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Ukraine-Krieg: Kampftaucher zerstören Putins Verteidigung


Ukrainische Kampftaucher
Sie schlagen im Dunkeln zu – und zerstören Putins Verteidigung

Von t-online, cc

20.09.2024 - 06:20 UhrLesedauer: 5 Min.
Ein Spezialtaucher der US-Armee (Archivbild). Nach diesem Vorbild agieren auch die ukrainischen Taucher.Vergrößern des BildesEin Spezialtaucher der US-Armee (Archivbild). Nach diesem Vorbild agieren auch die ukrainischen Taucher. (Quelle: xzabelinx)

Weit hinter den feindlichen Linien operiert die Ukraine mit Spezialtauchern. Die Einsätze sind extrem gefährlich. Doch die Militärtaucher meistern selbst unmögliche Situationen.

In der Dunkelheit der Nacht schlagen sie zu. Dann steigen sie in ihren Froschanzügen aus dem kalten Wasser und zerstören Putins Verteidigung: die Kampftaucher der Ukraine. Sie schwimmen in Vierergruppen durch Flüsse oder die Fluten des Schwarzen Meeres und verüben Sabotageakte, zum Teil weit hinter den feindlichen Linien. Untereinander verbunden nur durch eine Leine, mit deren Hilfe sie unter Wasser kommunizieren, und ausgestattet mit modernsten Atemgeräten, damit aufsteigende Luftblasen sie nicht verraten.

Bislang war kaum etwas über die militärische Spezialeinheit bekannt. Nun treten die Taucher des 73. Naval Special Operations Centre erstmals ins Licht der Öffentlichkeit, allerdings anonym, um ihr Leben nicht zu gefährden. Es sind hochkomplexe und gefährliche Missionen, denen die Kampftaucher der ukrainischen Armee nachgehen. Doch ihre Einsätze können den Frontverlauf entscheidend verändern.

"Unsere Taucher dringen mit Booten verdeckt in feindliche Gebiete ein, tauchen, nähern sich der Küste, führen Aufklärungen durch, räumen Minen, landen und führen Spezialoperationen durch", sagte der junge Kommandant eines der Taucherteams nun der britischen "Times". Sie sind das ukrainische Äquivalent zu den amerikanischen Navy Seals oder dem britischen Special Boat Service. Ihre Aufgabe besteht darin, eine Welle der Zerstörung zu entfesseln und Chaos und Verunsicherung unter den russischen Streitkräften zu entfachen.

Schon seit 2014, als russische Truppen auf der Krim einfielen, kämpft die Ukraine auch zu Wasser. Spätestens seit der umfassenden Invasion von Wladimir Putins Truppen im Nachbarland im Frühjahr 2022 zählen die großen Flüsse im östlichen und südlichen Teil der Ukraine, aber auch das strategisch bedeutsame Schwarze Meer zu den am härtesten umkämpften Gebieten. Oft verläuft die Front direkt an einem der Flüsse, etwa am Dnipro, wo sich ukrainische und russische Truppen über viele Kilometer Länge gegenüberstehen.

Vermutlich wären sie dann längst tot

Ausgebildet wurden die ukrainischen Kampftaucher von britischen und US-amerikanischen Spezialkräften, ausgerüstet sind sie mit der neuesten Technologie für ihre Missionen. Die erlaubt es ihnen, im Wasser praktisch unsichtbar zu werden. Die Russen sehen sie nie kommen, sagen sie der "Times". Das wäre auch schlecht, denn dann wären sie vermutlich längst tot.

Allerdings hilft unter Wasser und bei Nacht auch die modernste Ausrüstung nicht immer weiter, deshalb verlassen sie sich auf ganz konventionelle Hilfsmittel: Kompass, Uhr, Tiefenmesser und Kopfrechnen, um Entfernungen und Luftvorräte richtig einzuschätzen, diese Hilfsmittel sind ihre Lebensversicherung. Die britischen Spezialkräfte haben ihren ukrainischen Kollegen während einer sechs Monate dauernden Kompakt-Ausbildung beigebracht, wie sie mit Hilfe von Unterwasser-Drohnen die russischen Verteidigungsvorrichtungen unter Wasser zerstören.

Vor allem Seeminen machen der Ukraine zu schaffen. Seit dem völkerrechtswidrigen Einmarsch von Russlands Machthaber Wladimir Putin und seinen Truppen und der damit verbundenen Besetzung des Schwarzen Meeres wimmelt es in den Gewässern rund um die ukrainische Küste nur so von Sprengstoffvorrichtungen. Damit die Ukraine die Seewege im Schwarzen Meer nutzen kann, müssen die Minen im Wasser geräumt werden.

Strategisch bedeutsame Schlacht im Schwarzen Meer

"Das Schwarze Meer ist derzeit eines der gefährlichsten Gewässer der Welt", sagte Dmitro Kowalenko, ein Kommandant der ukrainischen Marine dem Portal "ForcesNews". Wie schwierig die Minenräumung im Wasser ist, zeigt die Tatsache, dass sich manche der schwimmenden Sprengkörper mit unbemannten Unterwasserdrohnen nicht entschärfen lassen. Sie können nur von Spezialtauchern neutralisiert werden. Dafür wurde die amphibische Spezialeinheit der ukrainischen Marine ausgebildet. Sie wollen die russische Küstenverteidigung schwächen und Putins Truppen aus ukrainischen Hoheitsgewässern vertreiben.

