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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bedingt abwehrbereit Dieses ungeschriebene Gesetz bricht Bayern

Bayern zeigt auch gegen Dortmund wieder bedenkliche Schwächen in der Defensive. Das nimmt Kompany bewusst in Kauf. Bezahlt Bayern das mit verpassten Titeln?
Normalerweise gilt im Fußball häufig folgendes ungeschriebenes Gesetz: Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive die Titel. Am Samstagabend brach der FC Bayern es erneut. Auch aufgrund von eklatanten Abwehrfehlern verpassten es die Münchner mit dem 2:2 gegen Borussia Dortmund am Samstagabend nämlich, ihren ersten vorgezogenen Meistermatchball zu verwandeln.
Vorjahreschampion Leverkusen hatte ihnen den mit seinem Patzer am Nachmittag gegen Union Berlin (0:0) eigentlich auf dem Silbertablett serviert. Der Rekordmeister konnte ihn aber nicht nutzen. Zum einen, weil die Offensive ihre Chancen nicht nutzte und das Spiel somit nicht gewann. Aber eben auch, weil die Defensive sich dabei zum wiederholten Mal in dieser Saison alles andere als titeltauglich erwies.
Kim steht komplett neben sich
Allen voran Min-jae Kim, der beim 0:1 gleich doppelt patzte: Mit einem verlorenen Zweikampf gegen Maximilian Beier ermöglichte er dessen Entstehung überhaupt erst. Und mit der Tatsache, dass er sich gegen den Torschützen dann noch einmal ins Kopfballduell begab, dann auch den Treffer. Dafür bekam Kim die t-online-Note sechs. Torhüter Jonas Urbig sah beim 0:1 ebenfalls nicht gut aus, weil er auf der Linie stehen blieb, anstatt den Ball aktiv aus der Luft zu holen.
Kims Innenverteidigungspartner Eric Dier machte beim Gegentreffer zum 2:2 ebenfalls keine gute Figur und konnte Serhou Guirassy fünf Meter vorm Tor nicht an einem Drehschuss hindern, dessen Abpraller Waldemar Anton zum Endstand nutzte.
Kimmich: "Wir sind momentan hinten zu anfällig"
Bayern wurde einmal mehr in dieser Spielzeit eiskalt für seine Abwehrfehler bestraft. Zu diesem Schluss kam auch Joshua Kimmich in seiner Analyse. "Leider haben wir die Dinger nicht reingemacht und dann sind wir momentan, vor allem in diesem Jahr, hinten zu anfällig, was eben die Anzahl der Gegentore angeht."
Cheftrainer Vincent Kompany dürfte das in seiner Seele als früherer Weltklasse-Innenverteidiger besonders wehtun. Gewissermaßen ist er mit seinem auf Ballbesitz, Pressing und extrem hohen Risiko ausgelegten System in der hohen Verteidigungslinie genau dafür aber auch mitverantwortlich. Die anfällige Defensive ist gewissermaßen eine logische und bewusst in Kauf genommene Folge seiner bedingungslosen Offensivtaktik.
Er bricht damit sozusagen das ungeschriebene Titelgesetz und versucht es umzukehren: Nicht die Abwehr, sondern die bedingungslose Offensive sollen ihn und die Bayern zu Titeln führen. t-online fragte bei Kimmich nach, ob das so zutreffe?
Kimmich: "Wir müssen erwachsener werden"
Die Schwächen seien nicht nur der Defensive zuzuschreiben, betonte er in seiner Antwort. Aber: "Es ist schon so, dass man das Gefühl hat, dass die Gegner sehr effizient gegen uns sind", so Kimmich. "Wir betreiben schon extrem Aufwand, erarbeiten sehr viele gute Torchancen und nutzen diese nicht. Auf der anderen Seite nutzt der Gegner dann seine ersten zwei Halbchancen."
Ein Teufelskreis, wie Kimmich weiter ausführte: "Dann muss man natürlich wieder einem Rückstand hinterherlaufen und dann ist es klar, dass wir ein bisschen was riskieren müssen und dass der Gegner aufgrund des Ergebnisses dann auch zu Torchancen kommt."
Das aus Bayern-Sicht ernüchternde Ergebnis war mit dem 2:2 gegen Dortmund erneut zu beobachten. Kimmich ärgerte sich schon auf dem Platz gestenreich über die vergebene Vorentscheidung im Meisterkampf, die ein möglicher Sieg und damit eben acht statt jetzt nur sechs Punkte Vorsprung auf Leverkusen bedeutet hätte.
"Zurückblickend haben wir schon jetzt in den letzten Wochen viel liegen gelassen, also gerade gegen Bochum, Union, heute wieder", sagte Kimmich. "Das ist das, was mich momentan am allermeisten ärgert, dass ich das Gefühl habe, dass wir eigentlich fast immer die bessere Mannschaft sind, aber wir schaffen es nicht, die Spiele zu gewinnen." Kimmichs abschließender Appell an seine Teamkollegen: "Da müssen wir erwachsener und effektiver werden."
Müller stellt Barcelona-Vergleich an
Auch Thomas Müller beschäftigte die Frage nach den vielen einfachen Gegentoren speziell in diesem Kalenderjahr. Das könne man "so oder so interpretieren", analysierte er. In den Spielen, in denen das Ergebnis nicht gepasst habe, könne man das sicherlich sagen. "Es wirkt nicht so, dass der Gegner immer ein enorm überragendes Spiel braucht, um mal ein Tor gegen uns zu machen", sagte er süffisant. "Jetzt können wir aber auch die seit 25 Spielen ungeschlagenen Jungs aus Barcelona anschauen. Die kassieren auch manchmal drei Stück, aber dann machen sie halt vier."
