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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Flick erteilt Kompany Lehrstunde Verflickst!
Bayerns neuer Chefcoach Vincent Kompany kassiert im Duell mit Ex-Trainer Hansi Flick und dem FC Barcelona eine empfindliche Niederlage. Die wirft grundsätzliche Fragen auf.
Aus Barcelona berichtet Julian Buhl
Der Ort, an dem Bayern-Trainer Vincent Kompany die 1:4-Niederlage beim FC Barcelona verdauen musste, hätte nicht passender sein können. Das Teamhotel "Sofitel", in dem der Rekordmeister sein Quartier in der katalanischen Metropole bezogen hat, liegt nämlich direkt am Plaça de Charles Darwin, der nach dem Schöpfer der Evolutionstheorie benannt ist. Stichwort: "Survial of the fittest" – "Nur die Stärksten überleben!" Die fußballerische Variante davon hatte Kompany zuvor im Olympiastadion miterlebt.
Das mit großer Spannung erwartete Kräftemessen von Kompanys Bayern und dem von Hansi Flick trainierten FC Barcelona hielt nämlich, was das Duell der beiden Topklubs im Vorfeld versprochen hatte. Die beiden momentan wohl offensivstärksten Teams in Europa lieferten sich einen packenden Schlagabtausch, in dem sich Flicks Mannschaft am Ende als die etwas stärkere und somit auch als verdienter Sieger erwies.
Beide Trainer hatten ihr Team erst im Sommer übernommen. Und beide verfolgen dabei seitdem einen ähnlich offensiven und dominanten taktischen Spielansatz. "Jeder Trainer hat das Ziel, mit seiner Idee zu gewinnen", hatte Kompany schon auf seiner Pressekonferenz vor dem Spiel gesagt, als er darauf angesprochen wurde. "Habt ihr Hansi das auch gefragt?", wollte der Belgier wissen und sagte: "Ich glaube keine einzige Sekunde, dass Barça sich anpasst. Sie wollen auf ihre Art erfolgreich sein – und wir auch."
"Vincent wird die richtigen Schlüsse ziehen"
Einen Tag später war er nun an gleicher Stelle im Untergeschoss des Fünf-Sterne-Mannschaftshotels. Der noble Festsaal, in dem er am Dienstag noch zur Presse gesprochen hatte, war am Mittwochabend für das obligatorische Mitternachtsbankett umgedeckt worden. Als Kompany und die Mannschaft den Raum betraten, wurden sie von den geladenen Bayern-Gästen mit einem aufmunternden Applaus bedacht. Kompany blickte sich dabei verlegen, ja fast schon entschuldigend um.
Der Belgier nahm am Tisch der Bosse Platz, an dem unter anderem auch Präsident Herbert Hainer, Sportvorstand Max Eberl und Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen saßen. Bei Paella mit Meeresfrüchten und Crème brûlée spülten die Saalgäste ihren Frust mit katalanischem Rot- und Weißwein hinunter. In seiner obligatorischen Bankettrede richtete Dreesen dann gleich mehrfach seine Worte direkt an Kompany.
"Es war sicher ein Abend, den wir uns anders vorgestellt haben", sagte Dressen vor dem versammelten Bayern-Tross. "Auch wenn es schmerzt, muss man sagen: Hansi Flick, Gratulation. Er hat mit seinem Team zu Recht gewonnen." Er sei sich sicher, so Dreesen weiter, "Vincent und sein Team werden die richtigen Schlüsse ziehen."
Flick deckt die Schwächen in Kompanys System auf
Welche das genau sein werden? Gegen Flicks offensivstarkes Barça hatte sich sein bedingungslos offensives System in der Defensive jedenfalls einmal mehr als zu fehleranfällig erwiesen. Kompanys Fußballidee stand in Barcelona auf der bislang wohl härtesten Probe. Und Flicks etwas bedachterer Ansatz erwies sich dabei als der bessere und erfolgreichere.
Mehr noch: Flick deckte die Schwächen in Kompanys System auf und nutzte sie eiskalt aus. Individuelle Fehler und schwache Leistungen der Defensive um die beiden Innenverteidiger Dayot Upamecano und Min-jae Kim trugen dazu ebenfalls entscheidend bei. Verflickst!
"Es gibt null Ausreden. Es gibt nur eine deutliche Niederlage", sagte Kompany hinterher. Das Duell mit Barcelona war nicht nur in der Champions League ein äußerst wegweisendes. Dort stehen die Bayern nach drei Spieltagen und dem 0:1 vor drei Wochen bei Aston jetzt bereits mit zwei Niederlagen da und finden sich damit momentan auf Tabellenplatz 23 wieder.
