Bericht zu Gaslecks Russland soll Sprengkörper schon vor Wochen platziert haben
Die Gaslecks in den Nord-Stream-Pipelines sollen durch Sabotage entstanden sein. Laut Medienberichten könnten Sprengkörper von U-Booten gelegt worden sein.
Im Westen wächst die Überzeugung, dass die Lecks an den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 auf einen Sabotageakt zurückzuführen sind. Alles deute auf eine vorsätzliche Handlung hin, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Mittwoch im Namen der 27 Mitgliedstaaten. Zugleich drohte die EU den Verantwortlichen mit Sanktionen. Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von Sabotage. Mit Schuldzuweisungen hielten sich westliche Politiker jedoch zurück. Russland wies jede Verantwortung von sich.
Aber wer könnte die Gaspipelines sabotiert haben? Während Russland eine Verantwortung bestreitet, fällt im Westen zunehmend der Verdacht auf den Kreml.
Die "Bild"-Zeitung schreibt unter Berufung auf einen Experten, dass die Pipelines zu den sichersten Transportmitteln für Gase und Flüssigkeiten überhaupt gehörten. Die Rohre seien durch Stahl und Zement gesichert. Um ein Leck zu verursachen, seien enorm hohe Punktkräfte erforderlich, zitiert die Zeitung den Brand- und Explosionsschutz- sowie Rohrleitungsexperten beim TÜV-Verband, Hermann Dinkler.
In der Wassertiefe, in der die Rohre der Pipeline verlegt sind, gebe es nichts, "das solche punktförmig wirkenden Kräfte auslösen könnte", sagt Dinkler. "Daher kommt nur gezielte Sabotage infrage", insbesondere bei mehreren nahezu gleichzeitig auftretenden Lecks.
Sprengsatz kam wahrscheinlich zum Einsatz
Die britische "Times" berichtet unter Berufung auf Regierungsquellen, dass ein Sabotageakt "wahrscheinlich vorsätzlich und geplant" mit einem Sprengsatz durchgeführt wurde, der Wochen vor seiner Detonation ins Meer geworfen wurde. Es wird angenommen, dass Russland heimlich ein autonomes Unterwasserfahrzeug zu den Pipelines schickte. Die Quelle vermutet, das Unterwasserfahrzeug hätte sogar vor Monaten von einem kleinen Schiff wie einem Fischerboot aus gestartet werden können und hätte Sprengkörper neben der Pipeline ablegen können.
"Sie könnten monatelang dort sitzen und darauf warten, dass ihnen gesagt wird, dass sie explodieren sollen", zitiert die "Times". Das Gerät könne möglicherweise durch Verwendung einer Geräuschquelle einer bestimmten Frequenz aktiviert worden sein, die zu einem von Russland gewählten Zeitpunkt ins Wasser geworfen werden könnte.
Zeitung: Geheimdienst leitete Unterwasseroperation
Laut Informationen der "Bild" verdächtigt die Bundesregierung den russischen Militärgeheimdienst GRU – genauer dessen 561. Marinebrigade. Dabei soll es sich um eine Unterwasser-Sabotageeinheit handeln, die auf derartige Einsätze in großer Meerestiefe spezialisiert und die in der russischen Exklave Kaliningrad stationiert sein soll – direkt an der Ostseeküste. Belege für eine Verwicklung des GRU nennt "Bild" nicht.
Nach Informationen der Zeitung gehen deutsche Sicherheitsbehörden davon aus, dass in den Pipelines schon beim Bau Sprengsätze integriert worden sind, quasi als "Abschaltvorrichtungen für den Ernstfall".
Ein beispielloser "Riesenriss"
In der Nacht zum Montag war zunächst in einer der beiden Röhren der nicht genutzten Pipeline Nord Stream 2 ein starker Druckabfall festgestellt worden. Später meldete der Nord-Stream-1-Betreiber einen Druckabfall auch in diesen beiden Röhren. Dänische Behörden entdeckten schließlich insgesamt drei Lecks an den beiden Pipelines. Mehrere Länder brachten bereits am Dienstag einen Anschlag auf die europäische Gasinfrastruktur als Ursache für die als beispiellos geltenden Schäden ins Spiel.
Ein Sprecher der Nord Stream 2 AG sprach am Mittwoch von einem möglichen "Riesenriss". Es sei "beispiellos", dass innerhalb kurzer Zeit derartige Schäden an mehreren Leitungen eingetreten seien.
EU-Chefdiplomat Borrell betonte, man sei über die Schäden sehr besorgt. "Diese Vorfälle sind kein Zufall und gehen uns alle an", erklärte der Spanier. "Alle verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass diese Lecks das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung sind."
Man werde jede Untersuchung unterstützen, die Klarheit schaffen solle. Zugleich machte er deutlich, dass jede vorsätzliche Störung der europäischen Energieinfrastruktur inakzeptabel sei und "mit einer robusten und gemeinsamen Reaktion beantwortet" werde. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen äußerte sich ähnlich.
Kreml bestreitet Anschuldigungen: "Dumm und absurd"
Ein Sprecher der Bundesregierung sagte am Mittwoch, dass es "keine natürliche Ursache für diesen Vorfall geben kann". Auf die Frage, ob es sich um einen Anschlag handele, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit: "Ich würde das im Augenblick gar nicht beschreiben."
Die Ukraine hatte bereits am Dienstag Russland für die Lecks verantwortlich gemacht. So solle die Energiekrise in Europa verschärft und Panik vor dem Winter ausgelöst werden.
