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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Von Berlin nach Tel Aviv Warum Menschen jetzt trotzdem nach Israel reisen
Israel wurde angegriffen. Trotzdem fliegen viele Menschen von Berlin aus ins Kriegsgebiet. Passagiere erzählen t-online ihre Beweggründe.
Es herrscht reges Treiben an diesem Donnerstagmorgen am Flughafen BER. Lächelnd ziehen die Menschen ihre Koffer hinter sich her. Es geht wohl in den Urlaub.
Doch an einer Gepäckausgabe ist es verdächtig still. Es ist ein Israel-Flug, von denen es derzeit nur sehr wenige am BER gibt. Die Maschine nach Tel Aviv sei an diesem Morgen fast ausgebucht, sagt ein Sicherheitsmitarbeiter t-online.
Die meisten, die an diesem Morgen an der Gepäckausgabe stehen, treten ihre Reise allein an, geben fast wortlos ihre Koffer ab. Um den Check-in-Schalter herum stehen schwer bewaffnete Polizisten. Es gibt keine Warteschlange. Abflug ist um 10.55 Uhr.
Die Passagiere wirken angespannt. Die meisten wollen an diesem Morgen nicht darüber reden, was derzeit in Israel passiert. "Wir wollen nur Frieden", ruft ein Mann im Vorbeigehen. Ein anderer Fluggast stimmt ihm zu. "Unterstützt nicht den Terror", bittet er, bevor er die Sicherheitskontrolle passiert.
Pause vom Krieg nehmen
Passagierin Noam Ronen stammt aus Israel. "Ich hatte die Möglichkeit, für eine Woche wegzufliegen, um mich von dem Horror zu erholen", sagt sie zu t-online. Länger wollte die Israelin aber nicht in Berlin bleiben. Trotz allem, was passiert, sei Israel ihr Zuhause, ihre Heimat.
Die Auswirkungen des Krieges hat Ronen auch in Berlin zu spüren bekommen. In der Hauptstadt kam es zu teils schweren Ausschreitungen pro-palästinensischer Aktivisten. Lesen Sie hier, was vor allem in Berlin-Neukölln geschah. "Ich hatte Angst, in der Öffentlichkeit Hebräisch zu sprechen", gibt Ronen zu.
Wut empfindet Ronen aber auf niemanden. Sie will die Zuversicht nicht verlieren, dass es eine Zukunft geben wird, in der die Menschen Frieden finden: "Ich hoffe, dass die Menschen sich von der Vorstellung verabschieden, dass es nur ein Richtig oder Falsch gibt, dass es nur Schwarz und Weiß gibt. Man trauert auf beiden Seiten, es gibt Opfer auf beiden Seiten. Ich hoffe, dass die junge Generation es besser macht."
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Auch Elena fliegt zurück in ihre Heimat Israel. Sie hat ihren Vater in Berlin besucht. "Ich muss zurück, ich habe keine andere Wahl – das ist mein Zuhause. Es ist so schrecklich, aber ich vertraue meinem Staat und hoffe, dass alles gut wird", sagt sie voller Zuversicht. Den Hass auf Israel, der derzeit in Deutschland zu spüren ist, kann Elena nicht verstehen: "Jeder sollte für Israel sein, Israel kämpft für uns alle."
Flüge nach Israel unter besonderem Schutz
Während die meisten Fluggesellschaften ihre Flüge nach Israel wegen des Krieges gestrichen haben, hat die israelische Fluggesellschaft El Al ihr Flugangebot erweitert. Maximal zwei Flüge pro Tag bietet die Airline derzeit von Berlin nach Tel Aviv an.
Für besondere Sicherheit an Bord wird nicht erst seit Kriegsbeginn am 7. Oktober gesorgt: Schon seit Jahren verfügen die Maschinen der Airline über ein eingebautes Flugabwehrsystem. Sensoren am Flugzeug können abgefeuerte Raketen erkennen, damit rechtzeitig eingeschritten werden kann.
"Der Flugverkehr nach Israel gilt stets als besonders sensibel", teilt auch die Bundespolizei Berlin auf Anfrage von t-online mit. Die Polizei schützt vom Flughafen Berlin Brandenburg aus den Flugverkehr nach Israel, wozu auch die Abfertigung israelischer Fluggesellschaften und ihrer Passagiere gehört.
