Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hitzige UN-Sitzung Nach Russlands Redebeitrag wird es um Baerbock turbulent
In einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats sorgt Russlands Vertreter für Ärger. Am Ende schleuderte ihm Baerbock die brutale Realität des Krieges entgegen.
Das Erste, was Annalena Baerbock in der Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates vernimmt, ist eine Warnung des russischen Vertreters Wassili Nebensja. Er richtet sie an den Vorsitzenden der Sitzung, Maltas Außenminister Ian Borg. "Ich warne Sie", sagt Nebensja und beschwert sich über die Rednerliste. Man werde verhindern, dass je ein weiterer europäischer Staat zum ständigen Mitglied des höchsten Gremiums der Vereinten Nationen werden könne. "Denn die westlichen Staaten instrumentalisieren dieses Gremium zu ihren Zwecken." Nebensja weiß, dass Deutschland sich schon lange um einen ständigen Sitz bemüht.
Was dem Russen nicht passt: Am Jahrestag von Putins Überfall auf die Ukraine darf deren Außenminister Dmytro Kuleba in einer Gastrolle als Erster sprechen. Nebensja ergeht sich in Formalitäten. Diese Institution habe Regeln und die seien älter als der erst 36-jährige Außenminister Maltas. Trotzdem lässt Ian Borg den ukrainischen Kollegen als Ersten sprechen: "Die Ukraine wird gewinnen. Putin wird viel früher verlieren, als er denkt", sagt Kuleba. Er ist nicht alleine. Vor einem Tag haben 141 Nationen den russischen Angriffskrieg verurteilt und Putin zum Rückzug seiner Truppen aufgefordert. Russland ist isoliert.
Schweigeminute für Kriegsopfer unterbrochen
Dann kommt es zu einer weiteren Konfrontation: Dmytro Kuleba ruft zu einer Schweigeminute zum Gedenken an die "Opfer der Aggression" auf. Der Saal ist voll mit Diplomaten aus der ganzen Welt. Alle erheben sich. Auch Annalena Baerbock, die hier später sprechen wird. Doch der russische UN-Botschafter Nebensja interveniert schon wieder. Er findet, es müsse "aller Opfer" gedacht werden. Und zwar von allem, was "seit 2014 in der Ukraine passiert ist". Aus dem Gedenken wird Politisierung.
Während Nebensja spricht, setzen sich alle hin. Eine Pause entsteht. Es scheint, dass niemand genau weiß, ob man jetzt noch mal aufstehen solle. Dann erheben sich einige zögerlich von ihren Plätzen, auch Kuleba. Am Ende stehen dann doch alle und halten eine Gedenkminute. Wieder hat Nebensja einen Punkt für seine Propaganda gemacht. Sie verschleiert, dass keine Opfer zu beklagen wären, hätte Putin den Befehl zum Angriff nicht gegeben.
Schließlich spricht Nebensja die deutsche und die französische Außenministerin an. "Ich möchte die Chance nutzen, weil Frau Colanna und Frau Baerbock anwesend sind", sagt er. Die Behauptungen seiner westlichen Kolleginnen seien falsch, wenn sie sagen würden, die Ukraine würde aufhören zu existieren, wenn sie aufhören würden mit ihrer Unterstützung. "Die Zerstörung der Ukraine war nie unser militärisches Ziel", so Nebensja. Es sei immer nur darum gegangen, dafür zu sorgen, dass der Nachbar friedlich sei und kein Naziregime errichte.
Baerbock kontert Nebensjas Provokation
Es ist der Moment, in dem das diplomatische Team um die Außenministerin unruhig wird. Annalena Baerbock will auf diese Provokation reagieren. Ihre vorbereitete Rede muss eilig umgeschrieben und ergänzt werden. Die Runde ist hochrangig besetzt. US-Außenminister Antony Blinken ist anwesend, die Chefdiplomaten aller europäischen Länder und auch Japans Außenminister sind da.
Als Baerbock schließlich an den runden Tisch der Sitzungsmitglieder gebeten wird, sind Wassili Nebensja und seine ganze Delegation verschwunden. Nur ein russischer Vertreter sitzt noch am Tisch und hört ihr aufmerksam zu. "Vor einem Jahr hat der Präsident gesagt, dass er die Ukraine entmilitarisieren würde", reagiert Baerbock auf Nebensjas Provokation.
"Dann sahen wir 365 Nächte und Tage lang, was das bedeutete. Und dass Ihre Panzer kein Wasser brachten. Und Ihre Flugzeuge haben keine Babynahrung abgeworfen. Ihre Panzer und Flugzeuge brachten Tag und Nacht nur Zerstörung und Tod von Tausenden von Müttern und Vätern und Kindern", sagt Baerbock.
"Wir können nicht tatenlos zusehen"
Kritik an westlichen Waffenlieferungen wies sie zurück. "Wir können nicht tatenlos zusehen", sagt Baerbock. "Wo würde die Ukraine, die freiwillig ihre Atomwaffen aufgegeben hat, weil sie an Frieden glaubte, heute stehen, wenn wir nicht ihr Recht auf Selbstverteidigung verteidigt hätten?", fragt die Ministerin ganz besonders in Richtung China. Denn Pekinger Vertreter erzählen seit Tagen, der Westen würde mit seinen Waffen "Öl ins Feuer" gießen.
"Können wir uns vorstellen, was es bedeuten würde, mehr Butschas, Charkiws, Mariupols, mehr Bachmuts, mehr Gräueltaten gegen Zivilisten?", fragt Baerbock weiter. Für so eine Welt wolle sie nicht verantwortlich sein.
Die historische Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats fand zum ersten Jahrestag des russischen Einmarschs in die Ukraine statt. Hochrangige Politiker fanden sich dazu am Freitag in New York ein.
- Eigene Recherchen und Beobachtungen vor Ort