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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wackelt Zuckerbergs Imperium? Was der Facebook-Chef am meisten fürchtet
Nicht nur der stundenlange Ausfall von Facebook stürzt den Tech-Giganten in eine Imagekrise. Wegen neuer Enthüllungen gerät CEO Mark Zuckerberg politisch immer stärker unter Druck.
Händeringend waren Facebook-Mitarbeiter am Montag noch damit beschäftigt, den größten Systemausfall in der Geschichte der Social-Media-Plattform zu beheben. Da fällte Joe Bidens Sprecherin Jen Psaki ein Urteil über den Tech-Giganten: "Die Selbstregulierung funktioniert nicht". Dies sei in Bezug auf die gefährliche Machtfülle der sogenannten Plattform-Industrie schon lange die Ansicht des US-Präsidenten, sagte sie.
Dann machte Psaki deutlich, dass die Regierung alle Bemühungen unterstützen werde, ein quasi aus der Kontrolle geratenes System "grundlegend zu reformieren".
Zu diesem Zeitpunkt ging es in der Pressekonferenz im Weißen Haus um die schädlichen Auswirkungen von Facebook auf die Gesellschaft. Dazu platzte dann der weltweite Systemausfall der Facebook-Dienste ins Haus, von dem auch WhatsApp und Instagram betroffen waren und wodurch rund sechs Stunden lang mehrere Milliarden Nutzer keinen Zugriff mehr hatten. "Wir verfolgen das aufmerksam", sagte Psaki.
Ein Ausfall, bei dem sekündlich riesige Summen Geld vernichtet wurden – einschließlich des Vermögens von Mark Zuckerberg in Form seiner Facebook-Anteile. Innerhalb weniger Stunden verlor der Facebook-Gründer rund sechs Milliarden Dollar, was ihn in der Milliardärsrangliste von Bloomberg sogar hinter Bill Gates auf Platz fünf zurückfallen ließ. Facebook büßte am Montag zwischenzeitlich rund 50 Milliarden Dollar Marktwert ein (zum aktuellen Kurs).
Zwar konnte Facebook im vergangenen Quartal seinen Umsatz und seinen Gewinn wieder massiv steigern. Im Jahresvergleich sprang der Umsatz um 56 Prozent auf rund 29 Milliarden Dollar hoch. Und auch der Gewinn war mit rund 10,4 Milliarden Dollar doppelt so hoch wie 2020. Alle Dienste stehen hinsichtlich der Nutzerzahlen nach wie vor ganz oben im weltweiten Ranking.
Tech-Gigant unter Druck
Doch Investoren beobachten die Performance des Konzerns genau. Dazu zählen auch Verlässlichkeit und das öffentliche Auftreten.
Facebook steckt derzeit wohl in einer seiner größten Imagekrisen, auch weil weite Teile der US-Politik inzwischen mit ihrer Geduld am Ende sind. Der Tech-Gigant gerät dabei zunehmend unter den Druck von Demokraten wie auch Republikanern. Hinzu kommt eine immer größere Front von Gegnern aus der Zivilgesellschaft. Nach den früheren Skandalen um Cambridge Analytica oder den Vorwürfen im Zusammenhang mit der Wahl Donald Trumps häuft sich seit Wochen und Monaten neue Kritik.
Ausgehend von mehreren Enthüllungen im "Wall Street Journal" unter dem Titel "The Facebook Files", musste das Unternehmen in den vergangenen Tagen deshalb nicht zum ersten Mal bei einer Anhörung im US-Kongress Stellung nehmen. Einer der Hauptvorwürfe jetzt: Obwohl das Unternehmen sehr genau wisse, dass etwa die Nutzung des Bilderdiensts Instagram insbesondere Teenagern schwere psychische Schäden zufüge, mache es einfach weiter.
Dabei gerieten Mädchen wie Jungen schnell in einen Teufelskreis, weil sie sich permanent mit bestimmten Schönheitsidealen verglichen und dadurch Depressionen und Essstörungen entwickelten. Als Folge der Vereinsamung suchten sie das Netzwerk nur noch öfter auf und der Effekt verschlimmere sich. Aufgrund der Enthüllungen lässt Facebook seine eigentlichen Pläne für ein neues Instagram, das auch Kinder unter 12 Jahren nutzen sollen, nach eigenen Angaben vorerst ruhen.
Instagram sei so schädlich wie die Tabakindustrie, griff etwa der demokratische US-Senator Ed Markey die anwesende Sicherheitschefin von Facebook, Antigone Davis, und den Konzern während der Anhörung scharf an. "Instagram ist die erste Zigarette in der Kindheit, die Teenager früh süchtig machen soll", sagte er.
Der Gruppendruck nach Beliebtheit werde ausgenutzt, um Geld zu machen und gefährde die Gesundheit der Nutzer, so Markey. Die Abkürzung IG stehe damit nicht nur für Instagram, sondern auch für "Insta-Gier". Davis geriet während der zweistündigen Anhörung mehrfach in Erklärungsnot.
Whistleblowerin: Facebook belügt die Öffentlichkeit
Einen Tag vor der weltweiten Technik-Panne bei Facebook gab dann die Whistleblowerin der "Facebook Files", die ehemalige Mitarbeiterin Frances Haugen, ihre Identität preis und gab dem Sender CBS News ein ausführliches Interview zu den Vorwürfen. Dabei sprach Haugen, die Facebook erst im Mai verlassen hatte, zwar weitgehend aus, was ohnehin bekannt war. Doch mit ihren konkreten internen Einblicken in den Digitalkonzern verlieh sie der Kritik weiteren Nachdruck.
