Börsen-Experte "Dann müssen alle Alarmsirenen angehen"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neobroker wie Scalable Capital erleichtern den Aktienhandel. t-online sprach mit dem Gründer über die neue Lust am Geldanlegen, den Ruf als Zocker-App und ein EU-Vorhaben, das zum Problem werden könnte.
So einfach wie heute war es noch nie: App herunterladen, Depot auf der Couch eröffnen – und los geht die Geldanlage. Neobroker wie Scalable Capital, Trade Republic und Co. machen es möglich, innerhalb von Sekunden mit Wertpapieren zu handeln. Das bringt ihnen vor allem viele junge Kunden, sorgt aber auch für Kritik von Verbraucherschützern, die davor warnen, sich nicht zum Zocken verleiten zu lassen.
Die Zahlen sprechen allerdings eine andere Sprache: So zeigt eine Auswertung der eigenen Daten von Scalable Capital, Europas größtem digitalen Vermögensverwalter, dass die meisten Anleger wissen, was sie tun und ihr Geld langfristig in ETF-Sparpläne stecken.
Im Gespräch mit t-online erklärt Erik Podzuweit, Geschäftsführer und Gründer von Scalable Capital, warum die Jüngeren oft sogar vernünftiger anlegen als Ältere, wie man Finanz-Scharlatane entlarvt und was er unter der Dreifaltigkeit der Geldanlage versteht.
Herr Podzuweit, klassische Broker wie die Angebote der Deutschen Bank gelten als seriös, Neobroker wie Scalable dagegen als Smartphone-App für Zocker. Wünschen Sie sich manchmal, als ein bisschen spießiger wahrgenommen zu werden?
Erik Podzuweit: Nein, spießiger nicht. Mir gefällt schon, dass wir als neu und modern wahrgenommen werden, als Angreifer sozusagen. Dass Neobroker nur etwas für Zocker seien, ist eher eine verzerrte Wahrnehmung. Unsere Zahlen sprechen klar dagegen.
Inwiefern?
Zwei Drittel unserer Kundinnen und Kunden legen ihr Geld breit gestreut und eher langfristig in ETFs an, also in börsengehandelte Investmentfonds. Außerdem haben wir einen hohen Anteil an Sparplänen. Das ist eine sehr vernünftige Sache. Denn in Zeiten von 5 Prozent Inflation kann Sparen nicht mehr nur bedeuten, dass man sein Geld nicht ausgibt. Anlegen ist das neue Sparen – und hat mit Zocken nichts zu tun.
Trotzdem haftet vor allem jüngeren Nutzern das Klischee an, sie würden sich von der spielerischen Aufmachung vieler Neobroker zu überhasteten Käufen verleiten lassen. Sehen Sie einen Unterschied zwischen jüngeren und älteren Anlegern?
Ja, aber tatsächlich genau umgekehrt. Interessanterweise sind es eher die Jüngeren, die einen hohen ETF-Anteil haben, und die Älteren, die ihr Geld stärker in Einzelaktien anlegen.
Wie erklären Sie sich das?
Die meisten unserer Nutzer legen ihr Geld langfristig an, aber es gibt schon eine Community von Vieltradern. Und das sind typischerweise erfahrene Leute. Oft mit technischer Ausbildung, wie Ingenieure oder Informatiker. Die brauchen sie auch. 5 bis 10 Prozent unserer Kunden sorgen für 80 Prozent des Handelsvolumens.
Scalable Capital
Der Münchner Finanzdienstleister ist mit mehr als einer halben Million Kunden eine der führenden digitalen Investmentplattformen in Europa. Kunden können beim Neobroker Aktien, ETFs, Fonds, Kryptowährungen und Derivate handeln. Scalable Capital wurde 2014 gegründet und ist neben Deutschland auch in Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien und Österreich aktiv. Das von der Bafin und Bundesbank beaufsichtigte Wertpapierinstitut verwaltet mehr als sechs Milliarden Euro auf seiner Plattform.
Es war noch nie so einfach wie heute, sich Wissen über Geldanlage anzueignen. Tendieren die Jüngeren womöglich auch deshalb eher zu ETFs und Sparplänen, weil sie das auf Plattformen wie Instagram und YouTube gelernt haben?
