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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erotikmesse Venus 2024 "Die Puppe stöhnt auf Deutsch"
Vollbusige Frauen, verrückte Sexspielzeuge und jede Menge ältere Herren mit Kameras: t-online hat die Erotikmesse Venus in Berlin besucht. Fazit: Männer kommen wie immer zuerst.
Zwei nackte Frauen verwöhnen sich gegenseitig mit erotischen Zärtlichkeiten. Zwischen ihnen ist an einer Metallstange ein Dildo befestigt, dazu dröhnt aus den Boxen "Candy Shop" vom Rapper 50 Cent. Das Publikum, das fast ausschließlich aus Männern besteht, starrt gebannt auf den Sexakt. Fast alle filmen die Frauen mit ihren Handys – zum Anschauen, für später.
Wenn es in den Messehallen unter dem Berliner Funkturm zu Szenen wie diesen kommt, bedeutet es, dass die Erotikmesse Venus vom 23. bis zum 27. Oktober wieder zur gemeinsamen Fleischbeschau eingeladen hat. Hier treffen sich gleichgesinnte Sexfans, die nicht direkt rot werden, wenn Frauen sie zwischen ihre Beine schauen lassen oder sie mit dem Finger in eine Sexpuppe greifen, um zu testen, wie saugfähig das Loch ist.
Das Publikum abseits der Live-Sex-Szene ist vielfältiger. Viele Paare entdecken gemeinsam neue Sexspielzeuge oder besondere Dessous. Frauengruppen schmunzeln mit dem Sektglas in der Hand über die Größe der ausgestellten Dildos. Wer es härter mag, wird in der Kinky Area fündig. Dort liegen allerlei Peitschen, Rohrstöcke und Maulkorbmasken aus. Mit dem nötigen Kleingeld können sich Interessierte für mehrere Tausend Euro ein BDSM-Bett zusammenstellen – wahlweise mit Andreaskreuz und Seilen an allen Ecken für erotische Fesselspiele. Wer sparen will, kann sich bei einem Anbieter, der auf der Venus vertreten ist, eine Wohnung in Berlin mit einem solchen Bett für einen Abend mieten. Rumsauen ist dort erlaubt, das Putzen übernehmen andere.
"Das Angebot ist zu 80 Prozent für alte geile Säcke"
Die Venus bedient erotische Fantasien, die sich sonst nur hinter zugezogenen Gardinen oder in den Gedanken abspielen. Viele Besucher nehmen die Plattform für schlüpfrige Themen dankbar an. Messebesucher Mitch und Mandy sind extra für die Venus aus der Schweiz angereist. "Sex ist unser größtes Hobby", sagen sie. Die eigene Sexualität auszuleben, sei ein guter Ausgleich zum Alltag. An der Venus begeistere sie vor allem die Atmosphäre, die sie sehr schön finden, weil sie sich mit anderen ganz ungeniert über Sex austauschen können. Katharina, Mario und Chris aus Sachsen-Anhalt sind einfach neugierig, "was es hier so gibt". Sex und sexuelle Vorlieben sind Themen, über die man offen reden sollte, findet das Trio.
Christoph aus Berlin läuft nackt über die Venus. Das ist dort ausdrücklich erlaubt, trotzdem tun es nur wenige. "Ich mag es, wenn Frauen meinen Penis sehen", sagt der 46-Jährige.
Auf Penisse wie den von Christoph können zwei Besucherinnen, die anonym bleiben wollen, auf der Messe allerdings verzichten. Die Frauen sind Mitte 40 und haben sich von der Venus mehr versprochen. "Hier gibt es zu wenig nackte Schwänze von heißen Männern", klagt die eine. "Das Angebot hier ist zu 80 Prozent für alte, geile Säcke." Selbst bei einer Männer-Stripshow sei kein Penis zu sehen gewesen. Außerdem gebe es keine Aussteller, die sich mit Problemen wie Wechseljahren oder Erektionsstörungen beschäftigen, welche die sexuelle Aktivität im Alter einschränken können. Ihr Fazit: "Wir würden nicht wiederkommen."
Außergewöhnliche KI-Puppe kann stöhnen und sprechen
Tatsächlich ist das erotische Angebot der Venus in diesem Jahr für Männer spannender als für Frauen. Für sie gibt es zwar jede Menge Dessous und eine große Auswahl an Vibratoren; die großen Innovationen entdecken die Besucher aber bei den zahlreichen Ausstellern, die mit modernen Sexpuppen männliche Fantasien befriedigen wollen.
