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Zum journalistischen Leitbild von t-online.U21-Bundestrainer Stefan Kuntz "Die deutschen Talente bekommen zu viel abgenommen"
Bei der U21-EM schaffte es Deutschland ins Finale. Damit verblüffte das Team von Bundestrainer Stefan Kuntz, denn viele hatten andere Nationen auf dem Zettel. Trotzdem sieht er einige Schwächen bei den deutschen Talenten.
Am Mittwoch gab Bundestrainer Stefan Kuntz das Aufgebot der deutschen U21-Nationalmannschaft bekannt. Bei einigen Namen stutzte so mancher Fan: "Bitte wer?" Es gab schon prominenter besetzte U21-Teams. Doch die mangelnde Auswahl für Kuntz hat auch damit zu tun, dass die Bundesligisten vermehrt auf Talente aus anderen Ländern wie Frankreich oder England setzen.
Auf Eigengewächse setzen aktuell nur wenige Mannschaften. Eine besorgniserregende Entwicklung, bei der sowohl die Vereine als auch der DFB handeln müssen – und es auch schon tun. Im Interview mit t-online.de erklärt Bundestrainer Kuntz, was Spieler aus anderen Nationen den deutschen Talenten voraushaben und worauf er bei der Entwicklung setzt.
t-online.de: Vor vier Jahren spielten noch neun Franzosen in der Bundesliga, inzwischen sind es 27. Nur acht von ihnen sind älter als 23. Einige Bundesligisten setzen vermehrt auf junge Franzosen, statt auf Eigengewächse. Was denken Sie über diese Entwicklung?
Stefan Kuntz: Das ist in erster Linie eine Aufforderung, unsere Talente noch besser auszubilden, damit sie für den eigenen Markt noch interessanter werden. Bei der individuellen Qualität müssen wir noch eine Schippe drauflegen. Unser Ziel als DFB bei der U21-EM war auch ein Stück weit, dass unsere Jungs zeigen, dass sie mit diesen Spielern aus anderen Ländern mithalten können. Man muss aber auch sagen, dass sich einige Vereine mit den Transfers von jungen Spielern aus dem Ausland ein Stück weit refinanzieren. So, wie beispielsweise Mainz 05. Die deutschen Talente haben in Sachen Siegeswillen und Widerstandsfähigkeit Nachholbedarf. Sie bekommen einfach noch zu viel abgenommen.
Wie erklären Sie sich diesen "Mangel" bei deutschen Talenten?
Wir haben unterschiedliche Verhältnisse in den konkurrierenden Ländern. Die Spieler, deren Vorfahren aus ehemaligen Kolonien stammen, bringen oft eine andere Genetik mit, die ihnen im athletischen Bereich Vorteile gibt. Das ist so in Frankreich, England oder auch den Niederlanden. Dazu haben sie den Antrieb, aus den oft einfachen Verhältnissen emporzusteigen. Das können wir nicht spiegeln und genauso unseren Spielern vermitteln. Unsere Antwort darauf muss sein, noch mehr in die individuelle Ausbildung der Spieler zu legen.
Braucht es aber auch mehr Mut von den Teams, auf die eigenen Spieler zu setzen, als Konkurrenz aus dem Ausland zu kaufen?
Ich möchte den Vereinen keine Vorschriften machen, wen sie einsetzen sollen. Was ich aber machen kann, ist den Spielern bei ihrer Entwicklung zu helfen, sodass sie auch in ihren Vereinen mehr Einsätze bekommen. Mir geht es dabei neben den vordergründigen Eigenschaften wie Geschwindigkeit – und zwar nicht nur der physischen -, Athletik oder Technik insbesondere um die Teamfähigkeit. Also Fragen wie: Wie setze ich einen Matchplan um? Wie verhalte ich mich außerhalb des Platzes? Bin ich teamfähig? Diese Dinge waren die Grundlage für unseren Erfolg bei der EM.
Wie viel Einfluss können Sie denn tatsächlich auf die Entwicklung nehmen?
Wir sind als DFB sehr neutral. Bei uns ist jeder Spieler gleich. Wir haben keine wirtschaftlichen Interessen an den Jungs und haben keine Berater hintendran, die auch noch Druck machen. Aber wir bieten den Spielern eine große Bühne mit unseren Länderspielen. Weiterhin können wir mit unseren Erkenntnissen in einem engen Austausch mit den Vereinen ihre Entwicklung unterstützen.
Die kann aber auch nicht jeder nutzen.
Wenn wir uns den Kader bei der EM anschauen, dann haben über ein Drittel der Spieler in ihren Vereinen einen Stammplatz gehabt. Über ein Drittel haben zwischen der Bank und der ersten Elf gewechselt ein paar Spieler haben vor dem Turnier kaum Spielpraxis gehabt. Letztere sind in einer Situation wie viele von denen, die jetzt im neuen Jahrgang zu uns kommen. Bei den Junioren-Nationalmannschaften sind sie gehypte Talente und stehen im Fokus. In den Vereinen merken viele aber, dass dieser Hype nicht immer da ist und sie keine Rolle in ihrem Team spielen. Genau da kommen wir als DFB ins Spiel. Wir nehmen die Jungs etwas raus und starten die Festplatte neu. Wir zeigen ihnen die aktuelle Situation auf und bringen sie an den Punkt, dass sie selbst realisieren, was sie für ihren Traum tun müssen.
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Können sich die Spieler Ihnen gegenüber noch viel besser öffnen als bei Ihren Vereinstrainern?
