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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Blackout-Gefahr THW-Präsident: "Mit Unruhen und Plünderungen muss man rechnen"
Die Hauptstadt bereitet sich auf einen Blackout vor. Berlins bekanntester Katastrophenschützer erklärt, warum man sich nicht auf den Staat verlassen darf.
Egal, ob es darum geht, ein Krankenhaus auf dem Messegelände für Corona-Kranke aus dem Boden zu stampfen oder Flüchtlinge aus der Ukraine unterzubringen: Albrecht Brömme gilt als Mann für alle Fälle, wenn Berlin ein Problem hat. Auch im Ruhestand ist der ehemalige Chef der Berliner Feuerwehr ein gefragter Mann.
2019 hat er nach dem Blackout in Köpenick ein Papier entworfen, das dem Berliner Senat helfen soll, sich auf einen länger anhaltenden Stromausfall vorzubereiten. Jetzt ist dieses Szenario in bedrohliche Nähe gerückt. In der Energiekrise könnte das Stromnetz zusammenbrechen – wegen Überlastung oder durch russische Hacker-Angriffe. Wieder ein Fall für den Ehrenpräsidenten des Technischen Hilfswerks (THW). Im Interview mit t-online sagt Brömme, worauf sich die Berliner im schlimmsten Fall einrichten müssen, warum sie nicht auf den Staat vertrauen dürfen und wie er selbst für den Ernstfall vorsorgt.
t-online: Herr Brömme, Berlin bereitet sich auf einen möglichen Blackout vor. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein?
Albrecht Brömme: Wenn wir uns darauf verständigen, dass ein Blackout ein mehrtägiger Stromausfall ist, der nicht nur einen Stadtteil betrifft, sondern eine ganze Region, dann bin ich sicher, dass ich ihn erleben werde, obwohl ich ihn mir wahrlich nicht wünsche. Auf einer Skala von eins bis zehn liegt das Risiko bei sieben. Wenn er eintritt, kann kein normaler Mensch sagen: Damit habe ich nicht gerechnet.
Woran würde ich merken, dass es sich nicht nur um einen Stromausfall, sondern um einen Blackout handelt?
Als Erstes daran, dass Ihr Telefon nicht mehr geht, weil sowohl das Handy als auch das Festnetztelefon nicht mehr funktionieren. Das trifft etwa drei bis vier Stunden nach einem Stromausfall ein, weil die Netze nicht mehr mit Strom versorgt werden können, sofern sie keine Notstromversorgung haben. Sie sollten dann das Radio einschalten.
Aber das funktioniert dann ja auch nicht mehr.
Es sei denn, man hat ein Kurbelradio, was ich jedem empfehle. Mit einer Minute Kurbeln kann man eine Stunde Radio hören. Nicht jeder Sender wird dann zwar noch senden. Aber einige haben eine gute Notstromversorgung. Das Radio ist das Medium, das am längsten noch über Air senden wird. Allerdings nicht über Kabel.
In Berlin gab es 2019 schon mal einen Blackout. 31 Stunden lang waren 70.000 Bewohner in Köpenick ohne Strom. Wie haben sich die Berliner geschlagen?
Die Berliner waren dufte! Sie haben sich nicht leicht kirre machen lassen. Ihr Verhalten war vorbildlich.
31 Stunden sind noch relativ überschaubar. War das überhaupt ein richtiger Blackout?
Nein, formell nicht. Ein richtiger Blackout ist ein großflächiger Stromausfall, er dauert mindestens zwei, drei Tage. Aus denen können schnell zwei, drei Wochen werden. In Köpenick waren zwei durchbohrte Kabel die Ursache. Es hat zum Glück nur anderthalb Tage gedauert, die Hochspannungsleitung zu ersetzen. Das war eine Meisterleistung.
War dieser Stromausfall im Nachhinein nicht sogar ein Glücksfall, weil Sie daraus Lehren für einen richtigen Blackout ziehen konnten?
Mit Sicherheit. Das war eine ungeplante Generalprobe, die Berlin aber bestanden hat. Es gab weder Unruhen noch Plünderungen, wie es Soziologen sonst prophezeien.
Wann wird es kritisch?
Wenn Leute feststellen, dass sie nichts zu essen haben. Das kann schnell passieren. Geschäfte können bei Stromausfall nichts verkaufen, weil die elektronischen Kassen nicht mehr funktionieren.
In Köpenick ist die Welt auch noch halbwegs heile. Wäre der Stromausfall genauso glimpflich verlaufen, wenn dasselbe in Neukölln oder im Wedding passiert wäre?
Da wäre ich nicht so sicher. Für mich ist Köpenick ein Beweis dafür, wie Nachbarschaftshilfe spontan anfängt zu greifen. Noch besser wäre es, wenn Hilfe für den Notfall gut geplant wäre. Daran arbeitet man gerade in Berlin.
