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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Heimlicher Gewinner des FC Bayern Das hätte ihm keiner mehr zugetraut

Eric Dier war unter Vincent Kompany lange außen vor. Jetzt hat er sich plötzlich unverzichtbar gemacht. Und könnte die Bayern nun aber trotzdem verlassen.
Aus München berichtet Julian Buhl
Nein, sprechen wollte Eric Dier auch nach dem 3:0-Sieg des FC Bayern am Samstag gegen Mainz nicht. Dabei hatte der 31-Jährige mit seinem Kopfballtreffer zum Endstand und einer souveränen Leistung als Abwehrchef entscheidenden Anteil daran. Damit bestätigte er seine starke Form der vergangenen Wochen und verdiente sich auch die t-online-Note Zwei.
Natürlich wurde Dier mehrfach nach Interviews gefragt, als er in den Katakomben der Münchner Arena durch die Mixed Zone Richtung Ausgang lief. Mit seinem knapp ein Jahr alten Kind trug er aber die perfekte Entschuldigung in seinen Armen, um nicht Rede und Antwort stehen zu müssen. Er schüttelte leicht mit dem Kopf und sagte nur: "No, sorry."
Kane verrät: Teamkollegen verspotteten Dier
Harry Kane, der Dier begleitete, bewahrte seinen Kollegen vor weiteren Nachfragen, indem er sich den Fragen der Reporter stellte. "Er hat sein nächstes Tor gemacht. Bei Standardsituationen ist er immer eine große Gefahr", sagte Kane von t-online auf seinen Landsmann angesprochen.
Dier habe sich zuletzt ein paar Scherze der Teamkollegen anhören müssen, verriet Kane, "weil er in den letzten Spielen schon ein paar Möglichkeiten hatte und nicht getroffen hat".
Kane, der mit Dier seit der gemeinsamen Zeit bei Tottenham bestens und jahrelang befreundet ist, erklärte: "Er hat gegen Inter in der Champions League (zum 2:2 im Rückspiel; Anm. d. Red.) getroffen, aber in der Bundesliga eben nicht – und da hatte er ein paar wirklich gute Chancen." Und Torjäger Kane weiß ganz genau, wovon er spricht und was es bedeutet, wenn man die auslässt. "Deshalb war es schön für ihn, dass er da jetzt auch ein Tor gemacht hat." Der Spott der Kollegen verwundert trotzdem: Es war schließlich bereits Diers zweiter Kopfballtreffer in den vergangenen drei Spielen.
Dier ist der heimliche Gewinner des FC Bayern
Von solchen Luxusproblemen konnte Dier noch in der Hinrunde nur träumen. In der ersten Saisonhälfte stand er schließlich lediglich zweimal in der Startelf. Übrigens beide Male ausgerechnet in und gegen Mainz – sowohl im Pokal (4:0) als auch bei der Niederlage in der Liga (1:2). Cheftrainer Vincent Kompany schien damals keine wirkliche Verwendung für den Abwehrspieler zu haben.
Das hat sich mittlerweile aber komplett geändert. Dier kommt nun auf 25 Pflichtspieleinsätze. 17 Mal stand er in der Anfangsformation und in den vergangenen elf Partien auch über die kompletten 90 Minuten auf dem Platz. Das hätte Dier wohl keiner mehr zugetraut, aber er hat es erneut allen gezeigt – seinen Kritikern und eben auch seinem Coach. Dier ist in den vergangenen Wochen damit der heimliche Gewinner des FC Bayern.
Nach der Verletzung von Dayot Upamecano (freie Gelenkkörper und Knorpelschaden im Knie) Ende März entwickelte Dier sich in den vergangenen Wochen als der mit Abstand stabilste und formstärkste Innenverteidiger zu einer wichtigen Säule in der Abwehr. Schon in den Viertelfinalduellen in der Champions League mit Inter Mailand war er es, der die Defensive mit seiner Ruhe, Übersicht und Zweikampfstärke zusammenhielt – und mit lautstarken Anweisungen, die er seinem Nebenmann Min-jae Kim gab, als Abwehrchef auftrat.
Während Kim sich in beiden Spielen und unter anderem auch beim 2:2 gegen Borussia Dortmund folgenschwere Patzer erlaubte, überzeugte Dier auf ganzer Linie. Unter anderem mit einer spektakulären Rettungsaktion in Mailand, als er per Grätsche einen sicheren Gegentreffer noch auf der Torlinie verhinderte.
Schon unter Tuchel vom Back-up zum Stammspieler
Mit seinem Tor gegen Mainz, dem zweiten Kopfballtreffer in den vergangenen drei Spielen setzte Dier hinter diese Entwicklung erneut ein großes Ausrufezeichen. Davon zeigte sich auch Kane beeindruckt. "Er spielt großartig. Nachdem Upa (Upamecano; Anm. d. Red.) sich verletzt hat, musste er Verantwortung übernehmen und in der entscheidenden Saisonphase eine große Rolle für uns spielen", sagte Kane zu t-online.
Sein Fazit: "Da war er eine absolute Topwahl. Er zeigt eine großartige Mentalität, dass er immer bereit ist und dann einfach seine Leistung auf dem Platz bringt. Ich freue mich sehr für ihn."
