersten Jahren voll dabei bleiben. Ihre Regierungschefs müssen ihre Bürger von Europa überzeugen, sonst fällt die Union auseinander.

Was wäre ein solches Europa dann noch? Es wäre ein Europa á la carte. Es wäre ein Europa, wie es der heutige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nie haben wollte. Aber es wäre eines, das beispielsweise Großbritannien ein Angebot machen kann. Das zumindest wäre besser als das Europa, das wir heute haben.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr Buch heißt: "Regierung ohne Volk. Warum unser politisches System nicht mehr funktioniert" und ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

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