Natürlich! Das betrifft auch Daniel Niedzkowski, unseren Trainerausbilder, der nicht nur taktische Fragen beantwortet, sondern auch pädagogisch viel kann. Antonio di Salvo (Co-Trainer, Anm. d. Red.) war selbst Spieler und kennt das Geschäft. Ich selbst habe ein gewisses Lebensalter und kenne fast alle handelnden Personen in der Bundesliga. Bei der WM 1994 war ich nur ein Anhängsel im WM-Kader, bei der EM ´96 habe ich eine tragende Rolle gespielt. Ich habe also alle Höhen und Tiefen des Fußballs mit durchgemacht. Die Jungs hören mir genau zu, wenn es darum geht, wie man mit schwierigen Situationen umgegangen ist.
Sie bauen gerade in den Turnieren ja auch eine Beziehung zu den Spielern auf. Wie schwer fällt es Ihnen, sie wieder ziehen zu lassen, wenn sie zu alt für die U21 sind?
Es sind bei den meisten Spielern immerhin zwei Jahre und nicht nur das Turnier. Dort, wo es sehr intensiv ist, bleibt der Kontakt auch hinterher bestehen. Aber ich kann nicht auf Dauer mit den Jungs arbeiten, das bringt das Berufsbild U21-Trainer mit sich. Es ist, gerade nach so einer tollen EM, ein bitterschönes Gefühl. Aber nun geht es ja direkt mit dem neuen Jahrgang weiter.
Was für ein Gefühl haben Sie bei dem neuen Jahrgang?
Von den Spielern, an die wir die Einladungen rausschicken, stehen vielleicht zwei oder drei in der Stammformation ihres Vereins. Trotzdem sind sie natürlich sehr talentiert und ich lerne viele von ihnen erst neu kennen. Ich freue mich auf die nächsten Tage. Aber wie immer gilt: Die Qualifikation zur U21-EM wird kein Selbstläufer.
Sie sprechen die wenigen Einsätze der aktuellen Juniorennationalspieler an. Müsste man dann nicht vielleicht Vorgaben wie die "Local Player"-Regel für die Bundesligisten strenger machen, um der Entwicklung entgegenzuwirken? Einige Klubs ziehen dafür oft nur zum Schein Spieler in den Profikader hoch. Einsätze gibt es aber keine.
Das muss auf freiwilliger Basis passieren. Man kann nicht in die Autonomie der Vereine eingreifen. Von außen eine verpflichtende Struktur zu schaffen, halte ich für falsch. Wir können aber ein Anreizsystem schaffen, Einsätze von jungen Spielern noch mehr zu belohnen. Da hätten die Vereine immer noch alle Freiheiten.
Wie könnte das aussehen?
Darüber stimmen sich die Kollegen der DFL und im DFB in ihren Gremien ab. Wir sehen ja auch an der zweiten und der dritten Liga, dass die Anzahl der deutschen Talente eher zurückgeht und vermehrt auf erfahrene Spieler gesetzt wird.
Zurück zur Spielerausbildung: Meikel Schönweitz hat das Problem angesprochen, dass im Jugendalter zu oft die physisch starken gegenüber den schmächtigeren, aber spielerisch besseren Spielern den Vorzug bekommen. Wie schwer ist es, das als Juniorentrainer nicht auch so zu machen?
Trainer werden auch in der Jugend schon anhand von Ergebnissen bewertet. Das führt dazu, dass sie im Zweifel den aktuell physisch stärkeren Spieler bevorzugen. Verändern wir die Wettbewerbe, verändern wir auch die Denkweise. Darüber machen wir uns seit Längerem intensive Gedanken.
Auf welche Faktoren setzen Sie eigentlich bei der Spielernominierung? Potenzial oder Status Quo?
Das ist eine Mischung aus mehreren Faktoren. Zum Beispiel die aktuelle Spielzeit und die Höhe der Spielklasse, in der der Spieler spielt. Dann sprechen wir natürlich auch mit den anderen Trainern von U17 bis U20 und überlegen, wen wir als großes Talent betrachten. Dann spielt es oft nur eine untergeordnete Rolle, wenn der Junge aktuell im Verein nur auf der Bank sitzt.
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Wer sind denn die Spieler, die Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren eine tragende Rolle in der A-Nationalmannschaft spielen werden?
Damit tue ich mich schwer, weil ich damit den Spielern eine große Bürde auferlege. Aber bei der U21-EM haben sich einige Jungs in den Vordergrund gespielt, die man vorher gar nicht so auf dem Schirm hatte. Auch wenn der Unterschied zwischen U21 und A-Nationalmannschaft sehr groß ist.
Luca Waldschmidt zählt zu den Spielern, die bei diesem Turnier einen großen Schritt gemacht haben. Anders als von vielen erwartet, blieb er in Freiburg.
In diesem Alter ist Spielzeit nicht durch Geld zu ersetzen. Die Spielzeit jetzt ist die Basis für die Karriere, das Geld kommt dann ganz von alleine. Er hat jetzt schon in der Saison mehrere Buden gemacht und ist auf einem sehr guten Weg.
Sie sind seit drei Jahren bei der U21, Ihr Vertrag läuft in einem Jahr aus. Wie sieht denn Ihre Zukunft aus?
Wir haben verabredet, dass die Verantwortlichen des DFB und ich uns in den nächsten Wochen zu Perspektivgesprächen treffen und dann vor Jahresende zu einem Ergebnis kommen.
Wollen Sie denn U21-Nationaltrainer bleiben oder streben Sie nach einer neuen Herausforderung?
Das kann ich erst beantworten, wenn alle Gespräche geführt sind. Erst dann weiß ich, wie meine Perspektive beim DFB aussieht.