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Ukraine-Krieg | Gegenoffensive im Großraum Cherson: "Operative Stille"


Offensive der Ukraine
Wird das der Befreiungsschlag?

Von t-online, ld

Aktualisiert am 02.09.2022Lesedauer: 3 Min.
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Die ukrainische Armee hat nach eigenen Angaben eine Großoffensive zur Rückeroberung der Großstadt Cherson gestartet. (Quelle: t-online)

Die Gegenoffensive der Ukraine im Großraum Cherson soll ein Befreiungsschlag werden, doch gesichert weiß man wenig darüber. Das ist gewollt.

Am 29. August hat die Ukraine eine lange angekündigte Gegenoffensive gestartet. Das russische Verteidigungsministerium denunzierte den Vorstoß schnell als Luftschloss: Nichts als "Propaganda". Doch laut der US-amerikanischen Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) berichteten auch russische Militärblogger bereits am Montag von einer "Vielfalt an ukrainischen Attacken" insbesondere im Großraum Cherson in der Südukraine.

Dem Militärexperten Carlo Masala zufolge stellen die Kämpfe um Cherson die erste echte Dynamik im gesamten Frontverlauf seit Wochen dar, wie er im Gespräch mit dem Deutschlandfunk sagte.

Die Experten Christian Möllig und András Rácz von der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik schrieben in einem Gastbeitrag für das ZDF: "Kiew hat den Angriff so lange hinausgezögert, bis die Nachschublinien und die Luftabwehr der russischen Streitkräfte und ihre Kommandostrukturen geschwächt waren."

Wie steht es um den Befreiungsschlag? Experten warnen in dieser Frage vor schnellen Urteilen: In den kommenden Tagen und Wochen könnte die Informationslage über den Verlauf der Offensive sehr "verworren" sein, heißt es im Lagebericht des ISW. Informationen während laufender Offensivaktionen seien mit äußerster Vorsicht zu genießen. Es werde viel mit Finten gearbeitet – auch, um den Feind zu verwirren.

Auch Carlo Masala sagte im Gespräch mit dem Deutschlandfunk: Es lasse sich aus diesem Grund überhaupt nicht einschätzen, was genau in der Südukraine passiere.

Gegenoffensive wurde über Wochen eingeleitet – mit westlichen Waffen

Tatsache ist, dass die Ukraine sich über Wochen in die Position dieses Gegenschlags gekämpft hat. Wie das ISW berichtet, hat das ukrainische Militär gezielt russische Stellungen weit hinter der Frontlinie beschossen. Die Angriffe hätten das Ziel gehabt, Kommunikationslinien, Versorgungsrouten und kritische Infrastruktur zu zerstören. t-online berichtete vor zwei Wochen darüber, dass strategisch bedeutsame Brücken zerstört wurden – durch ukrainische Raketentreffer.

Die Akribie, mit der die Ukrainer über Wochen Versorgungslinien attackierten, interpretiert man am ISW als den Willen, jetzt eine lange angelegte Operation ausführen zu wollen.

"Das kann die Russen austrocknen"

Denn im Raum Cherson spielen Brücken eine entscheidende Rolle: Russische Kräfte haben bei ihrem Überfall den Fluss Dnipro überquert, sind dann weiter Richtung Mykolaiw vorgedrungen. Dort blieb ihr Vormarsch stecken. Nun scheinen die Ukrainer etwas geschafft zu haben, was man bei der Nato als "battlefield interdiction" bezeichnet.

Wie der Experte für Sicherheitspolitik, Joachim Weber, n-tv sagte, wird damit ein Austrockenen des Schlachtfeldes von hinten beschrieben. Durch die Zerstörung von Nadelöhren im Hinterland mangele es den westlich des Flusses kämpfenden Truppenteilen wahrscheinlich an Nachschub. "Die Brücken sind wohl so beschädigt, dass da kein Schwerlasttransport mehr rollen kann. Das kann die Russen austrocknen", so Weber.

Satellitenbilder deuteten am Montag laut ISW darauf hin, dass die russischen Streitkräfte nun versuchen, den Nachschub mit Schwimmbrücken am Laufen zu erhalten. Doch laut den Experten des ISW ist der Nachschub jetzt besonders durch Raketenangriffe angreifbar.

Viele Experten sind sich einig, dass die vom Westen gelieferten Waffen bei diesen Austrocknungen eine zentrale Rolle einnehmen. Mehrfachraketenwerfer, wie die aus den USA stammenden Himars-Systeme, seien in der Lage, Ziele über weite Strecken hinweg präzise zu treffen.

Es herrscht "operative Stille" über Verlauf und Zielrichtung

Doch verschieben sich jetzt auch die Fronten? Ein treffendes Bild der Lage zu zeichnen, ist schwierig. Als "Nebel des Krieges" bezeichnen es Mölling und Rácz. Es werde in verschiedene Richtungen vorgestoßen. Beide Kriegsparteien verbreiten verschiedene Versionen der Ereignisse.

Zudem ruft das ukrainische Militär aktiv dazu auf, nicht über den aktuellen Verlauf der Gefechte zu berichten. Die Informationen, die durchsickern, sind allzu knapp. Anscheinend konnte die Ukraine einige Geländegewinne machen.

Die ukrainische Führung versucht damit, so viel Kontrolle wie möglich über die eigenen Vorhaben zu behalten. Dass neben wilden Spekulationen momentan wenig von offizieller Seite durchdringt, nennt sich laut Experten "operative Stille".

Vorsicht vor der Hoffnung auf schnellen Erfolg

Allerdings ist laut ISW-Lagebericht erkennbar, dass russische Truppen auf die Offensive der ukrainischen Streitkräfte reagieren. Truppenteile würden sich umformieren, Stellungen würden verlegt. Die Experten rechnen damit, dass die ukrainische Gegenoffensive eine "russische Umgruppierung und Umverteilung" bedeuten wird, auf die eine "Neuordnung russischer Prioritäten auf diesem Kriegsschauplatz" folgt.

Ob die Gegenoffensive der Meilenstein wird, als der er vielfach angepriesen wurde, ist noch offen. Experten warnen vor voreiligen Schlüssen und der Hoffnung auf den schnellen Erfolg: Die ukrainische Gegenoffensive sei ein Ablauf "in sich geschlossener Prozesse", ein Plan, der Zeit brauche, um in die Tat umgesetzt zu werden. Größere militärische Offensiven wie diese gelängen oder missglückten "nicht an einem Tag oder in einer Woche".

Verwendete Quellen
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