Da sprechen Sie etwas ganz Wichtiges an! In der Schule lernt niemand, was ein ETF ist. Diesen Job hat zunächst die klassische Presse übernommen, und jetzt gibt es die Infos eben auch auf Social Media. Das mag manch einer belächeln, aber wenn man den guten Leuten folgt, nicht den Scharlatanen, kann man sich dort wirklich gutes Grundlagenwissen aneignen.
Woran erkenne ich denn, ob ein Finanzinfluencer tatsächlich Ahnung hat oder sich mit seinen angeblichen Tipps bloß selbst bereichern möchte?
Wenn jemand versucht, Ihnen einen sicheren Gewinn ohne Risiko zu verkaufen, dann müssen bei Ihnen alle Alarmsirenen angehen. In einem Niedrigzinsumfeld, wie wir es aktuell noch haben, ist eine Rendite, die deutlich über null liegt, mit Risiko verbunden. Das geht gar nicht anders. Aufpassen sollten Sie auch bei Leuten, die Ihnen in einem Seminar für Hunderte Euro erklären wollen, wie Sie in einem Jahr Millionär werden. Hätten sie die Formel dafür tatsächlich gefunden, bräuchten sie keine Seminare zu geben.
Ein Drittel der Scalable-Anleger ist zwischen 27 und 34 Jahre alt, ein knappes Viertel 18 bis 26 Jahre. Verdanken Sie Ihren Erfolg auch den Influencern auf Social Media?
Zu einem gewissen Grad schon, ja. Uns würde es auch ohne sie geben, aber Social Media ist heute einfach ein wichtiger Kanal, auf dem sich die Menschen eine Meinung über Angebote bilden. Ich nenne das immer die Dreifaltigkeit der Geldanlage: Der erste Baustein war die Erfindung des ETFs, der zweite die Möglichkeit, sich darüber zu informieren, und der dritte sind jetzt die Neobroker, die den Zugang noch mal erleichtert haben – durch niedrigere Kosten und einfache Benutzbarkeit.
Den Zugang zur Börse haben gerade im ersten Corona-Jahr deutlich mehr Menschen gefunden als üblich. Nach Zahlen des Deutschen Aktieninstituts begannen 2020 allein 600.000 Menschen unter 30 Jahren mit dem Aktiensparen, 2021 waren es hingegen nur noch 49.000, und die Gesamtzahl der Anleger ist sogar um 280.000 zurückgegangen. Ist der Boom vorbei?
Der Gesamtmarkt hat sich schon abgekühlt, aber wir selber wachsen immer noch. Probleme haben die klassischen Anbieter. Gerade bei den Hausbanken geht das Wertpapiergeschäft brutal zurück. Die Kunden wandern ab zu den Online-Banken und seit einigen Jahren eben auch zu uns Neobrokern.
Daran hat auch der Ausbruch des Ukraine-Krieges nichts geändert?
Nein. Die Zahl der Neukunden ist im April und Mai schon gesunken, aber wir wachsen trotzdem weiter. Es gab keinen Monat, in dem die Nettozuflüsse nicht positiv waren. Da war der Corona-Ausbruch viel schlimmer. Man merkt zwar, dass die Leute deutlich vorsichtiger sind als letztes Jahr, aber von Panik sind sie weit entfernt.
Was glauben Sie, woran das liegt? Sind wir Krisen inzwischen gewohnt?
Ich glaube, das hat vor allem damit zu tun, dass die Portfolien breit diversifiziert sind. Die Generation meiner Eltern hat ihren Einstieg an die Börse mit einer einzigen Aktie gemacht, der Telekom-Aktie. Und die kannte schnell nur noch einen Weg: nach unten. Wenn Sie hingegen einen ganzen Korb voll Aktien halten, wie bei einem ETF, dann fällt ein Rückgang einzelner Werte viel weniger ins Gewicht. Und was wir auch sehen: Wenn die Leute einen Sparplan haben, bleiben sie in Krisen cooler. Denn gerade dann kaufen sie günstig hinzu. Außerdem steigt die absolute Summe in den Portfolien meist, wenn Sie jeden Monat einzahlen. Das ist auch ein psychologischer Trick, um bei der Stange zu bleiben.
Scalable Capital beschränkt sich ja nicht auf ETF-Sparpläne. Seit einigen Monaten kann man bei Ihnen auch mit Kryptowährungen handeln. Aber kann man überhaupt guten Gewissens zur Anlage in Bitcoin und Co. raten?