Facebook und die Produzenten von Inhalten profitierten besonders von aufhetzenden, polarisierenden Inhalten, weil Nutzer damit besonders viel interagieren. Anschaulich lieferte Haugen zahlreiche Beispiele, die eines belegen sollen: Facebook will nicht nur ein soziales Netzwerk sein, das Menschen verbindet. Ganz gezielt hält es daran fest, ein Hetzwerk zu sein.
Haugen wirft ihrem ehemaligen Arbeitgeber vor, die Öffentlichkeit dreist zu belügen. Es gebe die Fortschritte gegen Missstände und Desinformationen nicht, die Facebook nach eigenen Angaben gemacht haben will. Schlicht weil mit sichereren Algorithmen weniger Interaktionen der Nutzer einhergehen würden – was weniger Profit bedeute, weil weniger Werbeeinnahmen erzielt würden. Wegen der brutalen Auswirkungen sei dieses System nicht weniger als ein "Verrat an der Demokratie", so Haugen. An diesem Dienstag soll sie ab 10 Uhr (Ortszeit) vor dem US-Kongress aussagen.
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Tatsächlich ging Facebook in der Vergangenheit zwar durchaus streng gegen bestimmte Inhalte vor. Nach Haugens Schilderungen scheint das aber zu wenig zu sein. Ihr zufolge sind Hass und Hetze nach wie vor Alltag auf Facebook und das längst nicht nur im Westen, sondern auf der ganzen Welt. Menschen würden sterben wegen Facebook, sagt Haugen. Facebook bestreitet die Vorwürfe vehement. Man gebe Milliarden dafür aus, gegen Desinformationen vorzugehen.
In Deutschland wurden bislang zum Beispiel "Querdenker"-Gruppen gelöscht. Und der wohl prominenteste Fall ist der des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, dessen Kanäle auf Facebook und Instagram nach den Vorfällen vom 6. Januar bis heute gesperrt sind. Auch deshalb kritisierten hochrangige Republikaner zuletzt unter dem Stichwort "Zuckerbucks" die Spendenpraxis des Facebook-Gründers, inklusive antisemitischer Konnotationen.
Wenngleich auch aus unterschiedlichen Gründen, auf eigentümliche Weise sind sich Trumps Anhänger, Republikaner und Demokraten einig: Der Tech-Gigant sei eindeutig zu mächtig geworden, heißt es aus nahezu allen Lagern.
Ideen von einer Zerschlagung
Derweil haben selbst viele ältere US-Politiker ihre Hausaufgaben in Sachen Tech-Industrie gemacht. Auch wenn nach wie vor gespottet wird, wie ahnungslos die Abgeordneten seien. Auch ohne jedes technische Detail zu kennen, haben immer mehr von ihnen verstanden, worum es geht und was durch zunehmende Abhängigkeit von den Datenmonopolisten auf dem Spiel steht.
Die Ideen von der Zerschlagung der übermächtigen Monopole der Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley reifen in Washington. Auch das Szenario der sogenannten Interkonnektivität oder Interoperabilität bekommt immer mehr Aufwind. Digitale Giganten könnten dabei dazu gezwungen werden, sich anderen Wettbewerbern zu öffnen. Sprich, Nutzer könnten dann selbst über ihre Daten bestimmen und diese mitnehmen, etwa zu anderen Messengerdiensten und Plattformen. Das ist in etwa vergleichbar mit einer Rufnummernmitnahme bei Mobilfunkanbietern.
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Doch der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg tüftelt längst an einem "Metaverse", einer Art digitalem Raum, in dem alle erdenklichen Anwendungen miteinander vernetzt sind. Selbstverständlich soll der Facebook-Konzern darin Hauptakteur sein. Die Rückschläge der vergangenen Tage und Wochen könnten für Mark Zuckerberg darum einmal mehr nur ein paar kleine Scharmützel bleiben auf seinem Weg zu noch gigantischeren Projekten.
Doch er muss sich beeilen. Die Regulatoren holen auf. Das Ansehen bei den Nutzern sinkt. Die Zahl der Kritiker wächst. Schnell wechselten am Montag während des Ausfalls bei Facebook viele Nutzer spontan zu anderen Messengerdiensten wie Telegram, Signal oder Twitter. Unter dem Schlagwort "Delete Facebook" riefen Hunderttausende dazu auf, den Blackout als Chance zu nutzen, das Netzwerk endlich zu verlassen.
Zuckerberg weiß um den Schaden, den dieser Ausfall zur Unzeit ihm beschert hat. Aalglatt bat der CEO noch in der Nacht auf seinem Facebook-Profil um Verzeihung: "Bitte entschuldigt die Störung heute – ich weiß, wie sehr ihr euch auf unsere Dienste verlasst, um mit den Menschen in Verbindung zu bleiben, die euch wichtig sind."
- Eigene Recherchen
- Pressemitteilung des US-Senators Ed Markey (Englisch)
- Washington Post: Congress isn't as clueless about Facebook as it seems (Englisch)
- Facebook Whistleblower Frances Haugen: The 60 Minutes Interview (Englisch)
- Wall Street Journal: Markey: 'Instagram Is That First Childhood Cigarette' (Englisch)
- Wall Street Journal: The Facebook Files (Englisch)
- The Verge: What is the Metaverse? And do I have to care? (Englisch)
- Bloomberg Billionaires Index
- CBS:
- Berkeley Business Law Journal: The Antitrust Case Against Facebook: A Monopolist's Journey Towards Pervasive Surveillance in Spite of Consumers' Preference for Privacy (Englisch)
- Fast Company: How interoperability could end Facebook’s death grip on social media (Englisch)
- PBS Newshour: Facebook head of safety testifies during hearing on social media mental health harms (Englisch)