Wettbewerbsübergreifend gelang ihnen aus den vergangenen fünf Spielen mit dem 4:0 am Samstag gegen den VfB Stuttgart nur ein Sieg. Gegen Leverkusen (1:1) sowie in Frankfurt (3:3) hatten die Münchner sich jeweils mit einem Unentschieden zufriedengeben müssen. Aus dieser Ergebniskrise droht nun eine Systemkrise zu werden.
Bayern verhandelte konkret mit Flick über Rückkehr
So weit wollte Joshua Kimmich nicht gehen und verteidigte den Ansatz seines Trainers im Grundsatz. Der Spielverlauf sei jetzt eigentlich kein 4:1 gewesen, sagte Kimmich und merkte gleichzeitig an: "Aber trotzdem war es eine verdiente Niederlage. Es ist teilweise Harakiri, was wir gemacht haben."
Dass ausgerechnet Flick Kompanys Bayern fürs Erste entzauberte, war aus bayerischer Sicht eine bittere Pointe dieses missratenen Abends in Barcelona. Flick wollte am Mittwochabend "überhaupt nicht von Genugtuung" sprechen. Viel lieber wolle er "positiv nach vorne schauen" und führte aus, wie "stolz" er auf seine neue Mannschaft sei.
Flick hätte Kompanys Engagement als sein Nachfolger in München nämlich beinahe verhindert. Warum? Weil die Bayern-Granden Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge nach einer monatelang erfolglosen Trainersuche und den Absagen einiger prominenter Kandidaten sich intern für eine Rückkehr des einstigen Sextuple-Trainers starkgemacht hatten.
6. Runde
Dienstag, 10.12.
Nach t-online-Informationen gab es dann auch ein Telefonat zwischen Flick und Eberl, bei dem sie sehr konkret über eine mögliche Rückkehr sprachen. Davon berichtete auch "Sport Bild", schrieb sogar, dass Flick anschließend davon ausgegangen sei, der neue Trainer der Münchner zu werden, und schon entsprechende Kaderpläne schmiedete. Dass sich Eberl anschließend dann einfach gar nicht mehr bei ihm meldete, missfiel Flick sehr, wie t-online erfuhr. Verständlich: Flick nach dem vermeintlich konstruktiven Bewerbungsgespräch weder fix zu- noch abzusagen, ist nämlich alles andere als die feine Verhandlungsart.
Flick erteilt Kompany eine Lehrstunde
Inhaltlich ist Eberls Entscheidung, von Flick abzurücken, allerdings nachvollziehbar. Schließlich verfolgte er zu diesem Zeitpunkt bereits andere und vor allem eigene Pläne: Zuerst mit einem möglichen Verbleib von Thomas Tuchel und dann schließlich mit Kompany.
Seine Antwort gab Flick Eberl und den Bayern nun auf dem Platz. Mit dem Triumph gegen seinen Ex-Klub krönte er seinen Traumstart, der ihm mit dem FC Barcelona bislang gelungen ist. Kompany erhielt von Flick dagegen auch in taktischer Hinsicht seine erste große Lehrstunde als Bayern-Trainer. Die Feuertaufe Barcelona hat sein System nicht bestanden und ist dabei vorerst abgestürzt. Man darf gespannt sein, in welcher Form er es jetzt neu starten und möglicherweise doch anpassen wird.
Denn bislang ließ er sich auch nicht von der ersten Ergebniskrise und zahlreichen Kontergegentoren beirren und war weiter voll von seiner fußballerischen Idee überzeugt. "Es ist normal, dass du als Top-Mannschaft mit deinem Weg Erfolg suchst", sagte Kompany nach der erneuten Frage nach seinem System. Flick hat ihm nun nochmals vor Augen geführt, dass und wo es Schwächen hat, und diese eiskalt ausgenutzt. "In den Schlüsselmomenten war Barça effektiv, wir nicht", sagte Kompany. "Wir waren nicht perfekt und müssen aus dem Spiel lernen."
Am besten schnell. Viel Zeit hat Kompany nämlich nicht. Das Finale der Champions League findet schließlich am Ende dieser Saison in München statt. Wenn die Bayern das tatsächlich erreichen wollen, dürfen sie sich auf dem Weg dorthin jetzt keine Fehler mehr erlauben – nicht in der Abwehr und erst recht nicht im System.
- Eigene Beobachtungen und Recherche vor Ort in Barcelona
- Mixed-Zone-Stimmen von Joshua Kimmich
- Aussagen von Vincent Kompany und Hansi Flick bei der Pressekonferenz