Wir raten ja nicht dazu, das muss jeder selbst entscheiden. Wir sehen es aber als unseren Job an, den Leuten einen günstigeren und einfacheren Zugang zum Kapitalmarkt zu bieten als klassische Banken. Und wenn es eine größere Nachfrage nach einer Anlageklasse gibt, wollen wir dieses Interesse auch bedienen.
Dann anders gefragt: Würden Sie Ihren Freunden zu einer Anlage in Kryptowährungen raten?
Aus meiner Sicht gehören Kryptowährungen zu einem kleinen Teil ins Portfolio, weil ich an die dahinterliegende Technologie glaube, die Blockchain. Anfänger sollten aber nicht mehr als 2 Prozent ihres Geldes investieren. Wer sich etwas besser auskennt, kann auch auf 5 Prozent gehen, aber mehr halte ich für zu risikoreich. Und wer sagt, ich mache nur Krypto – das halte ich für Wahnsinn. Es gibt keine Anlageklasse, die so stark schwankt.
Wer sich bei Ihnen für Kryptos entscheidet, hält am Ende keine eigenen Coins, sondern nur Zertifikate. Paart man da nicht zwei sehr risikoreiche Anlagen miteinander?
Wir glauben, dass es für die normale Anlegerin oder den normalen Anleger die günstigere und sicherere Variante ist, wenn sie die Coins über ein Wertpapier kaufen. Die liegen dann nicht im eigenen Wallet, sondern in einer Sammelverwahrstelle, werden also wirklich physisch eingekauft. Außerdem haben Wertpapiere einen Steuervorteil: Sobald Sie sie länger als ein Jahr halten, müssen Sie keine Abgeltungssteuer zahlen. Kaufen Sie die Coins selbst, wird eine Steuererklärung fällig.
Sie sprachen davon, dass Sie als Neobroker den Anspruch haben, günstiger zu sein als die Konkurrenz. Das gelingt auch, weil Sie eine Provision von den Handelsplätzen erhalten, an die Sie die Kundenorders weiterreichen. Die EU-Kommission kritisiert jedoch, dass die Kunden dadurch womöglich gar nicht dort kaufen und verkaufen, wo es für sie am besten ist, sondern dort, wo es für den Neobroker am meisten Geld zurück gibt. Stimmt das?
Grundsätzlich können die Kunden bei uns zwischen zwei Handelsplätzen wählen: dem Xetra-System, dem elektronischen Handelssystem der Deutschen Börse, und gettex, einer speziellen Retailbörse. Bei Xetra gibt es die Rückvergütungen – im Fachjargon Payment for Order Flow – nicht. Dafür ist das Traden dort aber auch etwas teurer. Bei gettex bekommen wir in der Tat Geld zurück, das wir aber nicht als Gewinn behalten dürfen, sondern nutzen müssen, um die Qualität zu verbessern. Deswegen kostet der Trade dort nur zwischen null und einem Euro. Die Rückvergütung führt also dazu, dass der Handel für die Kunden günstiger wird.
Also hat die EU-Kommission unrecht? Immerhin hat sie ausgerechnet, dass die Differenz zum eigentlich fairen Kursniveau 10,6 Milliarden Euro pro Jahr beträgt. So viel Geld verlieren Neobroker-Kunden demnach, weil sie zu teuer kaufen und zu günstig verkaufen.
Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, das Rückvergütungssystem abzuschaffen, ändert aber gerade ihre Meinung. Was die Befürworter des Verbots bewusst unter den Tisch fallen lassen, sind die Nebenkosten. Zu welchem Kurs Sie kaufen und verkaufen, ist das eine, aber was Sie pro Trade bezahlen müssen, ist genauso wichtig. Gerade kleine Investments würden sinnlos, wenn jeder Trade 10 Euro kostet.
Wäre das die Konsequenz des Verbots? Müssten Sie die Gebühren für Ihre Kunden deutlich anheben?
Ja, die Gebühren müssten steigen. Wir wären dann zwar immer noch günstiger als die Konkurrenz, aber es wäre wirklich ein Witz, wenn das Verbot käme. Das Ziel der EU ist es doch, Privatanleger und Privatanlegerinnen an den Kapitalmarkt zu bringen. Da kann man den Investoren doch nicht einen draufgeben und die Gebühren erhöhen. Da würde ich wirklich den Glauben an das Gute verlieren.
Herr Podzuweit, vielen Dank für das Gespräch.
- Interview mit Erik Podzuweit, Gründer von Scalable Capital