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Kolumne zum Jamaika-Aus: Lasst Euch Zeit – Regieren wird überschätzt!


Jamaika-Aus und nun?
Krisen kann Merkel auch alleine

Meinungt-online, Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 21.11.2017Lesedauer: 3 Min.
Angela Merkel verlässt nach einem Gespräch mit Bundespräsident Steinmeier Schloss Bellevue: Die Kanzlerin hat schon öfters in Krisenzeiten bewiesen, dass sie alleine Entscheidungen treffen kann.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel verlässt nach einem Gespräch mit Bundespräsident Steinmeier Schloss Bellevue: Die Kanzlerin hat schon öfters in Krisenzeiten bewiesen, dass sie alleine Entscheidungen treffen kann. (Quelle: dpa-bilder)

Ein paar Monate ohne funktionierende Bundesregierung sind nicht so schlimm. Die Wirtschaft läuft, die Staatsfinanzen sind in Ordnung und eine Kanzlerin, die in Krisen gerne alleine agiert.

Es wird keine Jamaika-Koalition geben in Deutschland. Das Entsetzen darüber ist auch an Tag zwei der Absage groß. In Berlin redet man von der Staatskrise, in die die FDP Deutschland gestürzt habe. Größer geht es nicht. Doch ist es wirklich schlimm, wenn das Land mal ein paar Monate nicht (oder nur ein bisschen) regiert wird? Wahrscheinlich nicht.

Sondierungsgespräche heißen so, weil man nicht genau weiß, ob man zusammenpasst. Sie heißen so, weil sie auch scheitern können. Sicher, es ist unangenehm, am Ende eine Nase gedreht zu bekommen. Es ist blöd, wenn einer der Gesprächspartner den Eindruck vermittelt, er habe gar nicht gewollt. Doch für Deutschland muss das kein Drama sein.

1. Stillstand in der Gesetzgebung nicht so verheerend

Erstens ist Stillstand in der Gesetzgebung nicht so verheerend, wie man annehmen könnte. Solange die Wirtschaftsentwicklung positiv ist, gibt es kurzfristig wenig Handlungsbedarf. Im Gegenteil: Es bekommt Wirtschaft und Gesellschaft ganz gut, wenn sie nicht mit immer neuen Regelungen, Gesetzen und Verordnungen in Schach gehalten werden. Das zeigt nicht nur der Blick ins Ausland. Holland war monatelang ohne echte Regierung, in Belgien dauerte das demokratische Interregnum sogar eineinhalb Jahre. Geschadet hat es beiden Ländern nicht, im Gegenteil: Wie Deutschland gehören die beiden Benelux-Staaten zu den wirtschaftlich erfolgreichen Ländern der Eurozone.

Auch Deutschland wurde schon einmal fast ein ganzes Jahr lang nicht regiert, 2005 war das. Die zweite rot-grüne Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) schleppte sich über die Runden. Sie war total zerstritten, auf der Straße demonstrierten wöchentlich hunderttausende gegen die Hartz-Reformen, in den Landtagswahlen ging ein Bundesland nach dem anderen an die CDU. Die Regierung verlor die Nerven. Im Juli stellte Gerhard Schröder die Vertrauensfrage. Der damalige Bundespräsident Horst Köhler ordnete Neuwahlen an, im September begann eine schwierige Regierungsbildung unter Angela Merkel (CDU). Im November wurde der Koalitionsvertrag unterschrieben. 11 Monate lang wurde Deutschland nicht regiert, es wurde kaum etwas entschieden. War das schlimm? Statt 5 Millionen Arbeitslosen zu Jahresbeginn waren zum Jahresende nur noch 4,6 Millionen Erwerbstätige arbeitslos gemeldet. Das Wirtschaftswachstum nahm Fahrt auf, das Staatsdefizit sank. Alles, ohne dass regiert worden wäre.

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Diesmal dürfte es ähnlich gehen: Deutschland erlebt einen robusten Aufschwung. Neue Gesetze – wie etwa teurere Energie, oder Neuregelungen auf dem Arbeitsmarkt – würden nur stören.

2. Kanzlerin ist nicht zur Untätigkeit verdammt

Zweitens gibt es mit den Protokollen aus den Sondierungsgesprächen schon eine Blaupause für das Regierungshandeln in der Zwischenzeit – bis entweder eine neue Koalition gefunden, eine Minderheitsregierung angetreten ist, oder Neuwahlen festgesetzt worden sind. Sollte die Sache also länger dauern, sind das Parlament und die die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel keineswegs zu Untätigkeit verdammt. Sie können mit dem Abarbeiten des Sondierungskonsenses anfangen. Da, wo schnelle Veränderungen notwendig sind – in der Bildungspolitik, der Energie- und Klimawende, der Digitalisierung, sogar beim Abbau des Solidaritätszuschlages – könnten Parlament und die Regierung handeln. Schließlich gibt es einen gewählten Bundestag. Dem würde es gut bekommen, sich endlich aus der Merkelschen Umklammerung zu lösen. Selbst die geschäftsführende Bundesregierung darf alles machen, was eine vom Bundestag gewählte und vom Präsidenten eingesetzte auch tun dürfte.

3. Krisen kann Merkel auch alleine

Das alles gilt natürlich nur für den politischen Normalbetrieb. Sollte eine plötzliche Krise – eine Naturkatastrophe, ein Krieg, eine neue Migrations- oder Finanzkrise – über Deutschland hereinbrechen, herrscht ein Ausnahmezustand, in dem aktiv regiert werden muss. Braucht man aber dazu ein ganzes Kabinett, ein Parlament, einen Koalitionsvertrag? Die Kanzlerin hat in den vergangenen Krisen gezeigt, dass sie auch dann gern allein entscheidet, wenn demokratisch legitimierte Fachminister um sie herum sind. In einer echten nationalen Krise müsste sie es tun.

Am Ende wird es eine neue Regierung geben. Es gibt keinen Grund zu Panik. Mit der Regierungsbildung können sich die Parteien Zeit lassen – wenn sie es danach richtig machen.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. In ihrem neuesten Buch "Regierung ohne Volk. Warum unser politisches System nicht mehr funktioniert." beschäftigt sie sich mit den Lebenslügen der deutschen Politik seit 2005.

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