Nach Ihrer Empfehlung soll es in der Stadt 36 sogenannte Leuchttürme geben – bekannte Punkte, wo die Bürger zum Beispiel ihre Handys aufladen können, wo sie Trinkwasser oder Informationen bekommen. Der "Tagesspiegel" hat mal nachgefragt, wie gut die schon funktionieren. Die Bilanz ist ernüchternd. Nur jeder zweite hat bislang ein Notstromaggregat.
So eine Notstromversorgung kann eben nicht herbeigezaubert werden. Ein Notstromaggregat reicht nicht. Man braucht auch einen Vorrat an Kraftstoff, in der Regel Diesel. Man braucht auch ein Hausleitungsnetz, mit dem das Aggregat bestimmte Steckdosen versorgt. So wird das auch in den Krankenhäusern gemacht, auch in Köpenick.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass der Senat das bis zu einem Blackout auf die Reihe kriegt?
Es wäre nahezu das erste Mal, dass der überhaupt etwas auf die Reihe kriegt, wenn ich mir diese sarkastische Formulierung erlauben darf. Aber ich bin zuversichtlich, dass die meisten Menschen das Problem verstanden haben, auch in Behörden und Firmen.
Eine weitere Lehre aus dem Blackout von Köpenick war, dass es relativ viele Menschen gibt, die sich nicht selbst zu helfen wissen, zum Beispiel, weil sie alt oder krank sind. Was geschieht mit denen, wenn die Lichter ausgehen?
Der Staat kann sich nicht um 85 Millionen Menschen kümmern. Viele Leute erwarten das aber. So nach dem Motto: Wir zahlen doch Steuern, das muss der Staat machen. Mit dieser Haltung kommt man in so einer Situation nicht weiter.
Aber wer kümmert sich um die, die das nicht selbst können?
Ich finde, da sollten die Nachbarn einspringen. Aber dafür ist die Stadt ja bekannt. Berlin hat das Herz auf dem rechten Fleck.
Das mag für Wohngegenden gelten, wo jeder jeden kennt. Aber funktioniert das auch in einer anonymen Plattenbausiedlung in Lichtenberg?
Da wäre ich mir auch nicht so sicher. Dabei wurde gerade in Lichtenberg viel vorbereitet. Ich habe aber den Eindruck, es muss immer erst etwas passieren, bis etwas passiert. Und dann geht das Geschrei los. Je besser wir auf einen Blackout vorbereitet sind, desto weniger Probleme entstehen. Die Bevölkerung sollte wichtige Informationen vorher per Hauswurfsendung bekommen.
Was wäre der Worst Case?
Dass wir in halb Europa mal drei Monate ohne Strom sind — und das mitten im Winter. Dann haben wir auch keine Gasheizung, weil die ja auch Strom braucht. Dann sitzt man wirklich da und friert. Viele würden erfrieren.
Gelten Gesetze noch, wenn Menschen um ihr Leben fürchten müssen?
Mit sozialen Unruhen und Plünderungen muss man rechnen. Wir können uns nicht vorstellen, was passiert, wenn die Städte nachts dunkel sind. Wissenschaftler prophezeien, dass dann zwar keine Einbrüche stattfinden, weil jeder weiß, dass die Menschen zu Hause sind. Aber Überfälle werden zunehmen, weil dann keine Alarmanlage mehr funktioniert.
In welchem Bereich fürchten Sie die größten Probleme?
Bei der Wasserversorgung. Berlin hat zwar eine Reihe von Notbrunnen, und das THW kann Wasser aus der Spree aufbereiten. Aber das Trinkwasser wird knapp werden: Und dann bleibt die Frage, was passiert, wenn die Klospülungen nicht mehr funktionieren. Es wird sehr bald stinken.
Was macht man dann?
Zum Pullern müssen Sie in den Garten gehen. Oder das Zeug im Eimer auffangen und nach unten bringen. Es ist dann wie im Mittelalter.
Welche drei Dinge braucht man unbedingt, um sich selbst für den Blackout zu wappnen?
Das Kurbelradio hatte ich ja schon erwähnt. Man braucht Trinkwasservorräte, am besten in Glasflaschen, da hält es länger. Pro Person anderthalb Liter pro Tag. Ich empfehle Dosen mit Pumpernickel oder mit Rind- oder Schweinefleisch. Die kann man auch kalt sehr gut essen. Man hat ja nicht immer Energie, um alles zu erwärmen. Deshalb empfehle ich auch eher Reis als Nudeln. Reis quillt auf, Nudeln müssen länger gekocht werden, sonst sind sie ungenießbar.
Sie selbst haben einmal gesagt, Sie hätten auch Vorräte an Whisky und Wodka angelegt.
Damit kann man alles besser überstehen.
Wir bedanken uns für das Gespräch.
- Interview mit Albrecht Brömme