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Humboldt-Uni | Streit um abgesagten Vortrag über Transsexualität: "Ist skandalös"


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Humboldt-Uni lädt Referentin aus
Gender-Zoff in Berlin: "Das ist rechtes Geschwurbel"


Aktualisiert am 05.07.2022Lesedauer: 5 Min.
Die Humboldt-Universität und Wissenschaftlierin Marie Luise Vollbrecht (Montage): Ein geplanter Vortrag sorgt für Streit.Vergrößern des Bildes
Die Humboldt-Universität und Wissenschaftlerin Marie Luise Vollbrecht (Montage): Ein geplanter Vortrag sorgt für Streit. (Quelle: Imago/HU Berlin-Montage)

Weil sie einen Vortrag über biologisches Geschlecht nach Protesten abgesagt hat, steht die Humboldt-Uni in der Kritik. Sogar die Protestierer protestieren jetzt.

Bei der Langen Nacht der Wissenschaften wollte Marie Luise Vollbrecht in Berlin darüber referieren, dass es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt. Der "Arbeitskreis kritischer Jurist*innen" (AJK) an der Humboldt-Universität (HU) intervenierte. Im Interview mit t-online erklärt ihre Sprecherin Stefanie Richter, warum die Studierenden nicht wollten, dass die Uni der Biologin eine Bühne gibt – und warum sie es skandalös finden, dass die HU die Veranstaltung nach ihren Protesten abgeblasen hat.

t-online: Frau Richter, die Biologin Marie Vollbrecht wollte bei der Langen Nacht der Wissenschaften in einem Vortrag darüber sprechen, dass es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt. Der "Arbeitskreis kritischer Jurist*innen" hatte zu "Gegenprotesten" aufgerufen. Ist das nicht eine ziemlich unerwachsene Reaktion?

Stefanie Richter: Nein, daran ist nichts unerwachsen. Wir haben das Recht zu demonstrieren, es ist Teil einer kritischen Auseinandersetzung.

Sollte man als erwachsener Mensch nicht erst mal den Diskurs suchen, bevor man fordert, einem Andersdenkenden keine Bühne zu geben?

Wir haben die Uni im Vorhinein mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass sie eine transphobe Referentin eingeladen hat. Darauf ist die Uni nicht eingegangen. Deshalb wollten wir unsere Kritik laut und sichtbar machen.

Frau Vollbrecht hat den Vorwurf der Transphobie in einem Interview mit der "Welt" gerade von sich gewiesen. Woran machen Sie das denn fest?

Frau Vollbrecht hat sich schon auf verschiedene Weise disqualifiziert. Auf Social Media fallen immer wieder transphobe Kommentare. Sie gibt sich als Expertin aus, obwohl sie auf einem ganz anderen Gebiet forscht. Zudem hat sie zuletzt diesen Artikel in der "Welt" mit veröffentlicht, wo sie "gleichgeschalteten Medien" eine Transgender-Ideologie unterstellt hat. Das ist einfach nur rechte Schwurbelei und Transphobie.

Ist man schon gleich rechts, wenn man es kritisiert, dass es Sendungen im öffentlich-rechtliche Fernsehen gibt, die die Folgen einer Geschlechtsumwandlung verharmlosen?

In dem "Welt"-Artikel hat Vollbrecht statuiert, in den öffentlich-rechtlichen Medien gäbe es eine Gender-Ideologie-Lobby. Das ist rechtes Geschwurbel über "gesteuerte Systemmedien", die unsere Kinder "verschwulen" würden. Man sollte aufhören, solche Positionen durch Fragen wie "Ist das schon rechts?" zu verharmlosen.

Man muss ja inhaltlich nicht mit Frau Vollbrecht übereinstimmen, und kann sie trotzdem ihren Vortrag halten lassen. Was ist so schlimm an ihrer Sichtweise, dass Sie ihr erst gar keine Bühne geben wollen?

Das Ding ist ja nicht, dass sie über dieses Thema redet, sondern dass sie in einem sehr prestigeträchtigen Raum unangefochten und sich selbst als Expertin benennend Thesen verbreiten darf, die gar nicht dem wissenschaftlichen Konsens entsprechen.

Dass es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt, ist zumindest an der Humboldt-Uni Konsens. Der Anteil von Menschen, die sich weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zuordnen lassen, liegt bei 0,2 Prozent der Bevölkerung.

Identifikation und biologisches Geschlecht sind noch mal zwei verschiedene Sachen. Es ist auf keinen Fall Konsens, dass es ein binäres Geschlechtersystem gibt. Es ist schon lange bekannt, dass es da ein breites Spektrum gibt und dass die Unterschiede sozial gemacht sind.

Aber genau daher rührt doch das Missverständnis: Frau Vollbrecht spricht vom biologischen Geschlecht, da gibt es eben nur männlich und weiblich. Sie argumentieren aber mit dem Gender, dem sozialen Geschlecht. Und das ist facettenreicher.

Nee, in der Biologie gibt es eben nicht nur zwei Geschlechter. Frau Vollbrecht zitiert Thesen von vor 50 Jahren.

Kann man nicht beide Sichtweisen gleichberechtigt nebeneinander stehen lassen?