Kritik an israelischer Regierung
Auch wenn die Flüge sicher erscheinen, begleitet Passagierin Michal die Angst – die Angst vor dem, was sie erwartet, wenn sie auf der anderen Seite landet. Die Israelin macht ein Sabbatjahr in Berlin, aber jetzt fliegt sie für zwei Tage in ihre Heimat – um ihren Sohn zu sehen. Er ist Soldat bei der israelischen Armee.
Neben der Angst spürt Michal eine große Wut auf die israelische Regierung. "Mein größter Wunsch ist, dass Netanjahu zurücktritt. Das hätte er schon vor Jahren tun sollen", sagt sie. "Seine Blindheit, seine Feigheit und sein korruptes Verhalten" hätten auch zum jetzigen Kriegsausbruch beigetragen, empört sich Michal.
"Es muss Frieden geschlossen werden"
Die Menschen, die sich zum Krieg im Nahen Osten äußern wollen, sind persönlich betroffen, traurig und sorgen sich um ihre Angehörigen. Einige, wie Michal, äußern ihre kritische Haltung gegenüber der israelischen Regierung offen.
Noemi wurde in Tel Aviv geboren, lebt aber schon lange in Deutschland. Sie ist auf dem Weg nach Israel, um ihren alleinerziehenden Sohn und seine Zwillinge zu unterstützen. Im Gespräch mit t-online zeigt sie sich verärgert über die israelische Regierung. Sie müsse abgelöst werden, auch die israelische Siedlungspolitik könne so nicht weitergehen.
"Es muss Frieden geschlossen werden, es muss viel passieren, es muss sich viel ändern", sagt Noemi. Israel säe selbst Hass, weiß sie, andererseits müsse aber auch der Antisemitismus bekämpft werden. Dabei hat sie vor allem die islamische Welt im Blick.
"Die arabische Community ist eine Gefahr"
Der Hass auf Israel, der sich jetzt auf den Straßen Berlins entlädt, überrascht Noemi nicht. "Die arabische Community ist eine Gefahr", sagt sie. Israel-Hass werde anerzogen, dabei gehe es nicht um historische Fakten. "Das ist ein ganz anderes Narrativ", sagt Noemi. Die deutsche Politik müsse endlich angemessen auf den Antisemitismus unter Muslimen reagieren.
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"Ich vermisse meine Familie"
Von Politik verstehe sie nicht viel, darüber zu reden, sei zu kompliziert, sagt Ifat, die als eine der letzten Passagiere ihr Gepäck aufgibt. Auch sie hat ein persönliches Schicksal. Sie war in Berlin, weil ihr Bruder operiert wurde. Als die Hamas in Israel Massaker anrichtete, sei Ifat – Tausende Kilometer von zu Hause entfernt – wie gelähmt gewesen, erzählt sie t-online. "Ich bin aus dem Gleichgewicht geraten und war nicht mehr funktionsfähig."
Dass Ifat gerade jetzt nach Israel zurückkehrt, findet sie richtig. Gerade jetzt braucht sie die Unterstützung ihrer Lieben. "Meine Freunde und meine Familie sagen mir, dass trotz des Schreckens der Zusammenhalt riesig ist. Alle halten jetzt zusammen und helfen sich gegenseitig", erzählt sie.
Ifats Familie hätte sich gewünscht, dass sie in Deutschland bleibt, in Sicherheit. "Sie haben verstanden, dass ich hier nicht bleiben kann. Ich vermisse meine Familie", sagt Ifat und bricht auf in ein Land, in dem es nicht sicher ist, in dem die Zukunft ungewiss ist, in dem die Menschen aber die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht aufgeben.
Bei dem Terrorangriff der im Gazastreifen herrschenden Terrororganisation Hamas wurden am Tag des Angriffs auf Israel und in den folgenden Tagen 1.400 Israelis getötet. Bei den anschließenden Luftangriffen der israelischen Armee auf den Gazastreifen starben nach palästinensischen Angaben seitdem Tausende Menschen. Alle Entwicklungen im Newsblog.
- Reporter vor Ort
- Schriftliche Antwort der Bundespolizei Berlin
- Eigene Recherchen