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Heil: "Jobturbo" für Ukrainische Flüchtlinge – nur jeder Fünfte arbeitet


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Mit Heil im ICE-Werk
So sollen die ukrainischen Flüchtlinge an Jobs kommen


20.11.2023Lesedauer: 5 Min.
Ukrainische Flüchtlinge arbeiten bei der Deutschen BahnVergrößern des Bildes
Tetiana Kononenko: Die Ukrainerin arbeitet bei der Bahn als Elektromechanikerin. (Quelle: Florian Schmidt/t-online)

Nur jeder fünfte Kriegsflüchtling aus der Ukraine arbeitet – obwohl alle es dürfen. Arbeitsminister Heil will das ändern und zählt dabei auf die Wirtschaft.

Das harte Scheinwerferlicht blendet sie, als sie nach rechts blickt, sie kneift die Augen zusammen. Ein leichtes Lächeln huscht ihr über die Lippen, dann wird es ernst: Sieben Fernsehkameras richten sich auf Tetiana Kononenko, orange Warnweste, blaue Latzhose, auf dem Bauch das rot-weiße Logo der Deutschen Bahn. Mit einem Mal muss sie viele Hände schütteln, Regieanweisungen folgen. "Bitte noch einmal hier hinschauen" – "Jetzt noch einmal zu mir" – "Guten Morgen, wie geht es Ihnen?" – "An so einem Zug arbeiten Sie also."

Es ist Montagmorgen, halb neun. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bahn-Personalvorstand Martin Seiler sind in das ICE-Werk Berlin-Rummelsburg gekommen, zudem Daniel Terzenbach, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit. Die drei wollen sich vor Ort einen Eindruck von Kononenkos Arbeit machen, erfahren, wie es ihr und ihren beiden Kolleginnen geht. Und dem Tross von Reportern im Schlepptau zeigen: Schaut her, so leicht kanns gehen, das sind sie, die leuchtenden Beispiele für Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, und hier schnell einen guten Job gefunden haben.

Heils neuer "Jobturbo" für Flüchtlinge

Tetiana Kononenko, 39, stammt aus Schytomyr, einer Stadt 140 Kilometer westlich von Kiew. 14 Jahre lang arbeitete sie dort für das staatliche Eisenbahnunternehmen der Ukraine als Elektromechanikerin. Bis Russland vor anderthalb Jahren die Ukraine überfiel. Wenige Tage nach Beginn des Krieges ergriff sie mit ihren zwei Kindern, heute 14 und 16 Jahre alt, die Flucht, landete zunächst in Polen, schließlich in Berlin.

Kononenko ist eine von mehr als einer Million Ukrainern, die vor Putins Angriff nach Deutschland geflohen sind – und die wegen der andauernden Kämpfe in der Heimat wohl deutlich länger bleiben werden als ursprünglich gedacht. Womöglich für immer.

Das erklärte Ziel der Bundesregierung für diese Menschen ist deshalb: Sie sollen jetzt zügig in reguläre Jobs kommen, um in Deutschland richtig Fuß zu fassen und bestenfalls zugleich dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Gemeinsam mit Terzenbach, dem extra dafür bestellten Sonderbeauftragten der Bundesregierung, will Arbeitsminister Heil dafür einen "Jobturbo" für anerkannte Flüchtlinge anschmeißen. Rund 400.000 Menschen, davon rund die Hälfte geflüchtete Ukrainer, sollen die Jobcenter in Kürze bereits nach einem ersten Sprachkurs Stellen anbieten. Lehnen die Geflüchteten diese ab, drohen ihnen Kürzungen bei den staatlichen Leistungen.

80 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge noch ohne Job

Wie nötig dieser "Jobturbo" ist, zeigen die Zahlen. Bislang haben lediglich rund 140.000 Ukrainer, also knapp jeder Fünfte, eine normale Arbeit in Deutschland aufgenommen. Die übrigen beziehen – anders als Geflohene aus anderen Ländern – seit Tag eins ihres Aufenthalts in Deutschland Bürgergeld, was unlängst etwa CDU-Fraktionschef Friedrich Merz im t-online-Interview kritisierte.


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Die Wirtschaft braucht diese Menschen auch


Arbeitsminister Hubertus Heil


Deshalb, vielleicht aber auch wegen der jüngsten Berichte zur Kostenexplosion bei der Sozialleistung, ist es für Heil beim Besuch im Berliner ICE-Werk wichtig zu betonen: "Die größten Einsparungen beim Bürgergeld erzielen wir dadurch, dass mehr Menschen in Arbeit kommen. Und die Wirtschaft braucht diese Menschen angesichts des Fachkräftemangels auch."

