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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Abwanderung über den Teich Warum Topathletinnen Deutschland den Rücken kehren
Sie sind Stars der deutschen Leichtathletik und wollen dennoch nicht in ihrem Land trainieren. Gina Lückenkemper und Malaika Mihambo zieht es in die USA. Was dahintersteckt – und warum der Trend gefährlich für den DLV ist.
Konstanze Klosterhalfen, Gina Lückenkemper und Malaika Mihambo: Drei Disziplinen, drei Topsportlerinnen, drei deutsche Hoffnungsträgerinnen für die Olympischen Spiele in Tokio. Doch sie verbindet noch etwas anderes. Sie haben beschlossen, nicht länger in Deutschland trainieren zu wollen. Stattdessen trainieren sie bereits in den USA oder planen dies zu tun.
Was für die Athletinnen eine Ehre ist und den Fans neue Einblicke in den Trainingsalltag der Sportler gibt, ist für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) eine Gefahr. Doch was reizt Deutschlands Athletinnen daran, in Übersee zu trainieren und wie ist dieser Trend zu bewerten? t-online hat mit einer aktuellen Größe der Leichtathletik und dem DLV darüber gesprochen.
Lückenkemper: "Davon profitiere ich ungemein"
"In Deutschland gibt es aktuell keine Gruppe, in der ich mit Sprint-Weltrekordlern, -Olympiasiegern und -Weltmeistern trainieren könnte. Davon gibt es ohnehin nur sehr wenige auf der Welt", sagt Gina Lückenkemper zu t-online. Die deutsche Sprinterin hatte Ende 2019 verkündet, die Zusammenarbeit mit ihrem Trainer Uli Kunst zu beenden. Seitdem trainiert sie im US-Bundesstaat Florida unter Coach Lance Brauman. "Davon profitiere ich ungemein, in jedem Training. Ganz aktuell ist 400-Meter-Weltrekordler Wayde van Niekerk aus Südafrika zu unserer Gruppe gestoßen", erzählt sie.
Zu Beginn diesen Jahres hat sie in Clermont trainiert, vor den Olympischen Spielen war Lückenkemper wieder in Deutschland. Ihr Training macht sie dann so, wie auch schon im Jahr 2020. "Vergangenes Frühjahr konnte ich aufgrund der Corona-Situation natürlich nicht in die USA reisen und habe alleine in Deutschland trainiert. Zwar nach den Trainingsplänen meines Coaches, aber eben allein. Eine zeitversetzte Rückmeldung zu den Videoaufnahmen einer Trainingseinheit kann den Trainer vor Ort nicht ersetzen", sagt die Sprinterin. Und dennoch hat sie sich für diese Möglichkeit entschieden. Ein Weg, den vor ihr bereits Konstanze Klosterhalfen eingeschlagen hat.
Mihambo will nach Olympia in den USA trainieren
Die Langstreckenläuferin wechselte Anfang des Jahres 2019 in die USA und trainiert seitdem unter Pete Julian, dem früheren Assistenztrainer des Nike Oregon Projects, das inzwischen eingestellt wurde. Erst kürzlich knackte sie im 10.000-Meter-Lauf in Austin in Texas mit 31:01,71 Minuten den dreißig Jahre alten Rekord von Kathrin Ullrich-Weßel um knapp zwei Sekunden. Das Training in den Vereinigten Staaten ist härter, das Klima besser zum Laufen geeignet und der Wettkampf mit starken Läufern bereits in Probeläufen gegeben.
Es ist ein Land, in dem der Sport anders aufgebaut und gelebt wird. Gina Lückenkemper beschreibt das so: "In Deutschland ist der Sport über Vereine organisiert. In den USA wechselt man vom College, wo der Sport einen immens hohen Stellenwert besitzt, zu den Profis oder hört in der Regel mit dem Leistungssport auf. Das sieht man ganz gut an den Ergebnislisten bei Leichtathletikwettkämpfen in den USA. Da starten die meisten Athleten entweder für einen Ausrüster oder eine Trainingsgruppe, nicht aber für einen Verein."
Eine deutsche Sportlerin, die bereits angekündigt hat nach den Olympischen Spielen ebenfalls in Übersee zu trainieren, ist Weitsprung-Weltmeisterin Malaika Mihambo. "Für Herbst 2021 ist der Plan, nach Amerika zu gehen. Man muss aber abwarten, wie die weltweite Lage ist", sagte sie bei einer Gala im ZDF. Klappt alles, wird sie ab dann die Leichtathletik-Legende Carl Lewis trainieren. Sie hat ihn bei einem Online-Meeting kennengelernt und will für das Training dann nach Houston in Texas ziehen. "Ich möchte mich als Athletin und als Mensch weiterentwickeln. Das ist in diesem Umfeld gegeben. Carl Lewis und Leroy Burrell, der mein Sprint-Trainer wird, waren jahrelang in der Weltspitze. Ich kann sehr viel von ihnen lernen, da sie den gleichen Weg gegangen sind", sagte Mihambo der "Bild am Sonntag". Für den Deutschen Leichtathletik-Verband ist dies eine unschöne Entwicklung.
DLV-Vorstandsvorsitzende: "War bisher nicht möglich"
Der Verband kündigte Mitte des vergangenen Jahres daher an, eine Elitetrainingsgruppe einführen zu wollen. Den Sportlern in Deutschland soll damit eine konkurrenzfähige Umgebung geschaffen werden, wie es in den USA bereits der Fall ist. Allerdings sind die Pläne ist Stocken geraten.
Der DLV-Vorstandsvorsitzende Idriss Gonschinska sagt auf Nachfrage zu t-online: "Selbstverständlich halten wir an unseren Plänen fest, Eliteathletinnen und -athleten zusätzlich zu fördern. Aufgrund der dynamischen Entwicklung von Corona war es jedoch bisher nicht möglich, substanziell die Überlegungen in die Praxis umzusetzen. Ich bin aber überzeugt, dass wir mittelfristig zu dieser Thematik gute Konzepte präsentieren können, die uns langfristig weiterhelfen werden."
Was das genau bedeutet, ist noch nicht klar. Fest steht nur: Der DLV sollte sich mit seinen Plänen nicht zu viel Zeit lassen. Denn Sportler, die erst einmal abgewandert sind, kommen so schnell auch nicht wieder zurück.
- Eigenes Interview mit Gina Lückenkemper
- Eigener Kontakt zum DLV-Vorstandsvorsitzenden Idriss Gonschinska