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Bürgergeld: Lohnt sich arbeiten gehen überhaupt? | Studie


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Arbeiten oder Nichtstun?
Bürgergeld: "Die Behauptung ist schlicht falsch"


Aktualisiert am 21.01.2024Lesedauer: 4 Min.
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Passanten in Hamburg: Arbeiten gehen lohnt sich laut einer neuen Studie immer. (Quelle: IMAGO/Hanno Bode)
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Lieber Bürgergeld beziehen als arbeiten gehen? Diese Rechnung geht nicht auf, zeigt jetzt eine neue Studie, die t-online vorab vorliegt.

Für die rund 5,5 Millionen Bürgergeldempfänger hat das Jahr gut begonnen. Seit dem 1. Januar nämlich bekommen sie deutlich mehr Geld. Um 12 Prozent stiegen die staatlichen Transfers – und das, obwohl die Inflation vergangenes Jahr nur 5,9 Prozent betrug. Wer als arbeitsloser Single Grundsicherung bezieht, erhält jetzt pro Monat 563 Euro. Und bekommt in aller Regel auch die Miete vom Amt bezahlt.

Lohnt sich arbeiten da eigentlich noch? Oder verhält es sich mit dem Hartz-IV-Nachfolger tatsächlich so, wie es insbesondere Unionspolitiker zuletzt immer wieder behaupteten: Ist das Bürgergeld wirklich so hoch, dass Nichtstun belohnt wird, und der sogenannte Lohnabstand so klein, dass kaum ein Arbeitsloser einen Job annimmt?

Diesen Fragen sind nun Wirtschaftsforscher des Münchner Ifo-Instituts nachgegangen. Das für manchen überraschende Ergebnis ihrer Studie, die t-online vorab vorliegt: Arbeiten gehen lohnt sich immer. Wer einen Job hat, hat stets mehr Netto als jemand, der nur von Transfers lebt – zumindest dann, wenn die entsprechende Person neben ihrem Lohn zusätzlich auch alle staatlichen Leistungen bezieht, die ihr je nach Einkommen zustehen.

"Diese Behauptung ist schlicht falsch"

"Die von manchen Politikern aufgestellte Behauptung, wer nur Sozialleistungen beziehe, bekomme netto mehr als ein Geringverdiener, ist schlicht falsch", sagt Andreas Peichl, Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen. Sein Kollege Maximilian Blömer ergänzt: Dieser Fall sei schon deshalb ausgeschlossen, "weil es die Freibeträge für Erwerbstätige bei der Anrechnung von Einkommen auf die Sozialleistungen gibt, um genau das zu verhindern".

Zugleich aber zeigt die Studie auch: Der Lohnabstand ist je nach Haushalts- und Familienkonstellation unterschiedlich groß. Anders ausgedrückt: Arbeiten gehen lohnt sich nicht für alle im selben Maße, die finanziellen Anreize sind gerade mit Blick auf eine Beschäftigung im Niedriglohnsektor sehr verschieden. Und die Höhe der Miete spielt bei all dem eine große Rolle.

Für ihre Studie haben Peichl und seine Kollegen Bürgergeldempfänger mit Mindestlohnbeziehern verglichen. "Damit kommen wir am nächsten an das heran, was viele Menschen landläufig als Lohnabstand bezeichnen", erklärt Peichl. Zudem haben sie verschiedene Haushalte – Singles, Alleinerziehende, Alleinverdiener-Paare und Doppelverdiener-Paare – sowie unterschiedliche Mietniveaus (mittel oder hoch) in ihre Berechnung einbezogen.

"Da entsteht eine Niedriglohnfalle"

t-online zeigt anhand von drei exemplarischen Rechnungen, wie groß beziehungsweise wie klein der Unterschied je nach Konstellation ausfallen kann:

