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Biologin zum Gender-Zoff an der HU: "Ich bin völlig am Ende"


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Gender-Zoff an der Humboldt-Uni
Ausgeladene Biologin: "Ich bin völlig am Ende"

InterviewVon Antje Hildebrandt

Aktualisiert am 07.07.2022Lesedauer: 7 Min.
Demonstrierende und die Wissenschaftlerin Marie Luise Vollbrecht (Montage): Ein Vortrag, der erst abgesagt und dann verschoben wurde, sorgt für Streit.Vergrößern des Bildes
Demonstrierende und die Wissenschaftlerin Marie Luise Vollbrecht (Montage): Ein Vortrag, der erst abgesagt und dann verschoben wurde, sorgt für Streit. (Quelle: Christophe Gateau/dpa, HU Berlin - Montage t-online )
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Die Humboldt-Uni hat ihren Entschluss verteidigt, einen Vortrag über Zweigeschlechtlichkeit nach Protesten von Aktivisten zu verschieben. Die Biologin Marie Luise Vollbrecht spricht von Psychoterror – und fordert eine Entschuldigung.

Marie-Luise Vollbrecht promoviert an der Berliner Humboldt-Universität zur Frage, wie sich Sauerstoffmangel auf die Hirnzellen von elektrischen Fischen auswirkt. Sie bezeichnet sich selbst als linke Feministin, und als solche tritt sie bei Twitter als @FrolleinVogelV auch in Erscheinung.

Bislang inkognito, doch als sie zusammen mit anderen Wissenschaftlern in einem Gastbeitrag in der "Welt" kritisierte, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mitunter ziemlich unkritisch über Transgender-Themen berichte, wurde ihr Account geleakt. Für Aktivisten sei das eine Steilvorlage gewesen, sie bei ihrem Arbeitgeber anzuschwärzen, sagt sie im Interview mit t-online. Vollbrecht spricht von regelrechtem Psychoterror auf Twitter. Dabei gehe es ihr darum, wissenschaftliche Irrtümer auszuräumen, nicht um Politik.

t-online: Frau Vollbrecht, bei der Langen Nacht der Wissenschaften wollten Sie in der Humboldt-Uni einen Vortrag über Zweigeschlechtlichkeit in der Biologie halten. Dieser wurde aber erst abgesagt und dann verschoben, weil der Arbeitskreis kritischer JuristInnen angekündigt hatte, er werde gegen den Vortrag protestieren. Wie fühlt man sich, wenn einen der eigene Arbeitgeber hängen lässt?

Marie-Luise Vollbrecht: Ich war erstaunt, weil es bis kurz vor der Absage den Anschein hatte, dass ich den Vortrag halten konnte und die Veranstalter alles getan haben, um das zu ermöglichen. Also, ich wollte das durchziehen.

Hatten Sie keine Angst davor, dass Aktivisten versuchen könnten, die Veranstaltung mittendrin zu sprengen?

Ich hab schon damit gerechnet, dass es dazu kommen könnte, dass Leute aufstehen und mich anschreien könnten. Ich hab aber klar gesagt: Ich halte diesen Vortrag trotzdem.

Warum?

Ich hatte einen Tag vorher eine E-Mail vom RefRat (Studentenausschuss der Uni, Anm. der Red.) bekommen. Darin protestierte er dagegen, dass ich über das Thema Zweigeschlechtlichkeit referieren wollte. Im Anhang war ein Flyer des "Arbeitskreises Kritischer StudentInnen". Darin wurde behauptet, mein Vortrag wäre ganz furchtbar.

Und dann haben Sie sich gedacht: jetzt erst recht?

Ich war dafür, zu deeskalieren. Die Uni war auch dafür. Aber dann hieß es plötzlich, was sei denn, wenn es zu Tumulten käme und Besucher verletzt würden? Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann ich verstehen, dass der Vortrag abgesagt wurde. Traurig war ich trotzdem.

Der Vizepräsident Christoph Schneider hat die Entscheidung in einem Interview mit der "Zeit" gerade verteidigt. "Die Universität ist nicht dafür da, die politische Meinung ihrer Mitarbeiter zu schützen." Ihr Vortrag ist inzwischen online. Fast 100.000 Menschen haben ihn sich bei YouTube angesehen. Ich finde da keine Anzeichen für politische Meinungsäußerung.

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Das hatte ja auch gar nichts mit Politik zu tun. Ich habe den Vorschlag für den Vortrag im Februar eingereicht. Den Vortrag selbst habe ich vor meiner Arbeitsgruppe am Mittwochmorgen gehalten – kurz bevor der Shitstorm losging.

Gab es keine Einwände?

