Vorwürfe nach jüngsten Luftangriffen Putins perfide Taktik
Wenn russische Raketen in der Ukraine einschlagen, sind auch Rettungskräfte in Gefahr. Sie sind offenbar bewusst Ziel von Putins Armee.
Außenministerin Annalena Baerbock hat dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgeworfen, Rettungskräfte angegriffen zu haben. Diese waren am Dienstag zum Ort eines russischen Raketenangriffs in Poltawa gerufen worden. "Während Putin in Ulan Bator ist, schlugen zwei russische Raketen in Poltawa ein. Die Zweite, als Helfende bereits die Verletzten versorgten. Mehr als 45 Menschen sind tot, über 200 verletzt. Putin kennt keine Grenze der Brutalität. Er gehört zur Rechenschaft gezogen", schrieb sie auf der Plattform X.
Dass russische Geschosse ein Ziel zweimal kurz hintereinander treffen, ist offenbar Teil einer perfiden Taktik, die Putins Armee verfolgt. Auch in Lwiw heulten am Mittwoch die Sirenen, bei russischen Angriffen wurden nach Angaben des Bürgermeisters Andrij Sadowyj mindestens sieben Menschen getötet und 38 Personen verletzt. Hier soll es sich erneut um die auch als "Double-Tap" (Doppelschlag) bezeichnete Taktik gehandelt haben. Dabei wird nach einem Erstschlag abgewartet, bis Helfer sich dem Ort des Geschehens nähern, und dann erneut zugeschlagen, um die Zahl der Opfer noch weiter zu erhöhen.
Video soll brennendes Rettungsfahrzeug zeigen
Auch der ukrainische Militärblogger Igor Sushko verurteilte die russische "Double-Tap"-Strategie in den sozialen Medien. Zudem kritisierte er die ukrainischen Verbündeten scharf: "Der Westen spuckt nur Müll aus, wie 'Wir stehen zur Ukraine'", so Sushko. Dazu teilte er ein Video, das ein brennendes Rettungsfahrzeug nach einem russischen Angriff in Lwiw zeigen soll. Unklar ist, ob es sich bei den Bildern um einen Rettungswagen oder ein Feuerwehrfahrzeug handelt.
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Russland hat solche Doppelschläge schon öfter durchgeführt. Im April vergangenen Jahres wurden drei Rettungskräfte in Charkiw getötet, kurze Zeit später in Saporischschja. Das Muster ist immer gleich: Erst schlägt eine Rakete ein, dann kommen die Retter, dann eine weitere Rakete. In Saporischschja waren es sogar zwei, berichtete die BBC. Vier Menschen starben. Unter den Toten seien auch zwei Journalisten gewesen, die über die russischen Angriffe berichten wollten.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte bereits bei einer russischen Attacke auf Odessa die Doppelschlag-Taktik aufs Schärfste verurteilt und diese im März 2023 als "verachtenswerten Akt der Feigheit" bezeichnet.
UN-Büro zeigt sich besorgt
Oleh Synehubov, der Gouverneur der Region Charkiw, erklärte im April ukrainischen Medien, Russland habe damit begonnen, seine Ziele "Tag und Nacht" wiederholt anzugreifen: "Die Besatzer wenden die Taktik des doppelten Schlages an, um zivile Retter und andere Helfer zu treffen, die als erste am Ort des Geschehens eintreffen", sagte er.
Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten erklärte laut BBC, es hätte ein "besonders beunruhigendes Muster" von Doppelschlägen festgestellt. Es bezeichnete sie als "grausam" und "skrupellos" und drängte darauf, sie zu beenden.
"Leider wird die Taktik der doppelten Schläge in letzter Zeit immer häufiger angewandt. Das ist schwer zu begreifen. Die Russen haben kein Recht, so etwas zu tun", sagte der Sprecher der ukrainischen Rettungskräfte, Oleksandr Khorunshyj, der BBC: "Sie wissen genau, was sie tun, und zwar nicht nur gegenüber Rettungskräften, Polizisten, Versorgungsarbeitern oder Sanitätern. Dies betrifft ganz normale Zivilisten", sagte Khorunshyj.
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Besonders brutal erscheint die russische Taktik auch deshalb, weil das Erstziel in vielen Fällen nicht militärisch ist. Selenskyj schrieb nach massiven Angriffen auf die Stadt Charkiw: "Russland hat heute erneut einen brutalen Angriff auf Charkiw verübt. Bis jetzt gibt es fast fünfzig Verletzte. Rettungskräfte räumen weiterhin die Trümmer, wobei Berichte über darunter eingeschlossene Menschen vorliegen. Gewöhnliche zivile Ziele – Einkaufszentrum, Sportpalast, Stadtgebiete."
Die Helfer sind den Raketen oft schutzlos ausgeliefert, auch weil die ukrainischen Luftabwehrsysteme an ihre Grenzen gekommen sind. Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Ukraine weitere Flugabwehrsysteme vom Typ IRIS-T zugesagt. Acht Systeme IRIS-T SLM und neun Systeme IRIS-T SLS seien verbindlich für die Ukraine bestellt, sagte Scholz am Mittwoch am Bundeswehrstandort Todendorf in Schleswig-Holstein.
Die Bundesregierung hat bereits vier Waffensysteme vom Typ Iris-T SLM und drei verwandte Iris-T SLS der Firma Diehl Defence an die Ukraine geliefert. Dort haben sie sich bei der Abwehr von russischen Angriffen bewährt. Scholz sagte, es seien 250 russische Marschflugkörper, Drohnen und Raketen damit abgeschossen und so zahlreichen Menschenleben gerettet worden. Die Trefferquote liege bei 95 Prozent.
- bbc.com: "Ukraine war: Russian double-tap strikes hit civilians then rescuers too" (englisch)
- x.com: Tweets von Annalena Baerbock, Wolodymyr Selenskyj und Igor Sushko
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa