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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Analyse des TV-Duells Scholz stellt Merz eine Falle – der läuft fast hinein
Das erste TV-Duell von Olaf Scholz und Friedrich Merz wurde mit Spannung erwartet. Wer hat Schwächen gezeigt, wer kann zufrieden sein? Die Analyse.
Das erste TV-Duell im Wahlkampf 2025 beginnt mit einer Lockerungsübung.
Die Moderatorin Sandra Maischberger liest Kanzler Olaf Scholz und CDU-Herausforderer Friedrich Merz zum Start wenig schmeichelhafte Zitate vor, die die Kontrahenten über den jeweils anderen gesagt haben.
So sagte Scholz vor einer Weile über den CDU-Chef: "Fritze Merz erzählt gern Tünkram." Und Merz verspottete den Kanzler als "Leichtgewicht". Was sie von solchen Angriffen halten, will Maischberger wissen.
Anstatt übereinander herzufallen und sich gegenseitig den Respekt abzusprechen, reagieren beide gelassen. Der klassische "Icebreaker" gelingt recht gut: Sowohl Merz als auch Scholz können sich als in sich ruhende Politprofis hinstellen, die fünfe auch mal gerade sein lassen.
Zwei Staatsmänner in Kanzlerpose
Die kleine Episode am Anfang deutet an, was sich die Kandidaten mit Blick auf Stil und Ton vorgenommen hatten: keinen Kampf, keine Schläge unter die Gürtellinie. Stattdessen ist das Duell ein Ringen um die bessere Kanzlerpose.
Beide geben sich sortiert und staatsmännisch. Scholz setzt immer wieder zur Attacke an, bleibt aber über weite Strecken sachlich. Merz wiederum will seinem Kontrahenten keine Gelegenheit geben, ihn aus der Reserve zu locken. Der CDU-Chef weiß, dass Scholz auf Patzer von Merz wartet. Doch in den 90 Minuten Duell liefert Merz solide ab, bietet wenig Angriffsfläche. Nur ganz am Ende stellt ihm Scholz eine Falle – und Merz tritt fast hinein.
Migration – Merz' stärkster Moment
Gleich zu Beginn geht es um Migrationspolitik. Scholz wirft Merz "Wort- und Tabubruch" vor, weil dieser einen Antrag zur Asylpolitik mithilfe der AfD im Bundestag beschlossen hatte. Scholz hat recht, denn Merz hatte einen solchen Schritt zuvor ausgeschlossen.
Doch dem Unionskanzlerkandidaten gelingt es, das umstrittene Abstimmungsverhalten mit der großen Frage zu verschmelzen, was sich in Deutschland nach der schrecklichen Bluttat von Aschaffenburg ändern müsse. Merz wird ernst und emotional – und kann von seinem Manöver mit den AfD-Stimmen ablenken.
Er könne es mit seinem Gewissen nicht mehr vereinbaren, wenn nach einem solchen schweren Vorfall ein Kanzler nur seine eigene Arbeit lobe und ansonsten den Behörden die Verantwortung zuschiebe, den ausreisepflichtigen Täter nicht längst abgeschoben zu haben. Merz spielt auf Scholz' Regierungserklärung im Nachgang des Verbrechens an. "Damit war ich nicht einverstanden", so Merz.
"Herr Scholz bitte, Sie leben nicht in dieser Welt"
Scholz, der angesichts schwacher Umfragewerte der Angreifer sein müsste, gerät hier in die Defensive: Er zählt die eigenen umgesetzten und geplanten Vorhaben auf, verweist auf sinkende Asylzahlen und versucht sich in markigen, aber vagen Sprüchen: "Es hat noch nie schärfere Gesetze gegeben, als die, die ich durchgesetzt habe."
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Jetzt geht Merz zum Angriff über: "Herr Scholz bitte, Sie leben nicht in dieser Welt", eher in einem "Märchenschloss". Ein Wirkungstreffer des CDU-Chefs: Merz kann sich darauf verlassen, dass er die Stimmung der Mehrheit im Land trifft, die eine härtere Gangart in der Migrationspolitik wünscht.
"Es ist was los" in Deutschlands Wirtschaft
Dann geht es um Wirtschaft. Auch hier ist Scholz in der Defensive. Notgedrungen, muss er doch drei Jahre seiner am Ende gescheiterten Ampelregierung verteidigen, die in eine tiefe Rezession mündeten.
Heimvorteil für Merz: Sowohl bei Migration als auch Wirtschaft trauen die Bürger dem CDU-Chef mehr Kompetenz zu, wie gerade eine Umfrage ergab. Merz spielt diesen demoskopischen Rückenwind souverän aus, hält Scholz den dramatischen Wirtschaftseinbruch, die Insolvenzwelle, die miese Stimmung bei den Unternehmen vor. Der Kanzler laviert, verweist auf die Folgen des Ukraine-Kriegs, versucht, die Krise zu beschönigen.
"Es ist was los", umschreibt Scholz die Rezession in einer fast verräterischen Wortwahl, was Merz als Einladung versteht, Scholz erneut Realitätsverlust vorzuwerfen. "Ich bin erstaunt, in welcher Realität Sie leben", so Merz zum Kanzler. Auch in der Wirtschaft: Punkt für den CDU-Herausforderer.
