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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wirtschaftsweise "Die Alibi-Frau kann nicht das Ende vom Lied sein"
Die Bundesregierung will bestimmten Unternehmen vorschreiben, auch den Vorstand stärker mit Frauen zu besetzen. Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer hält das für ein wichtiges Signal, warnt aber vor zu hohen Erwartungen.
In den Chefetagen vieler deutscher Unternehmen sucht man Frauen noch immer vergeblich. Weil die freiwillige Selbstverpflichtung nicht gefruchtet hat, soll der Bundestag nun eine Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen beschließen.
Für Monika Schnitzer, Ökonomin und Mitglied der Wirtschaftsweisen, ist das ein notwendiger Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung. Der Einfluss von Stereotypen sei zu groß, als dass sich Frauen in Masse allein durch Leistung nach oben arbeiten könnten.
t-online sprach mit Monika Schnitzer darüber, warum es aktuell noch viele Chefs gibt, die weniger können als Frauen, welchen Effekt die geplante Quote haben kann – und wo sie an Grenzen stößt.
t-online: Frau Schnitzer, warum sind so wenige Frauen Chefinnen?
Monika Schnitzer: Der wichtigste Grund ist, dass Frauen bei gleicher Qualifikation und Leistung oft schlechter beurteilt werden. Das liegt an Stereotypen, wie verschiedene Studien zeigen. Legt man etwa Probanden Lebensläufe vor, die sich nur darin unterscheiden, dass einer von einer Frau stammt und der andere von einem Mann, wird der weibliche schlechter eingeschätzt. Bei Orchestermusikern ist man deshalb dazu übergegangen, Bewerber hinter Vorhängen vorspielen zu lassen, um nicht auf das Geschlecht konditioniert zu sein. Das funktioniert in Unternehmen natürlich nicht.
- Mehr Frauen in Führung: Wie bricht die gläserne Decke?
Die Stereotype schlagen dort also voll durch?
Genau – mit den entsprechenden Konsequenzen: Wenn Frauen schon erwarten, dass sie keine echte Chance bekommen, ist ihre Motivation, Karriere zu machen, geringer. Und wenn Chefs von Vorurteilen beeinflusst werden, werden sie Frauen seltener auf Führungspositionen vorbereiten. Hinzu kommt, dass Frauen typischerweise diejenigen sind, die in Teilzeit gehen, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Da gibt es in Deutschland noch ein ganz klares gesellschaftliches Bild, wie die Rollen verteilt sein sollten.
Die Innovationsökonomin
Monika Schnitzer, geboren 1961, gehört seit April 2020 zu den fünf Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung in ökonomischen Fragen beraten. Sie ist seit 1996 Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Innovationen, Wettbewerbsrecht und multinationale Unternehmen. Schnitzer war 2015 als erste Frau an die Spitze des "Verein für Socialpolitik" gewählt worden, des größten Professorenverbands im deutschen Sprachraum. Als Gastprofessorin lehrte sie an den US-Universitäten Harvard, Berkeley, Stanford und Yale.
Kann die jetzt geplante Frauenquote für Vorstände das ändern?
Ja. Sie ist ein Hebel, mit dem sich Stereotype ändern lassen. Die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Esther Duflo hat das in einer Studie in Indien gezeigt. Dort wurde in zufällig ausgewählten Dörfern eine Frauenquote für Dorfvorsteher eingeführt. Begleitend hat Duflo erhoben, wie politische Reden von der Bevölkerung wahrgenommen werden. Die Reden, die eine Schauspielerin eingesprochen hatte, wurden schlechter bewertet als jene mit männlichem Sprecher. Später wurde die Erhebung wiederholt und siehe da: In den Dörfern, die durch die Quote Erfahrung mit Frauen in Führung gemacht hatten, wurden die Stereotype weniger wirksam.
Aber die Bundesregierung plant ja gar keine richtige Quote, sondern eine Mindestbeteiligung. In börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen mit mehr als drei Vorstandsmitgliedern muss mindestens eines davon eine Frau sein. Reicht das?
Die Quote, wie sie das Kabinett jetzt verabschiedet hat, ist ein wichtiges Signal, gilt aber nur für eine begrenzte Zahl von Unternehmen. Manche davon haben bereits eine Frau im Vorstand, so dass am Ende nur rund 30 neue Vorstandsfrauen berufen werden müssen. Man sollte auch nicht zu viel erwarten, wenn nur eine Frau alleine im Vorstand sitzt. Nicht überall wird man sie mit offenen Armen empfangen. Und es macht einen Unterschied, ob in einem vierköpfigen Vorstand eine Frau sitzt oder in einem mit zwölf Mitgliedern. Bleibt es bei der Alibifrau, kann die jetzige Regel noch nicht das Ende vom Lied sein.