Kremlsprecher Dmitri Peskow wies derlei Schuldzuweisung am Mittwoch zurück. "Es ist ziemlich vorhersehbar und vorhersehbar dumm und absurd, solche Annahmen zu treffen", sagte er nach Angaben der Agentur Interfax. Die Schäden seien auch für Russland ein großes Problem. Beide Stränge von Nord Stream 2 seien mit Gas gefüllt. "Dieses Gas kostet viel Geld, und jetzt entweicht es in die Luft."
Bevor irgendwelche Aussagen gemacht würden, müssten Untersuchungen an den Lecks abgewartet und festgestellt werden, ob es sich um eine Explosion oder nicht gehandelt habe, sagte Peskow. Zudem forderte er, dass Russland an der Aufklärung der Vorfälle beteiligt werden solle. Peskow selbst hatte Sabotage bereits am Dienstag nicht ausgeschlossen.
Russland leitet Terrorismus-Ermittlungen ein
Inzwischen hat Russlands Geheimdienst FSB Ermittlungen wegen "internationalen Terrorismus" eingeleitet. Die russische Generalstaatsanwaltschaft teilte am Mittwoch im Onlinedienst Telegram mit, die Vorermittlungen seien eingeleitet worden, nachdem die Gaspipelines nahe der Insel Bornholm "vorsätzlich" beschädigt worden seien, was "erheblichen wirtschaftlichen Schaden" für Russland verursacht habe.
Einem russischen Medienbericht zufolge könnte etwa ein US-Hubschrauber an den Lecks in den beiden Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 beteiligt sein. "Der Mehrzweck-Helikopter MH-60R Strike Hawk hat neun Stunden lang – von 19.30 Moskauer Zeit am Sonntag dem 25. September bis 4.30 Uhr Moskauer Zeit am Montag dem 26. September über der Ostsee gekreist; etwa 250 Kilometer von der dänischen Insel Bornholm entfernt, wo der Gasaustritt festgestellt wurde", schrieb die Internetzeitung lenta.ru am Mittwoch unter Berufung auf Daten von Flightradar. Der Kampfhubschrauber könne unter anderem auch Unterwasserziele bekämpfen, betonte das als kremlnah geltende Medium.
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Diese Anschuldigung wiesen die USA bereits als "lächerlich" zurück: "Wir alle wissen, dass Russland eine lange Geschichte der Verbreitung von Falschinformationen hat, und es tut es hier jetzt wieder", sagte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, Adrienne Watson, am Mittwoch.
Genaue Schäden unbekannt
Eine Untersuchung der Lecks könnte allerdings auf sich warten lassen. Da so viel Gas in den Leitungen sei, könne es eine oder zwei Wochen dauern, bis ausreichend Ruhe in dem Gebiet eingekehrt sei. Erst dann könne man die Lecks in etwa 80 Metern Tiefe untersuchen, sagte der dänische Verteidigungsminister Morten Bødskov in Brüssel.
Der Betreiber der Pipeline Nord Stream 1 schloss eine Reparatur des beschädigten Doppelstrangs grundsätzlich nicht aus. Es gebe Erfahrungen und Anbieter für solche Arbeiten, sagte ein Sprecher der Nord Stream AG am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur.
Bevor ein Vorgehen festgelegt werden könne, müssten allerdings die Schäden begutachtet werden. Es gebe bisher keine Bilder der eigentlichen Lecks. Man wolle die Schäden so schnell wie möglich inspizieren, das setze aber voraus, dass die Behörden die verhängten Sperrzonen aufhöben.
Auch der Nord Stream 2 AG sind die genauen Schäden an ihrer weitgehend parallel verlaufenden Pipeline nach eigenen Angaben noch unbekannt. Es könne "kein Mensch momentan seriös sagen, wie es da unten aussieht" und welche technischen Möglichkeiten es nun gebe, sagte Sprecher Ulrich Lissek.
Lecks in internationalen Gewässern
Die Lecks befinden sich nach Angaben des dänischen Ministers Bødskov in internationalen Gewässern in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens. Beide Länder hatten nach der Entdeckung Sicherheitszonen für die Schifffahrt errichtet. Schiffe dürfen das Gebiet um die Lecks in einem Radius von fünf Seemeilen (knapp 9,3 Kilometer) nicht passieren.
Nato-Generalsekretär Stoltenberg schrieb am Mittwoch auf Twitter, in einem Gespräch mit Bødskov sei es um "die Sabotage" der Pipelines gegangen. Zudem hätten sie über den Schutz der kritischen Infrastruktur in den Nato-Staaten gesprochen. Auch Borrell erklärte, man werde Schritte unternehmen, um die Energiesicherheit robuster zu machen. Bødskov selbst betonte, dass es sich nicht um kritische Infrastruktur seines Landes handle.
Das Bundesinnenministerium erklärte zur Sicherung der Infrastruktur in Deutschland, die Maßnahmen würden immer an die Lage angepasst, auch vor dem Hintergrund der aktuellen Lage. Eine "abstrakte Gefährdungslage" für die kritische Infrastruktur sei immer anzunehmen, nicht nur nach dem aktuellen Vorfall.
- Nachrichtenagentur dpa
- bild.de: "Die Spur führt zu einer Spezialeinheit Putins"
- bild.de: "Unfall ausgeschlossen! Gezielte Sabotage!"
- thetimes.co.uk: "Russia probably bombed Nord Stream pipeline with underwater drone, says defence source" (englisch)