Nein, mein Doktorvater war einverstanden. In einem Zoom-Meeting hat er dem RefRat sogar nochmal mitgeteilt, worum es gehen wird – und deutlich gemacht, dass es wirklich nur zwei Geschlechter gibt.

Ihre Kritiker berufen sich auf den Bericht "Sex redefined" in dem renommierten Wissenschaftsmagazin "Nature". Darin heißt es, es gebe mehr als zwei Geschlechter.

Sie meinen diesen Artikel von Claire Ainsworth. Die Biologin hat selbst mehrfach richtiggestellt, es gebe nur zwei Geschlechter – allerdings mit einer Varianz an Ausprägungen.

Zum Beispiel?

Im Durchschnitt sind Männer größer als Frauen. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch sehr große Frauen gibt. Es gibt ein breites Spektrum der Merkmale, die können sich zwischen den Geschlechtern überschneiden, aber eben nur innerhalb von zwei Geschlechtern. Das ist das große Missverständnis hier.

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Wer ist denn dieser Arbeitskreis, vor dem die Uni eingeknickt ist?

Ich habe keine Ahnung.

Im Interview mit t-online hat Ihnen die Leiterin des Arbeitskreises die Expertise für das Thema Zweigeschlechtlichkeit abgesprochen. Sie sagte, man hätte nicht gegen Ihren Vortrag protestiert, wenn Ihnen die Uni jemanden zur Seite gestellt hätte, der eine gegenteilige Meinung vertritt.

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Daran merkt man, dass Juristen offenbar nicht einschätzen können, wer etwas zu dem Thema sagen kann. Ich hatte einen Schwerpunkt auf Evolutionsbiologie und Mechanismen der Evolution in meiner Masterarbeit. Was ich referiert habe, ist absolutes Grundlagenwissen. Das Geschlecht spielt überall in der Biologie eine große Rolle, vor allem für das Verhalten von Tieren. Mein Doktorvater hat den Vortrag für gut befunden. Und er ist jemand, der diese Inhalte auch so lehrt.

Was hätte dagegen gesprochen, wenn ein Soziologe oder eine Soziologin Ihren Vortrag hinterfragt hätte?

Ich finde das problematisch. Das ist, als ob man einem Biologen sagt, ein Theologe müsse nochmal über seine Arbeit schauen.

Ich hab diese Erfahrung noch nicht gemacht. Ich habe aber auch nicht an der Humboldt-Universität studiert, sondern in Marburg. Auch da waren die Naturwissenschaftler eher unter sich. Dabei habe ich auch mal ein Seminar in Philosophie belegt oder die Ringvorlesung über Gender Studies besucht. Aber es ist grundsätzlich schwierig, wenn Biologen versuchen, mit Soziologen über das Thema Geschlecht zu sprechen. Wenn man versucht, Leute aufzuklären, gerät man schnell in den Verdacht des Biologismus, auch in den sozialen Medien.

Auf Twitter schreiben Sie, Sie würden schon seit Monaten von einer Handvoll Männer terrorisiert und bedroht werden. Geht es wieder um dasselbe Thema?

Ich war vorher schon als Feministin auf Twitter unterwegs, allerdings nicht unter meinem Klarnamen. Zugespitzt hat sich die Lage vor einem Jahr, als ich mich in den Diskurs um Sex und Gender reingehängt habe, weil ich fand, dass es da viele Falschinformationen gibt. Ich hab damit viele Leute erreicht. Aber es ist ausgeartet. Ich fand mich plötzlich auf Listen wieder. Eine hieß "Kill, Kill, Kill". Ein Mann schrieb, er habe meinetwegen seinen Job verloren.

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Was haben Ihnen diese Leute vorgeworfen?

Was ich verbreite, sei veraltet. Schulbiologie aus den 70er Jahren.

Wer macht so etwas?

Aktivisten im Internet, die irgendwann die Grenze zum richtigen Leben überschritten haben. Durch den Meinungsbeitrag in der "Welt" war mein richtiger Name bekannt. Seither ist es eskaliert. Es gab den Aufruf, Screenshots von meinem Account an meinen Doktorvater und an die Universität zu schicken. Das war die Initialzündung für die Aktivisten, an die Uni zu schreiben: "Keine Bühne für Transfeindlichkeit".

Das klingt nach psychologischer Kriegsführung.

Das ist es auch. Aber das Schlimmste ist: In dem Moment, als mein Twitter-Account aufflog, griff die Gegenseite nach jedem Strohhalm, um mir die Schuld zu geben, dass es eskaliert ist. Meine Kritiker haben die Männer retweetet, die mich schon monatelang drangsaliert hatten. Mir wurde vorgeworfen, ich sei Sozialdarwinistin, mir wurde auch Nähe zum Nationalsozialismus unterstellt oder Transfeindlichkeit.

