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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ukraine-Talk bei Illner "Die Nato ist auf Russlands Sorgen präzise eingegangen"
Bei Maybrit Illner suchen Experten wie Frank Sauer und Wolfgang Ischinger Wege aus dem Ukraine-Krieg – und Gregor Gysi sorgt sich um Putins Sicherheitsgefühl.
Während in der Ukraine und auf russischem Boden rund um Kursk weiter verlustreich gekämpft wird, kündigte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kürzlich einen "Siegesplan" an. In der kommenden Woche reist er in die Vereinigten Staaten, um ihn US-Präsident Joe Biden vorzustellen.
Kanzler Olaf Scholz wiederum sprach sich zuletzt für stärkere diplomatische Bemühungen um ein Ende des russischen Angriffskriegs aus und bezeichnete es als Voraussetzung für eine Friedenslösung, "dass Putin einsieht, dass er nicht die ganze Ukraine fressen kann".
"Ukraine will Sieg und Frieden – was will der Westen?", fragte vor diesem Hintergrund Maybrit Illner in ihrer gestrigen Talkshow.
Die Gäste:
- Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des EU-Verteidigungsausschusses
- Mychajlo Podoljak, Selenskyj-Berater
- Gregor Gysi (Die Linke), Bundestagsabgeordneter
- Wolfgang Ischinger, langjähriger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz
- Frank Sauer, Experte für Sicherheitspolitik
- Sabine Adler, Journalistin und Russlandexpertin
Zunächst bat die Moderatorin den ehemaligen Spitzendiplomaten Wolfgang Ischinger um eine Einschätzung, was sich hinter Selenskyjs ominösem "Siegesplan" verbergen könnte. Der langjährige Diplomat vermutete, dass die Ukraine sich so vergewissern wolle, "dass sie weiter die Initiative hat". Dies sei auch der Grund für den Vorstoß ins russische Grenzgebiet bei Kursk gewesen.
Außerdem sei Selenskyjs USA-Reise sicher mit der Hoffnung auf eine Aufhebung der Reichweitenbeschränkungen für westliche Langstreckenwaffen verknüpft. Die Ukraine habe hier, so Ischinger, einen Punkt: Schließlich brauche Wladimir Putin bei der Wahl seiner Ziele auch keine Erlaubnis. Er sprach sich dafür aus, dem Wunsch stattzugeben und die Freigabe an die Einhaltung des Völkerrechts zu knüpfen, also zu verfügen, dass nur militärische und keine zivilen Ziele beschossen werden dürften.
Fällt die Reichweitenbeschränkung für West-Raketen?
Ob Selenskyj mit seiner Bitte in Washington wohl erfolgreich sein werde, wollte Maybrit Illner von Sabine Adler wissen. Die Deutschlandfunk-Journalistin sah zumindest die Möglichkeit, dass sich Joe Biden "mit einem Paukenschlag" verabschieden wolle und daher seine Ablehnung revidiere. "Wovor hat der Westen eigentlich Angst, warum zögert er?", schob die Russland-Expertin hinterher. Überdies habe die Ukraine bislang keinen Anlass für Misstrauen gegeben.
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Für die Freigabe positionierten sich auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Frank Sauer. Die FDP-Politikerin fand, damit eröffne sich der Ukraine "die Chance, Putin zu sagen: Wenn du nicht aufhörst, wirst du die Konsequenzen in deinem Land tragen", so Strack-Zimmermann. Sicherheitsexperte Sauer schlug vor, die Entscheidung als Druckmittel auf den Kreml-Autokraten einzusetzen: "Diese Beschränkungen, über die wir hier diskutieren, lieber Herr Putin, die lassen wir fallen, wenn Sie nicht aufhören, mit ihren Raketen die ukrainische Zivilbevölkerung tagein, tagaus zu terrorisieren."
Lediglich Gregor Gysi zeigte sich skeptisch. Er mahnte an, "statt an Eskalation mal an Deeskalation" zu denken, und wollte den Aggressor lieber auf andere Weise "unter Druck setzen": mit dem Angebot, keine Waffen mehr an die Ukraine zu liefern, wenn Putin sich auf einen Waffenstillstand einlasse.
Dass ein solches Vorgehen allerdings nicht im Sinne der Ukraine wäre, zeigte eine kurze Schalte nach Kiew. "Man kann Russland nicht bitten zu verhandeln, nur zwingen", stellte dort Selenskyj-Berater Mychajlo Podoljak klar. Er zeigte sich überzeugt, dass es "das autoritäre System unter Druck setzen" würde, wenn die Ukraine in der Lage wäre, mit westlichen Marschflugkörpern "Ziele tief in Russland zu treffen". Marie-Agnes Strack-Zimmermann bekräftigte, dass die Ukraine Verhandlungen mit Putin "nur aus einer Position der Stärke heraus" führen könne.
Ischinger: Nato ist auf Russlands Sorgen "präzise eingegangen"
Als Maybrit Illner von Sabine Adler wissen wollte, warum Olaf Scholz’ dennoch gerade jetzt Andeutungen über mögliche Friedensverhandlungen gemacht habe, hatte die Deutschlandradio-Journalistin eine trockene Antwort parat: "Weil das so schön klingt bei Landtagswahlen".
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Dafür aber brachte Gregor Gysi noch Ideen ein, wie man eine Verhandlungslösung für Putin attraktiver machen könnte: Auf einer Friedenskonferenz könne der ja "seine Interessen formulieren und sagen: 'Zieht euch etwas zurück, ich möchte von euch nicht so unter Druck gesetzt werden.'" Es gelte, "seine Sicherheit zu gewährleisten", er solle sich nicht "durch die Nato unter Druck gesetzt fühlen".
"Unruhige Stühle" am Tisch registrierte daraufhin die Moderatorin, und Frank Sauer versuchte zu erläutern, dass es vor Putins Angriffskrieg eine europäische Sicherheitsarchitektur gegeben habe, die eben jener "zerschlagen" habe.
Doch der ehemalige SED-Vorsitzende Gysi war jetzt in Fahrt: "Die Nato hat als Erste nach dem Krieg das Völkerrecht verletzt", führte Gysi aus, "der Krieg gegen Serbien war völkerrechtswidrig, die Trennung des Kosovo war völkerrechtswidrig, der Krieg gegen den Irak war völkerrechtswidrig." Wolfgang Ischinger nannte das einen "Nato-Bedrohungsmythos", diese Darstellung "ärgere" ihn, weil man bei der Aushandlung der Nato-Russland-Grundakte 1997 "auf die russischen Sorgen präzise eingegangen" sei.
- ZDF: Sendung "Maybrit Illner" vom 19. September 2024