Wie zuletzt auch im Viertelfinalhinspiel der Champions League gegen Dortmund (4:0) oder in der Ligaphase gegen Bayern (4:1). Bei Bayern habe teilweise "einfach diese Kombination nicht gestimmt aus vielen Toren, die wir durchaus auch in der Saison schon gemacht haben". Und den besagten Gegentoren. "Heute kannst du genauso auch 5:2 gewinnen", rechnete Müller vor. "Dann ist das auch okay, dann gewinnen wir mit drei Toren Unterschied. Also wir gewinnen gerne jedes Spiel mit 5:2. Da sehe ich jetzt auch kein Problem."
Bayerns Flucht nach vorne
Bayerns Flucht nach vorne, ganz nach dem Motto: Die Offensive gewinnt nicht nur Spiele, sondern kann Bayern auch zu großen Titeln führen. Nach dem 1:2 am Dienstag gegen Inter steht das am Mittwoch in Mailand erneut auf der Probe – und damit auch Bayerns großer Traum vom Endspiel in der eigenen Arena.
Aufgrund der verletzungsbedingten Ausfälle von Dayot Upamecano (freie Gelenkskörper im Knie) und Alphonso Davies (Kreuzbandriss) bieten sich Kompany – im Gegensatz zur Offensive – in der Abwehr dabei keine Alternativen.
"Von unserem Festgeldkonto ist nicht mehr viel da"
Und das dürfte zumindest mittelfristig auch erst mal so bleiben. Ehrenpräsident Uli Hoeneß kündigte schließlich bereits Anfang Februar im t-online-Interview an, dass in Sachen Neuzugänge keine allzu großen Sprünge zu erwarten sind.
"So wie ich es im Moment sehe, ist nicht viel Geld da, um nächstes Jahr groß einzukaufen", sagte Hoeneß schon damals: "Entscheidend ist ja nicht der Umsatz, sondern der Ertrag. Der ist immer noch okay, aber auch nicht mehr so, wie er schon mal war."
- Hoeneß exklusiv: "Ich würde sagen, dass Florian Wirtz zum FC Bayern muss"
Nun wurde er in der "Welt" noch mal etwas deutlicher und sagte: "Der FC Bayern muss ganz klar sparen. Von unserem Festgeldkonto ist nicht mehr viel da. Wir müssen wirtschaftlich umdenken."
Dreesen widerspricht Hoeneß: "Es ist genug drauf"
Auch die kostspieligen Transfers von João Palhinha (50 Millionen Euro), Sacha Boey (30 Millionen) und Bryan Zaragosa (20 Millionen), für die Bayern insgesamt allein über 100 Millionen Euro zahlte, haben die Finanzen der Bayern ins Ungleichgewicht gebracht. Auch deshalb, weil die Spieler ihren Wert auf dem Platz bislang ausnahmslos alles andere als gerechtfertigt haben.
Vorstandboss Jan-Christian Dreesen beruhigte die Gemüter im Rahmen des Dortmund-Spiels nun zwar etwas und sagte über das legendäre Festgeldkonto: "Es ist genug drauf – für wen es auch immer reichen mag." Als vormaliger Finanzvorstand der Bayern und früherer Banker ist er auf diesem Gebiet als glaub- und vertrauenswürdige Quelle einzustufen.
Für ihn will Bayern das Festgeldkonto komplett plündern
Allerdings ist bereits jetzt schon klar, für wen die Bayern ihren Notgroschen zusammenkratzen wollen: Der Transfer von Leverkusens Florian Wirtz hat absolute Priorität. Und dessen Marktwert beträgt satte 140 Millionen Euro.
Wirtz hatte Hoeneß ebenfalls bereits im t-online-Interview zu seinem persönlichen Wunschtransfer erklärt und gesagt: "Wenn ich einen Traum haben darf, dann würde ich sagen, dass Florian Wirtz zum FC Bayern muss." Und weiter: "Wenn neben Musiala vielleicht auch irgendwann mal der Florian Wirtz beim FC Bayern spielt, dann können wir noch ruhiger in die Zukunft schauen."
Ob neben dem von Hoeneß und Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge vorangetriebenen Rekordtransfer dann noch Geld für die Verstärkung der anfälligen Defensive übrig bleiben wird, ist mehr als fraglich. Dafür müssten schon ein paar der bereits seit vergangenem Sommer angestrebten Spielerverkäufe gelingen.
Stattdessen liegt die Priorität des FC Bayern auch in der kommenden Saison und mit Wirtz sogar noch mehr auf der Verstärkung der ohnehin bereits exklusiv besetzten Offensive. Der Rekordmeister wird also auch weiterhin versuchen, die bestehenden fußballerischen Gesetzmäßigkeiten ins Gegenteil umzukehren.
- Reporter vor Ort
- Mixed-Zone-Gespräche mit Joshua Kimmich und Thomas Müller
- t-online.de: "Uli Hoeneß würde sagen, dass Florian Wirtz zum FC Bayern muss"
- welt.de: "FC Bayern: 'Von unserem Festgeldkonto ist nicht mehr viel da', gesteht Uli Hoeneß" (kostenpflichtig)