"Völliger Blödsinn" EU verschiebt umstrittenes Gesetz
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Nach jahrelangem Protest wird das europäische Lieferkettengesetz nun verschoben. Auch Auflagen zum Klimaschutz sollen neu verhandelt werden.
Unter massivem Druck aus der Wirtschaft will die Europäische Kommission die Anwendung des EU-Lieferkettengesetzes um ein Jahr verschieben und die Auflagen für Unternehmen deutlich abschwächen. Eine Verschiebung des Stichtags für die Regeln auf Juni 2028 werde "Unternehmen mehr Zeit geben", teilte die Kommission am Mittwoch mit. Zahlreiche Firmen sollen zudem von einer Ausnahme von Nachhaltigkeitsregeln profitieren. An ihren Klimazielen will die Kommission trotzdem festhalten.
Eigentlich will die EU mit dem Lieferkettengesetz Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten für Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung in ihrer Produktion in die Pflicht nehmen. Die Kommission schlägt nun vor, den ersten Stichtag für die Umsetzung um ein Jahr auf den 26. Juni 2028 zu verschieben. Ein Jahr später soll das Gesetz dann voll greifen.
Kritik von Oxfam
Die betroffenen Firmen sollen nicht mehr in ihrer gesamten Lieferkette die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards sicherstellen müssen, sondern nur noch bei ihren direkten Zulieferern. Ein Nachweis dafür würde den Vorschlägen zufolge nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle fünf Jahre fällig. Die Kommission will zudem eine EU-weite zivilrechtliche Haftung für Verstöße gegen die Vorgaben einschränken.
Nach Einschätzung der Organisation Oxfam wäre es im Fall "jahrelanger Verletzung grundlegender Menschenrechte" für Betroffene nicht mehr möglich, EU-weit vor Gericht zu ziehen. "Ohne verbindliche Sorgfaltspflichten übernehmen Unternehmen keine Verantwortung", warnte die Oxfam-Anwältin Franziska Humbert.
Weitere Auflagen sollen verschoben werden
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte den Unternehmen eine "beispiellose Anstrengung" für den Abbau von Regeln versprochen. Neben dem Lieferkettengesetz will die Kommission auch Vorgaben für die Nachhaltigkeits-Berichtserstattung um zwei Jahre verschieben und neu verhandeln. Nach Kommissionsangaben sollen 80 Prozent der bislang betroffenen Unternehmen ausgenommen werden.
Zudem will Brüssel zahlreiche Firmen von einer Abgabe auf CO2-Emissionen von Importen ausnehmen, weil sie nach Einschätzung der Kommission nur geringe CO2-Emissionen haben. Das soll den Plänen zufolge für alle Unternehmen gelten, die weniger als 50 Tonnen Stahl, Aluminium, Zement oder Düngemittel in die EU importieren. Von den Erleichterungen sollen vor allem Mittelständler profitieren.
Reform ja, aber "ohne Kettensäge"
Deutsche Wirtschaftsverbände begrüßten die Vorschläge, verlangten aber weitere Zusagen aus Brüssel. So sprach die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) von einem "Hoffnungsschimmer, aber nicht mehr". Die mit dem Aufschub des Lieferkettengesetzes gewonnene Zeit müsse "dringend genutzt werden, um die Richtlinien praxistauglich zu gestalten", forderte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Peter Leibinger.
Trotz ihrer Zusagen an Unternehmen will die Kommission am Ziel der Klimaneutralität bis 2050 festhalten. Die EU werde bei ihren Reformen "ohne Kettensäge" vorgehen, betonte Industriekommissar Stéphane Séjourné unter Anspielung auf US-Milliardär Elon Musk und den argentinischen Präsidenten Javier Milei, die eine Kettensäge als Symbol für einen radikalen Staatsabbau nutzen.
Umweltorganisation: "völliger Blödsinn"
Die Umweltorganisation Client Earth kritisierte die Kommissionsentwürfe als "völligen Blödsinn" und verwies auf Unternehmen, die sich bereits an den Vorgaben orientieren. Mit Blick nach Washington sagte die Client-Earth-Anwältin Amandine Van Den Berghe, ein Rennen mit den USA um den Abbau von Regeln werde Europa "nicht gewinnen".
Auch hohe Energiepreise sind für europäische Unternehmen ein Nachteil im Wettbewerb mit den USA. Die Kommission empfiehlt den EU-Ländern deshalb, ihre Energiesteuern zu senken. Neben dem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien will sie den Import von Flüssiggas (LNG) von "verlässlichen" Handelspartnern vorantreiben. So gelten zusätzliche LNG-Importe aus den USA als Option in Verhandlungen mit Präsident Donald Trump und als Alternative zu russischem Gas.
Um die Industrie anzukurbeln, will die Kommission europäischen Unternehmen den Vorzug bei öffentlichen Ausschreibungen geben. Außerdem ist eine Reform der Vorgaben für Staatshilfen der einzelnen Mitgliedsländer geplant, die großzügigere Subventionen erlauben soll. Aus dem laufenden EU-Haushalt soll eine zusätzliche Milliarde Euro in "saubere" Technologien fließen.
- Nachrichtenagentur AFP