Wie fühlt es sich an zu wissen, dass es Leute gibt, die einen im Internet stalken und nur darauf warten, dass man einen Fehler macht, um wieder Hass-Tweets zu posten?

Ich bin gerade völlig am Ende. Ich müsste dringend an meiner Promotion arbeiten. Ich würde gerne in drei Wochen zu einer wissenschaftlichen Konferenz reisen.

Bekommen Sie gar keine Unterstützung?

Doch, mein Doktorvater ist eine große Hilfe. Ich habe auch Hunderte E-Mails von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt bekommen, die mir alle Mut gemacht haben, mich nicht einschüchtern zu lassen.

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Warum ist Ihnen das Thema Zweigeschlechtlichkeit eigentlich so wichtig?

Mir ist unterstellt worden, dass ich von Anfang an eine bestimmte politische Agenda hatte. Aber das stimmt nicht. Mir ging es nur um Aufklärung. Mir ist Wissenschaft einfach wichtig. Wenn simple Fakten geleugnet werden, hat das negative Auswirkungen auf die Forschung.

Für den Feminismus ist es ebenfalls wichtig. Wir können Frauenrechte nicht verteidigen, wenn wir nicht die Frage beantworten können: Was ist eine Frau? Warum erfahren Frauen Gewalt? Liegt es am Gender? Oder doch am Geschlecht?

Aber zeigt das Echo auf Twitter nicht, dass Sie Aktivismus und wissenschaftliche Arbeit besser voneinander trennen sollten?

Ich habe das eigentlich immer getrennt. Deshalb lief der Twitter-Account nicht unter meinem Klarnamen. Ich stehe auch zu dem, was ich da schreibe. Aber natürlich hat es nichts mit meinem Forschungsschwerpunkt zu tun.

Ihre Kritiker werfen ihnen transphobe Kommentare auf Twitter vor. Einer Transfrau schrieben Sie: "Und deshalb bleiben Du und Dein Penis bitte weg aus Frauenunkleiderräumen." Besonders freundlich klingt das wirklich nicht.

Nein heißt Nein. Wenn ich als Frau sage, dass ich nicht in der Situation sein will, dass mir in der Sammelumkleide oder unter der Dusche ein Individuum mit Penis begegnet, dann ist das mein gutes Recht. Wer Frauen zwingen will, diese Grenzen zu missachten, der handelt frauenfeindlich.

Okay, aber warum haben Sie solche Tweets dann wieder gelöscht?

Nachdem mein Account geleakt worden war, wurde ich von Aktivisten unter Druck gesetzt, meine Universität über meine Twitter-Aktivitäten aufzuklären. Einen Tag später sprach mich mein Doktorvater auf meinen Account an. Ich hab dann alle meine Tweets archiviert und die letzten 4.000 mit einer App gelöscht. Ich habe ja aus der Anonymität viel über mein Dating-Leben geschrieben und jede Menge niveauloser Peniswitze gemacht. Mir war der Gedanke wahnsinnig peinlich, dass mein Doktorvater das lesen könnte.

Zusammen mit anderen Wissenschaftlern haben Sie einen Meinungsbeitrag in der "Welt" veröffentlicht. Darin haben sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dafür kritisiert, dass er die Transgender-Ideologie verbreite. Es heißt darin zum Beispiel, Kinder würden vom ÖR indoktriniert. War es eine gute Idee, solch einen Beitrag ausgerechnet in einem Springer-Blatt zu lancieren?

Die "Welt" hat das natürlich polemisch geteasert und einen reißerischen Titel gewählt und ihn dann noch mit einem Bild aus der Sendung mit der Maus illustriert. Darauf hatten wir leider keinen Einfluss. Mir wäre es auch lieber gewesen, der Beitrag wäre in der "taz" erschienen. Aber das ist genau das Problem. Linke Medien trauen sich an dieses Thema nicht heran.

Seither werden Sie als "umstritten" und "rechts" geframt. Hat die Aktion Ihren Ruf als Wissenschaftlerin nicht beschädigt?

Nein, in meinem beruflichen Umfeld hat das nur wenig Menschen interessiert. In meinem privaten Umfeld wird die Aufregung gar nicht verstanden. Es ist ein akademisches Thema, das nur eine Minderheit interessiert.

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Auf Twitter haben Sie dem Arbeitskreis Kritischer JuristInnen vorgeschlagen, sich bei Ihnen zu entschuldigen. Gab es schon eine Reaktion?

Nein, dabei tun die mir natürlich auch leid. In den sozialen Medien wird jetzt dazu aufgerufen, diese Studenten zu exmatrikulieren. Die kriegen auch sehr viel Hass ab. Ich finde, man sollte jetzt mal aufeinander zugehen, damit es nicht noch weiter eskaliert.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Marie Vollbrecht
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