  • Single: Hat mit Bürgergeld 563 Euro zur Verfügung, von dem er weder Heiz- noch Mietkosten bezahlen muss. Verdient in einem Vollzeitjob zum Mindestlohn (12,41 Euro pro Stunde) monatlich 2.000 Euro brutto, wovon ihm nach Abzug von Steuern, Abgaben, Heizkosten (80 Euro) und einer mittelhohen Miete (430 Euro, zum Beispiel in Dresden) im Schnitt 1.020 Euro bleiben. "Das macht einen Unterschied von 457 Euro im Monat", so Peichl. Für diese Summe aber müsste die Person auch zusätzliche Hilfen vom Amt beantragen, zum Beispiel Wohngeld. "Gänzlich ohne staatliche Transfers blieben nach Abzug aller Posten nur 965 Euro übrig, dann schrumpft der Lohnabstand auf 402 Euro." Und: Wohnt dieselbe Person in einer Stadt mit hohen Mieten (in der Ifo-Rechnung durchschnittlich 650 Euro), zum Beispiel München, fiele der Abstand ebenfalls kleiner aus. Der Grund: Hier lohnt sich die Mietübernahme durch das Amt mehr.
  • Alleinerziehende mit zwei Kindern: Hat mit Bürgergeld und Kinderzuschlägen 1.553 Euro zur Verfügung. Hätte bei Aufnahme einer Vollzeitstelle zu Mindestlohn weiter Anspruch auf staatliche Transfers, etwa Wohngeld und auch Kinderzuschlag, – und würde nach Abzug von Steuern, Heiz- und mittelhohen Mietkosten monatlich rund 2.489 Euro in der Tasche haben. Peichl: "Hier fällt der Lohnabstand damit deutlich größer aus. Er beträgt dann 936 Euro." Die Schwierigkeit in dieser Bevölkerungsgruppe sei derweil eine andere: "Wenn dieselbe Person eine besser bezahlte Position annimmt und etwa 3.000 Euro brutto im Monat verdient, entfällt der Anspruch auf viele staatliche Leistungen. Der Zuwachs beim Netto nach Abzug einer mittelhohen Miete ist dann mit 59 Euro sehr gering. Da entsteht eine Niedriglohnfalle."
  • Ehepaare mit zwei Kindern: Haben mit Bürgergeld 1.799 Euro zur Verfügung. Würden bei einer mittelhohen Miete nach Abzug und Hinzurechnen der bereits erwähnten Posten über 3.161 Euro verfügen, wenn sie beide voll zu Mindestlohn arbeiten gingen. Macht einen Lohnabstand von 1.362 Euro. "Auch hier aber gilt", so Peichl, "dafür muss das Paar zusätzliche Leistungen beantragen, in diesem Fall vor allem Wohngeld." Würden beide gänzlich auf Transfers verzichten, stünden sie mit Mindestlohn deutlich schlechter da, dann nämlich hätten sie nach Abzug einer mittelhohen Miete zusammen nur 2.606 Euro zur Verfügung.

Das Fazit der Forscher: Das Lohnabstandsgebot gilt auch nach der Erhöhung der Bürgergeldsätze im Jahr 2024. "Allerdings sind die Anreize, einen besser bezahlten Job anzunehmen, der womöglich auch eine höhere Arbeitsbelastung mit sich bringt, zum Teil sehr gering", sagt Peichl.

Grundsätzlich plädiert er deshalb für einen Vorschlag, den er gemeinsam mit anderen Wirtschaftsforschern vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Anfang des Jahres bereits in einer Studie für das Arbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) unterbreitet hat: Die Zuverdienstgrenzen sollten stark steigen. Peichl: "Damit würde für Geringverdiener der Anreiz steigen, mehr zu arbeiten."

Heil will Totalverweigerer stärker sanktionieren

Die Umsetzung einer solchen Idee ist allerdings nicht absehbar. Zuletzt stritten sich im politischen Berlin Ampelkoalitionäre und Opposition vielmehr um die von Heil angekündigte strengere Gangart gegenüber sogenannten Totalverweigerern. Bürgergeld-Empfängern, die sich Maßnahmen des Jobcenters verweigern, sollen demnach die Leistungen für die Dauer von zwei Monaten gekürzt werden.

Heil will damit beim Bürgergeld nicht zuletzt Einsparungen in Höhe von 170 Millionen Euro erreichen. Der Union, allen voran Unionsfraktionsvize Jens Spahn, gehen die Sanktionspläne des Arbeitsministeriums derweil nicht weit genug.

Spahn plädiert dafür, das Grundgesetz zu ändern, damit bereits all jenen, die einen Job nicht annehmen wollen, das Bürgergeld komplett gestrichen werden darf. Im t-online-Interview kritisierten Juso-Chef Philipp Türmer sowie die Bundessprecherin der Grünen Jugend, Katharina Stolla, dies als "absolut ehrenlos".

Verwendete Quellen
  • Ifo-Studie: "Lohnt" sich Arbeit noch? Lohnabstand und Arbeitsanreize im Jahr 2024
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