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Ukraine-Krieg I Massive Raketenangriffe: Geht der Flugabwehr die Puste aus?


Massive Raketenangriffe
Geht der ukrainischen Flugabwehr die Puste aus?

Von t-online, lib

Aktualisiert am 09.03.2023Lesedauer: 5 Min.
Ukraine-Krieg: Das Land hat heftige Angriffe mit Raketen gemeldet. (Quelle: Glomex)
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81 Raketen hat Russland in der Nacht auf Donnerstag abgefeuert, 34 davon konnte die Ukraine abwehren. Wie ist es um die Flugabwehr des Landes bestellt?

Es war einer der schwersten Raketenangriffe auf die Ukraine in den vergangenen Wochen: Am frühen Donnerstagmorgen schlugen in mehreren Regionen im ganzen Land russische Raketen ein. Von einer "schweren Nacht" sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj; von einem "barbarischen, massiven Angriff" der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko.

Was genau ist passiert? Wie ist es um die Flugabwehr der Ukraine bestellt? Wird der Munitionsmangel zum Problem? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Was ist passiert?

In der Nacht hat Russland die Ukraine landesweit mit Raketen- und Drohnenangriffen überzogen. Mindestens neun Menschen sind tot, weitere verletzt, so die Angaben aus der Ukraine.

Wie bereits bei vorherigen Angriffswellen waren auch dieses Mal offenbar ukrainische Energieanlagen im Visier: In mehreren Gebieten im ganzen Land fiel der Strom aus, drei Elektrizitätswerke wurden beschädigt, so die Ukraine. Zwischenzeitlich war die externe Stromversorgung des von russischen Truppen besetzten Atomkraftwerks Saporischschja unterbrochen – diese wurde im Laufe des Donnerstags wiederhergestellt.

81 Raketen hat Russland in der Nacht abgefeuert, so die Angaben des ukrainischen Militärs, darunter sechs als "Kinschals" bekannte Hyperschallraketen. Zusätzlich habe Russland acht "Shahed"-Drohnen gestartet. Hier lesen Sie mehr zu den Drohnen aus dem Iran. 34 der Raketen und vier der Drohnen seien abgefangen worden, teilte das Militär mit.

Welche Flugabwehr hat die Ukraine?

Seit dem vergangenen Herbst hat Russland das Nachbarland immer wieder mit Raketen und Drohnen attackiert, offenbar mit dem Ziel, die ukrainische Bevölkerung in Kälte und Dunkelheit zu stürzen und kriegsmüde zu machen. Doch die ukrainische Flugabwehr ist seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 immer mächtiger geworden – und kann dadurch die russischen Raketen immer besser abwehren.

Denn neben der ukrainischen Luftverteidigung aus alten S300- und Buk-Systemen kommen aus dem Westen gelieferte Systeme zum Einsatz: So sind etwa 32 Gepard-Flugabwehrpanzer aus Deutschland in der Ukraine im Einsatz. Fünf weitere, die eigentlich verschrottet werden sollten, werden derzeit instandgesetzt und folgen in den kommenden Monaten. Der Flugabwehrpanzer Gepard kann mit seinen beiden 35-Millimeter-Maschinenkanonen Luftziele wie Flugzeuge, Hubschrauber, Drohnen oder Raketen in bis zu sechs Kilometern Entfernung bekämpfen.

Auch ein hochmodernes Iris-T-Luftverteidigungssystem wurde von Deutschland in die Ukraine geschickt. Dieses vom Rüstungskonzern Diehl Defence entwickelte System besteht aus einem Radar, Abschussvorrichtungen und Raketen und dient dem Schutz von Gebäuden vor Angriffen aus der Luft. Drei weitere sollen noch folgen.

In Kürze sollen außerdem Patriot-Systeme aus den USA und aus Deutschland in die Ukraine kommen. Berichten zufolge werden ukrainische Soldaten im oberpfälzischen Grafenwöhr an dem System ausgebildet. Mit dem "Phased Array Tracking Radar to Intercept on Target" werden Flugzeuge, ballistische Raketen und Marschflugkörper bekämpft. Das System kann bis zu 50 Ziele im Blick behalten und fünf Ziele gleichzeitig bekämpfen. Seine Reichweite liegt bei etwa 68 Kilometern.

Geht der ukrainischen Flugabwehr die Puste aus?

Am Donnerstag wurde die Mehrzahl der von Russland abgefeuerten Raketen – 47 Stück – nicht von der ukrainischen Flugabwehr abgefangen. Das ist ein weitaus niedrigeres Verhältnis von Treffern zu abgefeuerten Flugabwehrraketen, als bei vielen Angriffen in den vergangenen Monaten erzielt wurde. Noch im Dezember hieß es beispielsweise aus Kiew laut der "Financial Times", dass das Land rund 87 Prozent der russischen Raketenangriffe abwehre. Jetzt waren es offenbar nur 42 Prozent. Geht der ukrainischen Flugabwehr die Puste aus?