Das Berliner Start-up Housedoll gehört zu diesen Ausstellern. Das Unternehmen präsentierte auf der Messe eine exklusive Nachbildung des Erotik-Models Micaela Schäfer. Die Puppen kosten zwischen 2.000 und 4.000 Euro, können aber auch gemietet werden. Nach Gebrauch werden die Mietpuppen in einem zertifizierten Reinigungsverfahren gesäubert. Firmengründer Salvadore-Hugo Garth sagt: "Die Puppe ist sauberer als jeder Mensch, man merkt ihr den Truckerfahrer von gestern nicht an", und schmunzelt dabei.
Die Firma Marielove präsentiert auf der Messe eine Sexpuppe für rund 5.000 Euro, die mit Künstlicher Intelligenz ausgestattet ist und sich die Vorlieben des Nutzers merken kann, wenn man mit ihr spricht. Sie verfügt über ein Heizsystem, sodass sie sich warm anfühlt, und kann Mund und Augenlider bewegen. Sprechen kann die Puppe zwar nur auf Chinesisch und Englisch, aber Firmengründer Patrick Wernitz hat eine besondere Technik in seine Puppen einbauen lassen. "Die Sexpuppe kann zumindest auf Deutsch stöhnen", sagt Wernitz. Auf deutsche Kunden wirke das authentischer.
Sexpuppen als Geburtstagsgäste
Garth und Wernitz sind sich einig: Ihren Kunden gehe es längst nicht nur um sexuelle Befriedigung. Ihre Puppen erfüllten auch einen sozialen Zweck. "Oft geht es einfach um Einsamkeit", sagt Garth. Ein älterer Herr bestelle etwa bei ihm Puppen, um sich zu Hause weniger allein zu fühlen. "Es geht nicht darum, einen Menschen zu ersetzen. Aber die Puppen können ein kleiner Trost sein." Patrick Wernitz erzählt von einem einsamen Kunden, der für seinen Geburtstag mehrere Silikonpuppen als Gäste bestellt hat. Außerdem würden auch viele Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen das Angebot nutzen.
Um einen sozialen Zweck zu erfüllen, benötigt die Puppe jedoch keine Öffnungen im Mund und im Intimbereich. Doch die Hersteller werben explizit mit diesen Öffnungen. Außerdem haben die meisten Puppen übergroße Brüste, eine sehr schmale Taille und einen prallen Po. Käufer können auch nur den Intimbereich einer Puppe ohne Beine und Oberkörper erwerben. Denn am Ende geht es natürlich doch nicht nur um Gesellschaft, sondern um Sex.
Eine Präsentation eines chinesischen Puppenherstellers kommt sogar ohne Hüfte und Intimbereich aus. Direkt unter den Brüsten befindet sich eine künstliche Vagina. Zwei Messebesucher blicken ungläubig auf das Modell. Sie seien zwar nicht prüde, aber den Trend zu menschenähnlichen Sexpuppen finden sie bedenklich. "Ich bin entsetzt und schockiert", sagt ein junger Mann. Er fände es komisch, so eine Puppe zu Hause zu haben.
Heterosexuelle Männer kommen zuerst
Es gibt aber noch die Männer, die beim Sex reale Frauen bevorzugen. Davon profitiert das Berliner Großbordell "Artemis" in Berlin-Halensee. Eine Sprecherin sagt: "Für uns ist das keine Konkurrenz, eine Puppe kann nie eine lebendige Frau ersetzen." Das Bordell ist mit einem Stand auf der Messe vertreten, "um potenzielle Kunden über das Angebot zu informieren". Die Werbung zahle sich aus. Da das "Artemis" nur fünf Autominuten von der Messe entfernt ist, kämen viele Venus-Besucher nach Messeschluss in den Herrenclub.
Für männliche Besucher gibt es also sowohl während als auch nach der Messe jede Menge Programm. Und überhaupt scheint es trotz aller Bemühungen der Venus, vielfältiger, weiblicher und jünger zu werden, immer noch in erster Linie darum zu gehen, mit großen Brüsten und dicken Hintern die Fantasien heterosexueller Männer über 40 zu befriedigen.
Es gibt zwar einen Queer-Bereich und Vorträge von Experten zu sexistischen und feministischen Themen, aber visuelle Reize sucht man als Frau vergeblich. Bei einem Stand, vor dem mit Kunstblut beschmierte Männer in Wikingerkostümen stehen, fragt man sich: Ist es das, was Frauen auf einer Sexmesse erleben wollen? Sehr viele schöne nackte Frauen, aber zu wenig nackte attraktive Männer – für Messebesucherinnen steht fest: Da ist noch Luft nach oben.
- Reporter vor Ort