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"Deutschland erlebt einen Schock": Ukrainische Gegenoffensive


Gegenoffensive der Ukraine
"Deutschland erlebt einen Schock"


Aktualisiert am 20.06.2023Lesedauer: 5 Min.
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Blahodatne: Ein ukrainischer Soldat der 68. Oleksa-Dovbush-Jagdbrigade patrouilliert auf einer Straße in dem kürzlich zurückeroberten Dorf.Vergrößern des Bildes
Blahodatne: Ein ukrainischer Soldat der 68. Oleksa-Dovbush-Jagdbrigade patrouilliert auf einer Straße in dem kürzlich zurückeroberten Dorf. (Quelle: Evgeniy Maloletka/dpa)

Die Ukraine konnte bei ihrer Offensive bisher nur geringe Geländegewinne erzielen, ein Durchbruch gelang nicht. Doch das war erst der Beginn der Gegenoffensive, von einem Scheitern spricht nur Putins Propaganda.

In der Ukraine toben erneut bittere Kämpfe, schreckliche Videos von der Front erreichen dieser Tage Millionen Menschen in den sozialen Netzwerken. Allem Anschein nach sind ukrainische Spezialkräfte mit Helmkameras ausgestattet, wenn sie im Nahkampf russische Soldaten in Schützengräben bekämpfen und töten. Das russische Verteidigungsministerium zeigt derweil Bilder von Luftangriffen und brennenden Panzern.

Niemand kann wirklich sagen, wie authentisch all diese Aufnahmen sind. Sie gehören zum Informationskrieg – die tatsächlichen Geschehnisse versinken oft im Nebel des Krieges.

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Fakt ist jedoch, da sind sich Militärexperten einig: Die Verluste im Zuge der ukrainischen Gegenoffensive sind aktuell auf beiden Seiten hoch. Die Welt erlebt ein weiteres blutiges Kapitel des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Es wächst die Anspannung auf beiden Seiten. Kiew und Moskau stehen extrem unter Druck.

Kleine Erfolge, kein Durchbruch

Einer, der das Geschehen eng verfolgt, ist Christian Mölling. Im Gespräch mit t-online sagt der Sicherheitsexperte von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik: "Deutschland erlebt aktuell einen Schock. Es gibt einen Hype um diese Gegenoffensive, der auch mit Mutlosigkeit einhergeht. Wir gehen teilweise davon aus, dass sie ohnehin scheitern wird."

Dabei wäre klar gewesen, dass es nicht so einfach für die Ukraine werden würde wie noch im Spätsommer 2022. Mölling weiter: "Doch es gibt keinen Grund für Panik. Es ist gut, dass die Ukraine nicht blind auf russische Stellungen losstürmt."

Die ukrainische Armee hat in dem gesamten Krieg einen zentralen Vorteil: Sie kämpft um die Befreiung ihres Landes und die Kampfmoral ihrer Soldaten scheint um ein Vielfaches höher als die der russischen Truppen, die Wladimir Putin mit seiner Mobilmachung an die Front gezwungen hat. Das sollen Verhöre von Kriegsgefangenen belegen und immer wieder gibt es Videos von der Front, die offenbar zeigen, dass russische Sperrtrupps auf die eigenen Soldaten schießen, die fliehen.

Trotzdem steht auch die Ukraine unter Druck. Die ukrainische Führung möchte beweisen, dass sie mit westlichen Waffen militärische Erfolge erzielen kann, um weitere Unterstützung zu erhalten. Deswegen ist jedes befreite Dorf, jede gehisste ukrainische Flagge über einem halb-zerstörtem Haus ein kleiner, wichtiger Erfolg.

So hat die ukrainische Armee hat nach Angaben aus Kiew an einem stark abgesicherten Frontabschnitt im Süden des Landes mittlerweile acht Ortschaften zurückerobert. Die Soldaten seien in der Gegend zudem bis zu sieben Kilometer auf russisch besetztes Gebiet vorgestoßen, teilte die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar am Montag mit.

Dabei hätten sie 113 Quadratkilometer Land unter ihre Kontrolle gebracht. Als achter Ort sei Pjatychatky eingenommen worden. Die Siedlung gilt als bedeutsam, da sie nur etwa 90 Kilometer von dem von Russland besetzten Küstenstreifen am Asowschen Meer entfernt liegt.

Ein Blick auf die Frontverläufe zeigt aber vor allem, dass es der Ukraine bisher nicht gelungen ist, russische Verteidigungslinien zu durchstoßen. Der Weg für die ukrainische Armee bis ans Asowsche Meer – dem Ziel der Gegenoffensive, um die russische Landbrücke zur Schwarzmeerhalbinsel Krim zu unterbrechen – ist noch weit und die Hindernisse auf diesem Weg sind groß.

"Nicht von der Berliner Sommerterrasse ukrainische Taktik beurteilen"

Dennoch befindet sich die ukrainische Gegenoffensive scheinbar bisher noch in der ersten Phase. "Wir sind noch immer in der Spätphase des ersten Kapitels dieser Gegenoffensive, in der sich die Ukraine nun etwas anpassen muss", erklärt Mölling. "Sie steht vor tief gestaffelten Verteidigungsstellungen mit Panzersperren und Minenfeldern." Es sei ein Austesten der Front: Wo sind Minenfelder? Wie besetzt sind die russischen Schützengräben? Die Ukraine hat den Großteil ihrer Kräfte bei der Gegenoffensive allerdings noch nicht eingesetzt.