Dem widerspricht der Waffenexperte Lars Winkelsdorf im Gespräch mit t-online. "Flugabwehr ist nie eine Garantie dafür, dass keine Raketen durchkommen", so der Experte. Bei jedem Raketenangriff komme es auf eine Vielzahl von Faktoren an: "Wann werden die angreifenden Raketen festgestellt? Wie schnell sind sie? Welchen Kurs haben sie?", erläutert Winkelsdorf.

Lars Winkelsdorf, Journalist
Lars Winkelsdorf, Journalist

Lars Winkelsdorf

ist freier Journalist und Waffenexperte.

In Kiew beispielsweise habe das Flugabwehrsystem Iris-T "wunderbar funktioniert", so der Waffenexperte. In der ukrainischen Hauptstadt war am Donnerstagmorgen lediglich eine Rakete eingeschlagen. Auch Bürgermeister Klitschko sagte der "Bild"-Zeitung: "Dank deutscher Iris-T-Raketenabwehr konnten in Kiew alle Angriffe bis auf einen abgewehrt werden, durch den kritische Infrastruktur beschädigt wurde."

Greifen viele Raketen zeitgleich an, könne es vorkommen, dass die Flugabwehr "zumindest teilweise überfordert" sei, so Winkelsdorf. Das scheint am Donnerstag zumindest das russische Kalkül gewesen zu sein: "Ein typisches Merkmal dieses Angriffs war, dass der Feind ihn in Wellen verteilte und versuchte, das Luftabwehrsystem abzulenken", sagte Natalia Humeniuk, eine Sprecherin des Militärkommandos der Ukraine im Süden, im ukrainischen Fernsehen.

Um die zunehmend effektive Flugabwehr der Ukraine zu überwältigen, habe Russland Angriffe mit den modernsten Raketen im Arsenal mit Salven billigerer Raketen und Drohnen kombiniert, schreibt die "New York Times".

Wird ein Munitionsmangel die ukrainische Flugabwehr schwächen?

Die effektiven Systeme zur Luftabwehr nutzen nichts, wenn es dafür keine entsprechende Munition gibt. Die Warnungen vor einem solchen Szenario waren in den vergangenen Wochen häufiger zu hören. "Wenn Hunderte von Raketen auf uns abgefeuert werden, schlagen wir 70 bis 80 Prozent nieder. Gehen unsere eigenen Bestände dann zur Neige oder nicht? Natürlich tun sie das", sagte ein Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, Yuriy Ignat, im Dezember. So zitierte ihn damals die "Financial Times".

Bereits Ende November hat der britische Think-Tank "Royal United Services Institute" der "Financial Times" zufolge eine Warnung ausgesprochen: Wenn den ukrainischen Boden-Luft-Systemen die Munition ausgehe, könnte dies den Himmel für schwere russische Bomber öffnen, die in mittleren und großen Höhen operieren, hieß es – mit verheerenden Folgen. Der Westen müsse seine "Selbstgefälligkeit überwinden" und die Notwendigkeit erkennen, dass die ukrainischen Luftverteidigungskapazitäten aufgestockt werden müssten.

Besonders zuspitzen könnte sich diese Situation mit Blick auf die Gepard-Panzer: Die Schweiz, die noch über Munitionsbestände für den von der Bundeswehr schon vor Jahren ausgemusterten Panzer verfügt, lehnt eine Lieferung mit Hinweis auf ihren neutralen Status ab. Hier lesen Sie mehr dazu. Im Februar hat der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius angekündigt, dass die Munition für den Gepard künftig wieder in Deutschland produziert werden solle – und hat 300.000 Schuss Munition angekündigt. Diese sollen laut dem Rüstungskonzern Rheinmetall ab dem Sommer geliefert werden.

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Mit Blick auf die Lieferung von Munition insgesamt sprach Pistorius davon, dass die Bundeswehr selbst "Engpässe bewältigen" müsse. Deutschland gebe an die Ukraine "fast alles ab, was wir haben", sagte er im Deutschlandfunk.

Dass die Europäer sowie die Verbündeten und Unterstützer der Ukraine diese absehbare Situation zugelassen haben, sei ein "absolutes Schwerversagen", sagte allerdings der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen am Donnerstag im Deutschlandfunk. "Das war abzusehen und man hat nicht reagiert." Es gehe jetzt darum, die Munitionsknappheit durch Aufbringung aller Vorräte versuchen zu überbrücken.

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