Verteidigung – Scholz' stärkster Moment
Beim Thema Sicherheit und Verteidigung blüht Scholz auf – ausgerechnet hier, werfen seine Kritiker ihm doch vor, die Zeitenwende vernachlässigt zu haben. Inhaltlich unterschieden sich Scholz und Merz in der Sicherheits- und Außenpolitik nur in Nuancen. Spannend wurde es bei den Verteidigungsausgaben, die in den nächsten Jahren um 30 bis 40 Milliarden Euro pro Jahr steigen müssten, um die Nato-Quote von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung einzuhalten.
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Während sich beide im Ziel einig zeigten ("mindestens zwei Prozent", später sagt Merz "deutlich mehr als zwei"), bringt Scholz Merz bei der Finanzierungsfrage in Bedrängnis. Merz sage nicht, wie Mehrausgaben in dieser Dimension aus dem Bundeshaushalt gestemmt werden könnten, so der Kanzler.
Merz kommt ins Schlingern, nennt Einsparungen beim Bürgergeld und Bürokratie, was – nach einhelliger Meinung von Experten – nicht ausreichen würde, um die Mehrausgaben für die Bundeswehr zu finanzieren. Dasselbe gilt für die Hoffnung auf ein baldiges Wirtschaftswachstum: Es bleibt eine Lücke.
Es ist der Moment, in dem Scholz in den Angriffsmodus geht: "Was Sie hier vortragen, ist lächerlich!" Man brauche eine Reform der Schuldenbremse, um die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, argumentiert der Kanzler. "Ich bin dagegen, dass den Bürgerinnen und Bürgern etwas vorgemacht wird."
Klarer Punkt für Scholz. Denn dessen Plan, den Mehraufwand über Kredite zu finanzieren und dafür die Schuldenbremse zu reformieren, ist gegengerechnet. Merz bleibt hier Antworten schuldig, wie auch in anderen Bereichen, bei denen die Union Versprechen macht, ohne ihre Finanzierung zu klären. So hatten mehrere Wirtschaftsinstitute dem Unions-Wahlprogramm eine Finanzierungslücke von fast 100 Milliarden Euro attestiert.
Wo das Geld für die vielen Wahlgeschenke herkommen soll, kann auch Merz an diesem Abend nicht beantworten. Eine Reform der Schuldenbremse lehnte er immerhin nicht mehr kategorisch ab.
Der Versuch einer Falle
Beim Thema Ukraine-Krieg stellt Scholz Merz eine Falle: Der Kanzler spricht in einem Nebensatz über den deutschen Marschflugkörper Taurus, den er der Ukraine nicht liefern wolle, weil dieser eine Eskalation des Krieges zur Folge haben könnte.
Die Taktik hatte Scholz schon am Anfang des Wahlkampfes ausprobiert, die Taurus-Absage soll den Kanzler als besonnenen Staatsmann darstellen, der alle Risiken genau durchrechnet und nichts Unüberlegtes tut. Merz, der – unter Bedingungen – für die Taurus-Lieferung ist, soll so als Sicherheitsrisiko markiert werden.
Merz hätte einfach weiter über die Ukraine, den möglichen Friedensplan von Donald Trump und die Herausforderungen für Deutschland auch nach einem möglichen Waffenstillstand sprechen können. Doch er nimmt den Taurus-Ball von Scholz auf und muss plötzlich sein Ultimatum rechtfertigen, das er vor einer Weile im Bundestag vorgeschlagen hatte: Russland solle seine Angriffe auf ukrainische Städte einstellen, sonst könnte man der ukrainischen Armee den Taurus schicken, so Merz damals.
Merz gerät ins Schlingern, will sein Ultimatum, das hinterher keines gewesen sein soll, erklären, aber es klappt nicht so richtig. Gerettet wird er ausgerechnet von Maybrit Illner, Maischbergers Co-Moderatorin, die Merz unterbricht und ihn nach dem Nato-Beitritt der Ukraine fragt. Glück gehabt.
Kein klarer Sieger, aber auch keine Wahlwende
Am Ende ging keiner der beiden als Sieger aus dem Studio. Entgegen so mancher Erwartung war Scholz, der mit einem kräftigen Umfrage-Malus in die Debatte ging, keine 90 Minuten lang im Angriffsmodus. Nur punktuell versuchte er, Merz zu provozieren, stichelte, blickte ihn von der Seite scharf an, während der sprach.
Scholz hatte auch seine Sympathiemomente. Etwa als sich Merz positiv über den umstrittenen Beschluss Donald Trumps in den USA äußerte, nur zwei Geschlechter anzuerkennen. Scholz hielt dagegen: "Ich halte das für unangemessen. Jeder Mensch soll so glücklich sein, wie er glücklich sein möchte." Ein nahbarer Olaf Scholz, neben dem Merz eher kühl wirkte, der anderen ihr Glück nicht gönnt.
Auch bei der Diskussion um den Mindestlohn oder höhere Steuern für Topverdiener versprühte Scholz etwas sozialdemokratische Wärme, während Merz etwas überheblich dreinschaute. Aber nichts, was das Kanzlerrennen in die eine oder andere Richtung auspendeln würde.
Denn alles in allem parierte Merz die Kanzlerangriffe stoisch. Scholz' Strategie, Merz' Impulsivität herauszukitzeln, ging nicht auf. Der wiederum dürfte sich genau darauf vorbereitet haben und behielt die Fassung. Die erhoffte Wahlkampfwende der SPD dürfte nach diesem Abend wohl nicht eintreten.
- Eigene Beobachtungen