Während die Landnahme des ukrainischen Militärs in Kursk die Aufmerksamkeit hunderte von Kilometern weiter nördlich auf sich zieht, findet die strategisch mindestens ebenso bedeutsame Schlacht im Schwarzen Meer statt – es ist eine Schlacht, die die Ukraine bislang mit britischer Hilfe gegen alle Widerstände gewinnt. Davon zeugen nicht nur die zahlreichen Angriffe auf russische Kriegsschiffe, bei denen es der Ukraine gelang, einen wesentlichen Teil von Putins Schwarzmeerflotte zu vernichten und die russische Marine zwang, ihre Kontingente zu verlegen.

Als ukrainische Spezialeinheiten die Russen am 30. Juni 2022, vier Monate nach der Invasion, von der Schlangeninsel vertrieben, sicherten sie dem Land einen Korridor für den Getreideexport aus dem Hafen von Odessa. Im vergangenen September hat die Ukraine die Kontrolle über eine Reihe von Ölplattformen übernommen, die heute als Ausgangspunkt für Angriffe auf russische Ziele auf der Krim dienen. Die Räumung der Kinburn-Halbinsel und der Tendra-Nehrung durch die Russen war ebenfalls von entscheidender Bedeutung für die Freigabe des zweitgrößten ukrainischen Seehafens, Mykolajiw.

Wenn jemand Alarm auslöst, ist es ganz schnell vorbei

Wie riskant die Einsätze der Taucher sind, erzählt Alex der "Times". So seien sie einmal in einer Vierergruppe losgeschwommen, allerdings mussten zwei ihrer Kollegen umdrehen. Die anderen beiden schwammen weiter und stießen bald auf ein ganzes Bataillon russischer Truppen. "Mindestens 500 Soldaten", wie Alex sagt. Das Ziel ihrer Mission war es, ein gepanzertes russisches Flugabwehrsystem vom Typ ZSU-23-4 Shilka mit Selbstantrieb auszuschalten. Das System war für die Russen von strategischer Bedeutung. Für die beiden ukrainischen Spezialisten ging es darum, auf feindlichem Terrain nicht entdeckt zu werden. Hätte jemand Alarm ausgelöst, wären sie gefangen genommen oder getötet worden. "Deshalb ist es so wichtig, die Aufgabe so unauffällig wie möglich zu erledigen, ohne Zeichen, Signale, Kommunikation oder thermische Signaturen, ohne das Überraschungsmoment zu verlieren", sagt Alex.

Doch sie konnten ihren Auftrag erfüllen, einen Sprengsatz mit Fernzünder an dem Flugabwehrsystem installieren und unentdeckt wieder verschwinden: "Wir sahen, wie das Fahrzeug in die Luft flog und auch die Munition, die sich darin befand. In dem Fahrzeug befand sich eine Besatzung, die eine Schicht transportierte, die Truppen in ihre Stellungen bringen sollte. Wir haben wahrscheinlich acht bis zehn Russen getötet".

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Die Russen waren fassungslos. So weit von der Frontlinie entfernt konnten sie sich nicht vorstellen, dass sie von ukrainischen Truppen angegriffen wurden. "Wir hörten ihre Funksprüche ab. Sie schrien und gaben sich gegenseitig die Schuld daran, dass die neue Rotation keine Karten mit ihren Minen oder ihren Positionen erhalten hatte. Sie dachten, sie hätten ihre eigene Mine getroffen", erzählt Alex.

"Der härteste Schlag, den du dir vorstellen kannst"

Dass die ukrainischen Kampftaucher ihre Einsätze häufig erfolgreich abschließen, liegt auch an ihrer harten Ausbildung. Die orientiert sich an den gleichen Programmen, wie es auch die amerikanischen Navy Seals absolvieren müssen. Es sind ultraharte Trainings, sogenannte "Q-Kurse", die darauf abzielen, die widerstandsfähigsten Bewerber auszusieben. Die angehenden Marines müssen dabei extreme körperliche Anstrengung, Schlafmangel und Hunger überstehen. Wer aufgibt, fliegt raus.

Auch eine Frau zählt zur ukrainischen Kampftauchereinheit. Sie war eine der ersten in der ukrainischen Armee, die den berüchtigten "Q-Kurs" bestand. Dann schloss sie sich den Tauchern an, stieg dort schnell auf und ist inzwischen Kommandantin einer Einheit. Seitdem hat sie an einigen der heftigsten Gefechte des Krieges teilgenommen, darunter die Gegenoffensive in Saporischschja. Bei ihrem letzten Einsatz befehligte sie ein Team, das eine russische Schnelleingreiftruppe auf der Kinburn-Halbinsel in einen Hinterhalt lockte.

Sie ist stolz auf ihre Arbeit, aber sie weiß auch, dass der Tod immer mitschwimmt. "Wir kämpfen jetzt seit zweieinhalb Jahren zusammen", sagte sie der "Times". "Wir leben zusammen, wir essen zusammen, wir schlafen zusammen. Die Einheit ist zur Ersatzfamilie geworden. Wenn wir jemanden verlieren, ist das der härteste Schlag, den du dir vorstellen kannst".

Erst im Februar 2024 geriet eine amphibische Spezialeinheit der ukrainischen Marine bei dem Versuch, in kleinen Schnellbooten auf der Tendra-Nehrung zu landen, in einen Hinterhalt. Russische Truppen töteten mehrere der Kampftaucher und nahmen einen von ihnen gefangen.

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