Ähnliches war Dier schon in der vergangenen Saison gelungen. Nachdem er im Januar ablösefrei als Leihspieler zu Bayern gekommen war, schaffte er es aus seiner geplanten Back-up-Rolle unter Ex-Coach Thomas Tuchel in die Startelf. Gemeinsam mit Matthijs de Ligt verdrängte er Upamecano und Kim auf die Bank und stand unter anderem auch in den Viertelfinalspielen der Königsklasse gegen Arsenal und in den Halbfinals gegen Real Madrid auf dem Platz. (Mehr dazu lesen Sie hier: Bayerns Abwehrzwillinge)
Vom Abschiedskandidaten zum Abwehrchef
Diesen Status büßte er unter Kompany zur neuen Saison allerdings direkt wieder ein. Noch in der Winterpause standen die Zeichen bei Dier klar auf Abschied. Mit seinen starken Leistungen hat der Brite sich jetzt aber nachdrücklich für eine Verlängerung seines im Sommer auslaufenden Vertrags beim FC Bayern empfohlen. Kane würde Dier zweifellos gerne weiter als Teamkollege in München behalten.
"Das ist seine Entscheidung. Wir sprechen da nicht allzu viel darüber", sagte er darauf angesprochen. Dier müsse aber für sich entscheiden, was das Beste für ihn ist und wie es für ihn weitergeht. "Im Moment ist er sehr glücklich, weil er jetzt wieder mehr Spiele macht in den vergangenen Monaten", so Kane, "aber er weiß natürlich auch, dass er am Anfang dieser Saison nicht viel gespielt hat."
Abschließend befand er: "Das ist die Entscheidung, die er treffen muss, wenn er jetzt in die Klub-WM und die nächste Saison geht, wie und wo er sich selbst und seine Rolle sieht. Ich bin sicher, dass er da in guten Gesprächen mit dem Verein ist."
Dier bringt Bayern-Bosse zum Umdenken
Konkret ist Dier im Austausch mit Sportvorstand Max Eberl und Sportdirektor Christoph Freund. Letzterer deutete an, dass der spielstarke Abwehrspieler bei den Bossen tatsächlich für ein Umdenken gesorgt hat.
"Eric macht es richtig gut", sagte Freund: "Er macht sehr viele Spiele jetzt im Frühjahr. Er ist ein wichtiger Faktor, vielleicht sogar wichtiger, als wir im Winter geglaubt haben. Er ist eine absolute Stütze der Mannschaft."
Indirekt bestätigte Freund damit Diers Entwicklung vom Abschiedskandidaten zum Anwärter auf eine baldige Vertragsverlängerung. Zumindest in der aktuellen Momentaufnahme ist Dier schließlich das, was die Bayern eigentlich suchen: Ein laut- und formstarker Abwehrchef, der die Defensive stabilisiert. Ein perfekter Back-up ist Dier, der sich nie über seine Rolle beschwert und immer alles für die Mannschaft gibt, sowieso.
Kimmich schwärmt: "Einer der besten Mitspieler, die ich je hatte"
Das betonte DFB-Kapitän Joshua Kimmich Ende des Jahres ausgerechnet, als Dier in einer ganz schwierigen Phase bei Bayern steckte. "Wenn ich sehe, wie der Eric da jeden Tag trainiert. Das ist einer der besten Mitspieler, die ich je hatte", sagte Kimmich damals: "Also so ein Mindset. Das bringt uns als Gruppe voran. Auch wenn er nicht so viele Minuten gesammelt hat. Aber für uns als Team ist er unfassbar wichtig."
Auch Eberl ist all das nicht entgangen. "Eric hat seit dem Ausscheiden von Dayot Upamecano seine Wichtigkeit unterstrichen und gezeigt, wie stabil er ist. Er rollt einfach, er ist da und weiß, was er kann", sagte der Sportvorstand. Dier sei einer der "sehr, sehr wichtigen Spieler für uns in dieser Phase". Fix sei ein neuer Vertrag allerdings nicht, so Eberl weiter: "Wer am 1. August auf der Spielberechtigungsliste steht, werden wir dann sehen."
Und das offenbar früher als erwartet: Am Dienstagabend meldeten die französische "L'Équipe" und Transferexperte Fabrizio Romano übereinstimmend: Dier habe sich nun doch für einen Abschied vom FC Bayern entschieden. Mit dem französischen Traditionsklub AS Monaco habe sich der Abwehrspieler auf einen Vertrag bis 2028 geeinigt (mehr dau lesen Sie hier). Von Seiten beider Klubs gab es noch keine Bestätigung. Allerdings sieht es nun doch eher danach aus, als müssten die Bayern 2025/26 auf ihren "Unverzichtbaren" verzichten.
- Reporter vor Ort
- Mixed-Zone-Gespräche mit Harry Kane, Christoph Freund und Max Eberl am 26. April 2025
- Mixed-Zone-Gespräch mit Joshua Kimmich am 23. November 2024
- t-online.de: "FC Bayern München: Das sind die bitteren Lehren aus Mailand"
- t-online.de: "FC Bayern: De Ligt und Eric Dier überzeugen plötzlich als Abwehrduo"