Video | Das bemängeln die Ukrainer an dem deutschen Kriegsgerät
Die deutsche Panzerhaubitze 2000 im Einsatz an der Front in der Ukraine.
Quelle: Glomex

Deshalb sei es noch zu früh, um eine erste Bilanz zu ziehen, so Mölling. Und auch andere Experten sind bei der Bewertung noch zögerlich: Im ARD-Magazin "Bericht aus Berlin" etwa sagte der Brigadegeneral Christian Freuding, der das Ukraine-Lagezentrum leitet: "Wir müssen ein bisschen vorsichtig sein, damit wir nicht anmaßend werden, dass wir von der Berliner Sommerterrasse aus die ukrainische Taktik beurteilen."

Die Ukrainer zahlten in diesem Krieg seit über 400 Tagen einen hohen Preis. "Und ich glaube, wir haben weder die Sicht darauf, noch auch das Recht darauf, das ukrainische Vorgehen der Truppenteile in der Art und Weise zu beurteilen, ob es gut, schlecht, zweckmäßig oder unzweckmäßig war." Nach Angaben Freudings geht die Ukraine sehr restriktiv mit Informationen zur Lage um. "Wir nennen das militärisch 'operational security'. Das ist natürlich auch nachvollziehbar, weil daraus sonst der Feind Schlüsse ziehen könnte."

Er wolle sich dem Urteil aber nicht anschließen, dass das Vorgehen der Ukraine nicht so gut laufe, sagte Freuding. Es gebe ein Wiedergewinnen der Initiative durch die ukrainischen Streitkräfte und erste Angriffserfolge. "Wir haben aber auch gesehen, dass die Verteidigungsstellungen der russischen Streitkräfte sehr stark vorbereitet wurden." Derzeit konsolidierten sich die ukrainischen Kräfte, um zu schauen, wo und womit sie Erfolg hatten.

Russland nutzt Dammbruch in Cherson

Dazu schreibt die US-Denkfabrik Institute for the Study of War in einer Analyse: "Die ukrainischen Streitkräfte unterbrechen möglicherweise vorübergehend ihre Gegenoffensive, um ihre Taktik für künftige Operationen neu zu überdenken." Das zumindest könnte ein Indiz dafür sein, dass die bisherige Taktik nicht funktioniert hat.

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Das ist aber für Experten keine Überraschung. Russland hatte viele Monate Zeit, um sich auf die Gegenoffensive vorzubereiten, der Westen hat lange mit Panzerlieferungen gezögert. Der Preis für die Ukraine ist klar: Es wird nicht mehr so schnell zu einem Durchbruch kommen wie im Spätsommer 2022. Stattdessen könnten die ukrainischen Angriffsaktivitäten viele Wochen andauern.

Russland dagegen verlegt nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine nach Erkenntnissen britischer Geheimdienste große Truppenkontingente an andere Frontabschnitte. "Die Umgruppierung der Heeresgruppe Dnipro spiegelt wahrscheinlich die russische Auffassung wider, dass ein größerer ukrainischer Angriff über den (Fluss) Dnipro nach dem Einsturz des Kachowka-Staudamms und den daraus resultierenden Überschwemmungen jetzt weniger wahrscheinlich ist", teilte das Verteidigungsministerium in London am Montag mit. Vermutet wird, dass der Damm von Russland zerstört wurde. Vielleicht, um eigene Truppen verlegen zu können.

Putin schürt Ängste

Aber ob die russischen Kräfte ausreichen werden, um alle Frontabschnitte zu halten, ist noch unklar. Neben den ausgebauten Verteidigungslinien und der Artillerie-Feuerkraft profitiert Russland an der Front aktuell von seiner Luftüberlegenheit. "Es ist kein Geheimnis, dass die Ukraine Schwierigkeiten gehabt hat, weil sie nicht ausreichend Flugabwehr mit sich führt", sagt Mölling. Der Westen versprach der Ukraine mehr Unterstützung, mit Boden-Luft-Raketen.

Vielleicht reagierte Putin auch deshalb äußerst empfindlich auf die mögliche Lieferung von F-16-Kampfjets an die Ukraine. "Wenn sie sich auf Luftwaffenstützpunkten außerhalb der Ukraine befinden und bei Kampfeinsätzen eingesetzt werden, müssen wir uns überlegen, wie und wo wir die Waffen treffen können, die bei Feindseligkeiten gegen uns eingesetzt werden", zitierte ihn die russische Nachrichtenagentur Ria Novosti. "Das ist eine ernsthafte Gefahr für die Nato, weiter in einen bewaffneten Konflikt hineingezogen zu werden."

Es ist eine bewährte Strategie des Kreml-Chefs: Putin schürt Ängste im Westen, damit die Nato bei der Unterstützung der Ukraine zögert. Ob sich das geschwächte Russland aber aufgrund von Kampfjetlieferungen in einen Krieg mit der Nato werfen würde, ist denkbar unwahrscheinlich, meinen Experten. Wahrscheinlicher ist, dass Putin Zeit gewinnen möchte, bevor die Kampfjets eintreffen. Bislang hat sich diese Verzögerungstaktik auch bei den Panzerlieferungen bewährt.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Christian Mölling
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, rtr, afp
  • kyivindependent.com: Where does Russia expect Ukraine’s counterattack? (engl.)
  • understandingwar.org: Russian Offensive Campaign Assessment, June 18, 2023 (engl.)
  • csis.org: Russia’s Ill-Fated Invasion of Ukraine: Lessons in Modern Warfare (engl.)
  • n-tv.de: Video soll brutales Vorgehen russischer Sperrtrupps zeigen
  • Eigene Recherche
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