Nein, eine Sichtweise, die sich als Expertise verkleidet und gegen queere Menschen hetzt und ihnen die Existenz abspricht, die kann man nicht einfach so stehenlassen. Das ist der kritische Dialog, der von uns eingefordert wird. Das ist Protest. Und den haben wir auf die Straße getragen.

Welchen Bezug hat der "Arbeitskreis kritischer Jurist*innen" zum Thema Transsexualität?

Wir setzen uns für die Rechte marginalisierter Menschen ein. Wir kämpfen für eine gerechtere Welt. Das schließt auch die Rechte von Transmenschen mit ein. Wenn wir sehen, dass unsere Universität solche Vorträge als Expertise labelt, ohne Gegenrede zuzulassen, dann intervenieren wir.

Aber warum gleich Proteste? Was hätte denn gegen eine Podiumsdiskussion nach dem Vortrag gesprochen?

Wie ich eben schon gesagt habe, haben wir im Vorfeld mit der Uni kommuniziert, ob die dieses Format wirklich beibehalten wollen. Die Universität hat sich dafür entschieden und ist nicht auf uns eingegangen.

Jetzt hat die HU den Vortrag "aus Sicherheitsgründen" abgesagt. Es hätte die Gefahr bestanden, dass das Fest der Wissenschaften komplett durch den Konflikt um den Vortrag überschattet worden wäre. Eine berechtigte Sorge?

Das ist einfach nur absurd. Wir hatten eine ruhige Demo vor der Uni angemeldet. Von uns ging nie eine Eskalation oder Gefahr aus. Die HU hat sich damit nur aus der Affäre gezogen, um sich inhaltlich nicht positionieren zu müssen. Das ist skandalös.

Wieso? Der Vortrag wurde jetzt gecancelt. Haben Sie Ihr Ziel damit nicht erreicht?

Unser Ziel ist, dass Transphobie keinen Raum an der HU bekommt.

Also haben Sie Ihr Ziel erreicht?

Dass sich die HU aus der Affäre gezogen hat, zeigt, dass sie sich nicht inhaltlich damit auseinandersetzen will. Also müssen wir davon ausgehen, dass die HU noch lange braucht, bis ein Raum entstanden ist, in dem sich alle wohlfühlen.

Wie hätte denn eine Lösung aussehen können, mit der sich beide Seiten hätten arrangieren können?

Die HU hätte sich von Anfang an damit auseinandersetzen müssen, wem sie wo Räume gibt und in welchem Format. Sie hätte Frau Vollbrecht die Bühne nicht allein geben sollen. Ihre Expertise ist nicht von der Wissenschaft gedeckt.

Das behaupten Sie.

Sie können dazu gerne die wissenschaftliche Recherche machen. Wir haben es gemacht. Einer Person eine Bühne zu geben, die noch nicht mal zu dem Thema forscht, das ist absurd.

Sie wollten also, dass ihr die Uni gar keine Bühne gibt?

Wenn man ihr Experten oder Expertinnen zur Seite gestellt hätte, die klargemacht hätten, dass sie keine Expertise hat, wäre das ein ganz anderes Format gewesen. Darauf hätte man sich bestimmt einlassen können.

Die Bundesbildungs- und Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger hat die HU nach der Absage stark kritisiert. "Es darf nicht in der Hand von Aktivisten liegen, welche Positionen gehört werden", sagt sie. Was würden Sie ihr antworten?

Es sollte nicht in der Hand von irgendwelchen selbstgelabelten Experten oder Expertinnen liegen, wer sich wohlfühlen kann und wer nicht. Alle Menschen sollten die gleichen Rechte haben. Wissenschaftsfreiheit ist keine Hetzfreiheit.

In welchem Kontext hat Frau Vollbrecht denn gegen Transmenschen gehetzt?

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Auf ihrem Twitteraccount gibt sie immer wieder transfeindliche Kommentare von sich. Sie hat sich zudem darüber lustig gemacht, dass sich queere Menschen in ihren Seminaren unwohl und diskriminiert fühlen.

Wissenschaft lebt von der Freiheit und von der Debatte. Wohin steuert die Wissenschaft, wenn wir andere Meinungen als die eigene nicht mehr aushalten?

Wissenschaftsfreiheit ist auf jeden Fall super-wichtig. Auch Meinungen von Minderheiten sollten gehört werden. Aber die Freiheit hört dort auf, wo es darum geht, Menschen ihre Identität abzusprechen.

Ist queeren Menschen damit geholfen, dass ihre Interessen durchgesetzt werden, indem man den demokratischen Diskurs aushebelt?

Wir haben keinen demokratischen Diskurs ausgehebelt. Demonstrationen sind ein Grundpfeiler jeder Demokratie.

Wir bedanken uns für das Gespräch.

Hinweis der Redaktion: Das Interview fand statt, bevor die Humboldt-Uni ankündigte, dass es einen Nachholtermin für den Vortrag geben soll. In einer Podiumsdiskussion am 14. Juli soll das binäre Geschlechtskonzept in der Biologie aus verschiedenen Perspektiven besprochen werden. Eingeladen worden seien dazu auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und Berlins Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne).

Verwendete Quellen
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