Kritiker der Frauenquote bemängeln, in Zukunft bekäme gar nicht mehr der Beste den Job. Stimmt das?
Bisher ist es ja auch nicht so, dass immer der Beste den Job bekommt. Wenn Stereotype und Netzwerke einen starken Einfluss haben, beurteilen viele Vorgesetzte die Qualität nicht richtig und sehen womöglich gar nicht, dass eine Frau die Beste ist.
Sie meinen, weil es bislang keine Quote gab, gibt es viele männliche Chefs, die weniger können als Frauen.
Richtig, oder anders formuliert: Mit einer Quote kommen weniger mittelmäßige Männer zum Zug. Und um gleich das nächste Gegenargument zu entkräften: Oft wird auch kritisiert, dass man die Unternehmen mit der Quote in eine schwierige Lage brächte, weil sie jetzt gezwungen seien, gute Frauen zu finden. Dazu kann ich nur sagen: Wer jetzt erst merkt, dass er nach Frauen Ausschau halten sollte, hat vorher die falsche Personalpolitik gemacht.
Aber würden die Unternehmen Frauen nicht von sich aus fördern, wenn es gut für die Firma wäre?
Wir wissen leider aus der Forschung: Manager tun nicht immer automatisch das, was am besten für das Unternehmen ist. Sie haben persönliche Präferenzen und Vorurteile und umgeben sich zudem oft lieber mit Leuten, die ihnen ähnlich sind.
Machen mehr Frauen Unternehmen denn besser?
Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen: Unternehmen mit Frauen in der Chefetage sind erfolgreicher. Allerdings ist immer schwer auseinander zu halten, ob dieser statistische Zusammenhang tatsächlich ursächlich mit den weiblichen Führungskräften zu tun hat. Womöglich ist es auch umgekehrt und die erfolgreichen Firmen sind zugleich so fortschrittlich, dass sie Führungspositionen stärker mit Frauen besetzen. Was aber in jedem Fall stimmt: Gemischte Teams sind kreativer und unterschiedliche Sichtweisen führen zu Lösungen, die homogene Teams übersehen.
Haben Sie ein Beispiel?
Man sieht das in der Pharmaindustrie. Für Krankheiten, die vor allem Frauen betreffen, werden weniger Medikamente entwickelt. Es sei denn, in den Laboren haben auch Frauen das Sagen. Mit mehr Vielfalt können Sie ganz neue Kundengruppen erschließen. Am Ende ist dabei aber mehr gefragt als nur Teams mit Männern und Frauen. In wirklich diversen Teams braucht es auch Menschen unterschiedlicher kultureller und sozialer Hintergründe und Altersklassen.
Warum sind manche Unternehmen bei der Gleichberechtigung weiter als andere? Bei Ikea zum Beispiel arbeiten bereits zur Hälfte Frauen in Führungspositionen. Ganz ohne Quote.
Ikea ist ein gutes Beispiel. Das Unternehmen stammt aus Schweden, wo die gesellschaftliche Norm schon eine ganz andere ist als etwa in Deutschland. Dort teilt man sich viel selbstverständlicher die Kinderbetreuung, arbeitet nicht bis zum Umfallen, sondern macht früher Feierabend, um das Kind von der Kita abzuholen. Deshalb sind auch Frauen in Führung dort selbstverständlich.
Wann ist Deutschland so weit?
Gerade bei der jüngeren Generation habe ich den Eindruck, dass es auch hierzulande immer mehr Männer gibt, die es als Chance begreifen, sich Berufs- und Familienleben partnerschaftlich zu teilen. Sie tun sich aber schwer, weil auch sie noch mit den alten Vorurteilen zu kämpfen haben. Am Ende kommt es darauf an, dass wir uns als Gesellschaft überlegen, wie wir leben wollen. Nicht nur die Frauen müssen sich verändern.
Würde es helfen, wenn auch die Politik paritätisch organisiert wäre? Aktuell sind nur zwei von 16 Ministerpräsidenten weiblich, der Bundestag besteht nur zu einem Drittel aus Frauen. Braucht es auch dort eine Quote?
Verschiedene Blickwinkel und Vorbilder sind auch an der Stelle wichtig, das stimmt. Jeder gilt zwar als Vertreter für das ganze Volk und sollte sich zu einem gewissen Grad in andere hineinversetzen können. Die Frage ist aber, wie gut man jemanden wirklich vertreten kann, in dessen Schuhen man nicht steckt. Es wirft ein schlechtes Licht auf die Parteien, wenn sie es nicht schaffen, hier selbst für mehr Vielfalt zu sorgen.
Frau Schnitzer, ich danke Ihnen für das Gespräch.