Im Falle von Tetiana Kononenko ist der Übergang in den Job optimal geglückt. Im März 2022 in Deutschland angekommen, hatte die Mechanikerin bereits im Juni 2022 ihr Vorstellungsgespräch bei der Bahn. Anschließend absolvierte sie zunächst einen dreimonatigen Sprachkurs, den ihr das Jobcenter bezahlte, ehe sie im Oktober 2022 ihre Arbeit in der ICE-Werkstatt Rummelsburg aufnahm.

Viele Firmen sind bei Einstellung zurückhaltend

Knapp ein halbes Jahr nach ihrer Ankunft in Arbeit, und das auch noch als Fachkraft, wie sie die Bahn gerade händeringend sucht: Auf den ersten Blick beweist Kononenko tatsächlich, wie es gehen kann, wie womöglich auch Heils Turbo-Maßnahmen zu vielen individuellen Erfolgsgeschichten führen können.

Allein: Größter Knackpunkt ist und bleibt die Sprache. Nach einem ersten Sprachkurs sollen die Absolventen idealerweise über das Niveau B1 verfügen, also einfache Sätze bilden können. Viele Arbeitgeber beklagen, das sei zu wenig – und sind deshalb zurückhaltend bei einer Einstellung. Ihre Haltung: Wer sich nicht gut genug ausdrücken kann, nicht genug versteht, bekommt in den allermeisten Jobs Probleme.

Das zeigt, auf den zweiten Blick, auch Kononenkos Geschichte. Nach nur vier Tagen mit den neuen Kollegen stellte auch sie im Herbst 2022 fest: "Mein Deutsch war noch nicht gut genug." Mithilfe eines Kollegen gelangte sie an einen weiteren Sprachkurs vom Jobcenter. Noch einmal drei Monate raus aus der Werkstatt. Im Februar dieses Jahres fing sie dann wieder bei der Bahn an, seitdem repariert Kononenko ICEs in Rummelsburg.

Arbeitgeber und Gewerkschaften wollen helfen

Heute sagt sie: "Ich verstehe noch nicht alles, aber das meiste. Bei der Aussprache und Wörtern helfen mir die Kollegen manchmal, dadurch wird mein Deutsch besser. Natürlich will ich dauerhaft hier arbeiten." Heil, der ihr bei seinem Besuch aufmerksam zuhört, lächelt. Deutsch lernen, Integration am Arbeitsplatz und zugleich kein Bürgergeld mehr beziehen – so stellt er sich das vor.

Und so bespricht er es deshalb wenig später am Montagmittag auch bei dem von seinem Ministerium anberaumten "Arbeitsmarktgipfel". Das Ergebnis des Treffens mit Vertretern von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Personalchefs einzelner großer Konzerne: eine Erklärung, die Heil als "Schulterschluss" bezeichnet, und in der sich alle dazu verpflichten, die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen noch stärker zu unterstützen.

Sowohl der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, als auch die Vorständin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Anja Piel, sichern dem Minister ausdrücklich Hilfe zu. Kampeter: "Die ukrainischen Flüchtlinge sind eine ganz besondere Herausforderung für den Arbeitsmarkt, weil sie besonders qualifiziert sind." Dabei müsse das Prinzip von Fördern und Fordern noch stärker kommuniziert werden.

Sonst bleiben nur hübsche Bilder

Zudem müsse die Vermittlung der Betroffenen Vorrang haben, damit aus Flüchtlingen Kolleginnen und Kollegen würden, so Kampeter. "Wir haben in Deutschland 1,7 Millionen offene Stellen." Die Flüchtlinge könnten im Kampf gegen den Fachkräftemangel somit einen echten Unterschied machen.

Dafür aber, das zeigt nicht zuletzt die Geschichte von Tetiana Kononenko, müssen sich Deutschlands Firmen öffnen, auch für Menschen, die vielleicht erst im Job richtig Deutsch lernen – oder berufsbegleitend weitere Sprachkurse belegen. Heil ruft deshalb die Wirtschaft dazu auf, dem Beispiel der Bahn zu folgen und auch Bewerber in Betracht zu ziehen, die die Sprache nicht perfekt beherrschen.

"Wir brauchen Unternehmen, die Geflüchtete auch mit Grundkenntnissen in Deutsch einstellen", sagt er. Gelingt das nicht, dürfte sein Turbo verpuffen und Heils Besuch im ICE-Werk ein Termin mit schönen Bildern bleiben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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